Arbeitsplatz

Arbeit: billig, billig muss es sein

Auf Packungen im Supermarkt werben allerlei Labels mit dem Schutz von Mensch und Natur. Doch an den miserablen Arbeitsbedingungen in der Produktion ändern sie meistens nichts.

22.02.2018

Arbeit: billig, billig muss es sein
Die Arbeitsbedingungen in der Agrarindustrie sind häufig unzureichend.

Von Reinhild Benning, Benjamin Luig und Christine Chemnitz

Bei Lebensmitteln erhöhen nützliche und verständliche Informationen das Vertrauen der Verbraucher und Verbraucherinnen. Sie binden die Kunden, wissen Marketingfachleute. Für
Supermärkte und weltweit tätige Nahrungsmittelkonzerne sind das hohe Güter. Denn die Bereitschaft, etwas zu kaufen und Geld dafür auszugeben, wird nicht nur von Geschmack und
Aussehen geleitet. Wichtig ist auch die Produktion selbst – wenn also die interessierte Kundschaft erfahren will oder soll, dass Umwelt und Tiere geschützt, aber auch die Produzentinnen und Produzenten, Arbeiterinnen und Arbeiter angemessen behandelt und
bezahlt werden. Eine solche Kommunikation kann über gesetzliche Standards oder die explizite Kennzeichnung der Ware laufen. Im zweiten Fall nutzen die Hersteller und Handelsunternehmen Siegel oder Zertifikate, die den Konsumentinnen und Konsumenten
die Nachhaltigkeit, Unbedenklichkeit oder gar die Bedeutung der Ware für die Entwicklungspolitik bescheinigen. Hunderte solcher Labels prangen auf den Packungen in den Supermärkten rund um die Erde.

Das Vorbild dafür kommt aus der Solidaritätsbewegung.Seit den 1960er- Jahren schließen soziale, kirchliche und ökologische Gruppen in Europa und den USA immer mehr direkte Verträge mit Kleinbauern und Kleinbäuerinnen ab, um ihnen einen möglichst großen Anteil an der Wertschöpfung zu sichern. Besonders weit verbreitet ist das dafür vergebene  „Fairtrade“-Label. Es trägt mit festen Abnahmeverträgen zur Einkommensstabilisierung
der Bauern und Bäuerinnen bei.

Werbung und Wirklichkeit klaffen bei Siegeln, die Konzerne verwenden, oft weit auseinander. Deutsche Supermarktketten wie Lidl werben beispielsweise mit dem Siegel der Umweltorganisation Rainforest Alliance. Sie wollen damit ihrer Kundschaft suggerieren, ihre Bananen und Ananas würden nachhaltig hergestellt. Dabei ergaben Befragungen in Ecuador
und Costa Rica, dass die Arbeitsbedingungen auch auf den von Rainforest Alliance zertifizierten Plantagen katastrophal sind. Umstritten ist auch die Labelvergabe bei Palmöl.

Frauen sortieren Bananen

Greenwashing als Problem

Den Zertifizierungsunternehmen wird vorgeworfen, Lieferanten aufzunehmen, die in illegale Abholzungen, in die Trockenlegung von Torfgebieten und die Vertreibung lokaler Bevölkerungsgruppen verwickelt sind. Diese Form des Etikettenschwindels wird auch als Greenwashing bezeichnet.

Verletzungen der Arbeitsrechte sind in der Landwirtschaft der Regelfall und nicht die Ausnahme. Dabei schützen die ILO-Normen das Recht der Arbeiterinnen und Arbeiter, sich zu organisieren und Gewerkschaften zu bilden. Sie verbieten Zwangs- und Kinderarbeit und die Diskriminierung aufgrund von Rasse oder Geschlecht. Doch Versuche, sich zu organisieren und diese Rechte durchzusetzen, werden oft brutal unterdrückt. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter werden bedroht, entlassen oder gar ermordet.

Eine Folge davon: Mindestlöhne werden unterschritten, Überstunden nicht bezahlt und der Arbeitsschutz missachtet. Besonders drastisch sind die Verletzungen des Arbeitsrechtes in der Primärproduktion, wenn nicht nach Arbeitszeit bezahlt wird, sondern im Akkord nach Erntemengen. Frauen werden noch stärker benachteiligt als Männer. Sie arbeiten häufiger nur in Gelegenheits-, Saison- oder Aushilfsjobs und bekommen weniger Lohn. Oft sind die  Beschäftigten auf Plantagen Pestiziden ausgesetzt. Die ILO schätzt die Zahl der davon Vergifteten auf zwei bis fünf Millionen Personen pro Jahr. Davon enden 40.000 Fälle tödlich. Das Ökolandbausiegel schützt weltweit vor Pestizidbelastungen. Doch der Preisdruck trifft auch Biolieferanten. 

