Digitalisierung + KI

Digitalisierung des Nachhaltigkeits-Bereichs

Das Internet ist überall. Aber in der CSR Diskussion bleibt das Thema erstaunlich oberflächlich. Wir sprachen dazu mit dem Kommunikations- und CSR-Experten Dr. Andreas Knaut.

25.05.2016

Digitalisierung des Nachhaltigkeits-Bereichs zoom

Herr Dr. Knaut, warum ist Digitalität für Sie der wahre und endgültige Treiber der Globalität?

Was immer die Propheten vorhersagen - in einem sind sich doch alle einig: Das digitale Zeitalter bedeutet die Revolution der Produktions- und Arbeitswelt, die wir kennen. Eine „schaffende Zerstörung" durchaus im Sinne von Joseph Schumpeter. Damals meinte der Begriff die Veränderung geliebter aber überholter Geschäftsmodelle. Heute ist er der Schlachtruf der Herolde des Virtuellen.

Weshalb wird Digitalität unsere Art zu leben vollständig verändern?

Sie hat uns längst ganzheitlich im Griff. Nehmen Sie doch mal in Unternehmen und Haushalten zeitgleich alle digitalen Devices, Computer, Server vom Netz und schauen Sie, was passiert: Wir fallen anschließend direkt in die Steinzeit zurück. Digitalität bildet die Basis jeglicher Geschäftsmodelle oder Kommunikationsvorgänge. Das meint weit mehr als nur eine lernende IT oder die Verbindung von Datenmanagement mit Produktionsprozessen oder den Launch neuer Apps.

Sie schafft in der Wirtschaft eine Produktionswelt mit globalen Strukturen, individualisierten Arbeitsmodellen, veränderten Hierarchien und Zuständigkeitsfunktionen sowie einem gänzlich veränderten Verständnis von Datennutzung- und Datensicherheit. Die Wirtschaft hat das grundsätzlich schon verstanden. Sie zählt ja mit. Sie spricht heute von Industrie 4.0, wie Arbeitsforscher von Arbeit 4.0 sprechen.

Wird das Thema Digitalität im Bereich Nachhaltigkeit und CSR Ihrer Meinung nach weitgehend ignoriert?

Ja, dort sind wir bei CSR 1.5 stecken geblieben. In aktuellen Diskussionen über die Weiterentwicklung von Nachhaltigkeit und über künftige Wege zu einem verantwortungsvollen Wirtschaften kommt Digitalisierung als Phänomen oder als eigenständige Kategorie gar nicht vor. Sie wird gleichsam totgeschwiegen. Kein Nachhaltigkeitsforscher, der sich umfassend des Themas annimmt. Kein CSR-Manager, der in seinem Zuständigkeitsbereich damit befasst ist.

Alle sitzen unverändert vor Excel-Tabellen, polieren die CO2-Bilanz des Hauses oder sorgen sich darum, dass die Kollegen vor ihren Computerbildschirmen mit ausreichend Licht und ergonomischen Stühlen ausgestattet sind. Der United Nation Global Compact, eines der wesentlichen CSR-Werkzeuge, ignoriert die virtuelle Businesswelt vollständig. Er listete keine Kategorie Digitalisierung (GRI 2015).

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Digitale Vernetzung - Symbolische Menschen auf blauem Hintergrund

In den Code of Conducts der Unternehmen, in Compliance-Richtlinien und Verantwortungsvorgaben findet sich doch einiges zum Thema Datenschutz oder Social Media?

Natürlich finden sich solche in Kodizes und Codes of Conducts. Klar gibt es Regelungen zur Datensammlung und Sicherung. Selbstverständlich wird geregelt, dass niemand zu lange vor dem Bildschirm sitzt, im Urlaub nicht ans Handy geht und der Kollege Computer nicht zu viele reale Kollegen ersetzt. Aber das alles geschieht unverändert aus der Perspektive prädigitaler Unternehmen und Geschäftsmodelle.

Verwunderlich eigentlich: In den vergangenen Jahren hat sich das CSR-Modell zunehmend und dynamisch verändert. Es wurde viel diskutiert, wie CSR und Nachhaltigkeit zu betrachten und zu definieren seien, welche Themen zu berücksichtigen sind und mit welcher Gewichtung.

Der Digitalität aber schenkte niemand sonderlich Beachtung?

Nein. In den Kodizes und Nachhaltigkeitsberichten werden digitale Tools gleichsam hineinintegriert und hinzuaddiert. Sie werden als technische Weiterentwicklungen betrachtet, für die man eben einen neuen Spiegelstrich findet. Das wird aber der grundlegenden Bedeutung und Dynamik des virtuellen Wirtschaftens nicht mehr gerecht.

Warum wird eine solche Betrachtungsweise dem Thema Digitalität und ihrer umfassenden Bedeutung für unser Leben nicht mehr gerecht?

Wer nur Mosaiksteine betrachtet, verfehlt den Blick aufs große Ganze. Das bedeutet, ein Bild des Impressionisten Claude Monet von ganz nah zu betrachten, ohne jemals einen Schritt zurückzugehen. Der genannte Besucher wird das Gemälde niemals verstehen.

Besteht die Gefahr, dass CSR Gefahr läuft, Industrie 4.0 zu verpassen?