Nicht nur auf den Feldern sind die Arbeitsbedingungen prekär, sondern auch in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie. In Indien hat PepsiCo Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen
entlassen, nachdem sie sich organisiert hatten. In Pakistan gründete der Konzern eine Scheingewerkschaft, um die unabhängige Gewerkschaft zu schwächen. In Guatemala entließ Coca-Cola im Oktober 2016 eine ganze Belegschaft und lagerte den Vertrieb aus. Um Kosten zu sparen, hat der Ketchup-Konzern Heinz nach der Übernahme von Kraft Foods allein in den ersten 20 Monaten 7.400 Stellen gestrichen, 23 Prozent der Beschäftigten weltweit.

Konzerne missachten immer wieder die Menschenrechte

Freiwillige Maßnahmen reichen nicht aus, verbindliche Regeln sind erforderlich. In Europa wurde in den vergangenen Jahren besonders auf die großen Supermarktketten geschaut. Ihr Preisdruck wirkt sich entlang der gesamten globalen Lieferkette aus und ist eine Hauptursache für schlechte Arbeitsbedingungen – hierzulande wie auf den Feldern im globalen Süden. Die EU-Kommission hat die Macht der Supermärkte und die unfairen Handelspraktiken in der Lieferkette – vor allem die Beschwerden der Lieferanten – untersucht. Sie hat aber Anfang 2016 entschieden, dass es gegenwärtig keinen Regelungsbedarf auf EU-Ebene gebe. Sie verweist auf freiwillige Maßnahmen der Supermarktketten und Nahrungsmittelhersteller, die unter anderem Kontaktstellen für Beschwerden von Zulieferern einrichten wollen. Allerdings sind bislang kaum Fälle bekannt, in denen sich einer von ihnen beim eigenen Kunden über dessen ungerechte Vertragsbedingungen beschwert hat – zu groß ist das Risiko, ausgelistet zu werden.

Die Marktmacht der Unternehmen zeigt sich allein schon durch das Volumen der Produktion, durch den Einfluss auf die Preise und durch die Formulierung von freiwilligen eigenen Standards. Sie werden manchmal so speziell formuliert, dass sie eigentlich Barrieren für den Zutritt zum Markt bedeuten und kleine Produzenten im vorgelagerten Bereich ausschließen. Zudem haben die großen Unternehmen durch ihre Bedeutung als Arbeitgeber von mehreren Zehn- oder Hunderttausend Beschäftigten in vielen Ländern starken Einfluss auf die Gestaltung der sozialen und ökologischen Verhältnisse.

Arbeiter auf einem Reisfeld.

2003 verabschiedete der damalige UN-Unterausschuss zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte ein Set von Normen. Diese Initiative, die die multinationalen Unternehmen
in die Pflicht nehmen wollte, ist am Widerstand der konzernfreundlichen Delegierten in der UN-Menschenrechtskommission gescheitert.

Im Nachgang wurden die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ entwickelt, die der UN-Menschenrechtsrat 2011 einstimmig annahm. Den Prinzipien zufolge sollen Unternehmen sich zu den Menschenrechten bekennen sowie Missbrauch und Verstöße bekämpfen, Gespräche mit den Betroffenen führen und gegebenenfalls Entschädigungen zahlen.

Alles allerdings auf freiwilliger Basis und ohne die Möglichkeit, Verstöße zu ahnden. Notwendig sind hingegen verbindliche Regeln auf internationaler und nationaler Ebene. Das jedoch scheitert immer wieder. Auf Initiative von Ecuador und Südafrika wird in einer Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsrats seit 2015 über ein neues Abkommen verhandelt. Die Zivilgesellschaft schlägt vor, ein Instrument zu schaffen, das Staaten  verpflichtet, Menschenrechte auch außerhalb der eigenen Grenzen zu schützen. Damit würden sich die Staaten verpflichten, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die „eigenen“ privaten Akteure daran zu hindern, in anderen Ländern Menschenrechte zu verletzen.

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Quelle: UmweltDialog
 

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