Dort draußen ist Systemrevolution. Wir aber sitzen in der kuscheligen Stube der Nachhaltigkeit und grübeln, ob das Gehäuse des Computers nicht aus Bioplastik hergestellt werden könne. Es fehlt das Interesse am digitalen Endspiel. Dabei wäre CSR aufgrund ihrer verantwortungsgeleiteten Zukunftsorientierung als strategisches Werkzeug besonders geeignet, Unternehmen und Gesellschaft auf die neue Welt 4.0 vorzubereiten. Der ganzheitliche verantwortungsorientierte Ansatz, den CSR in die Geschäftsmodelle und Unternehmensausrichtung einbringt, ist gerade hier besonders gefragt.

Das ewige Ziel allen Wirtschaftes, nämlich mehr Effizienz zu erreichen, darf es mit Blick auf Industrie 4.0 nicht alleine sein. Wer blind auf diese Ziel zuläuft, übersieht all die Stolpersteine am Weg. CSR kann den Kompass reichen, denn digitales Wirtschaften erfordert mehr als alles andere eine ganzheitliche Betrachtung. Weil alles mit allem vernetzt ist, grenzenüberschreitend und 24/7.

Warum brauchen wir den digitalen Fußabdruck?

Unternehmen benötigen aus meiner Sicht einen Digitalreport - vergleichbar den bisherigen Nachhaltigkeitsberichten. Sie müssen ihre digitale Vision darlegen, Leuchttürme aufstellen. Alle Stakeholder haben ein Recht darauf zu verstehen, wohin die Reise im virtuellen Raum geht. Denn sie werden mitgenommen, ob sie wollen oder nicht. Solche Digitalreports sollten alle denkbaren Aspekte im Sinne einer 360 Grad Betrachtung featuren, u.a. Produktion, Marketing, Kommunikation, Datensicherheit, Arbeitssituation, Führungskultur, Trainings, Logistik, Evaluation: Sie sollten zeigen, welcher Stakeholder auf welche Weise betroffen sein wird.

Der Digitalisierungsreport fügt sich damit in das gesamte Nachhaltigkeitsreporting. Er wird jährlich fortgeschrieben, kann extern validiert werden und sorgt so für Transparenz. Daher ist anzuregen, die bisherige Triangel der CSR - Natur, Sozial, Business - zu einem Quadrat zu erweitern: Digitalität.
CSR muss ihr Verständnis von Nachhaltigkeit verändern. Es geht nicht mehr länger darum, Technologie zu verändern oder Daten zu sammeln. Nachhaltigkeit von morgen bedeutet Nachhaltigkeit im virtuellen Raum.

Wie kann sie aussehen?

Diese beinhaltet die ganzheitliche Behandlung und Berücksichtigung von neuen Aspekten. Sie verändern unsere Betrachtungsweise vollständig.

Was bedeutet Digitalität für Sie?

Digitalität bedeutet eine Kultur der permanenten Veränderung. Das ist bei näherer Betrachtung für die meisten Angestellten und auch für Kundenerstmal eine grauenvolle Vorstellung. Schon jetzt gibt es Umfragen darüber, welche Arbeitsplätze und Berufe demnächst besonders „bedroht" sind. Die eigene Komfortzone ist nicht ab und zu, sondern ständig bedroht.

Digitalität bedeutet teilen - mit Stakeholdern. In nicht allzu ferner Zukunft werden wir auf gemeinsamen Plattformen arbeiten. Grenzen werden nicht verschwinden, aber ihre Gültigkeit wird temporär begrenzt und selten ausschließlich sein. Wettbewerber werden zu Kollaborateuren, manchmal gleichzeitig.

Weshalb ist Datenauswertung ein Schlüsselthema der Zukunft?

Daten werden sind schnell gesammelt, sind aber nur schwer zweckhaft auszuwerten, zumal der Zweck und der Interpretationsbedarf ständig wechseln. Mehr noch als heute werden in Zukunft CRM-Fachleute über die Komplexität ihrer Datenbanken grübeln - und der rasenden Entwicklung hinterher entwickeln.

Natürlich werden sich nationale Gesetzgebungen bemühen, noch mehr Cybersicherheit herzustellen. Aber es steht zu befürchten, dass Onlineattacken und Datenklau zunehmen und zum ständigen Begleiter der Wirtschaft werden. Schon heute verzeichnen namhafte Unternehmen jeweils mehrere tausend Hackerangriffe am Tag. Dies ist keine bedrohliche Entwicklung, wenn wir unsere Haltung zu den Themen verändern und aufhören, die digitale Welt mit Vorstellungen aus dem 20. Jahrhundert zu betrachten.

Wir brauchen ein anderes Regelwerk und eine CSR, diese Entwicklung unter dem Banner der Nachhaltigkeit und Verantwortung grundlegend mitzugestalten. Sie muss dafür sorgen, dass dieser Prozess in den Unternehmen ganzheitlich und zumindest ansatzweise planvoll verläuft. Und transparent.

Digitalisierung bedeutet mehr denn je, Prozesse von einem möglichen - nicht sicheren - Ausgang her zu denken, Variationen des Verlaufs einzubeziehen. Um dann doch damit zu rechnen, das alles anders kommt als gedacht.

Zur Person: Dr. Andreas Knaut ist Kommunikationsberater und Interimmanager sowie Universitätsdozent für Kommunikation und Marketing. Er betreibt die erste Medienplattform für den demografischen Wandel: www. DEMOGRAFIEWANDEL.info. Knaut arbeitete 25 Jahre als Leiter Unternehmenskommunikation und CSR in Industrie (Danone GmbH, SCHUFA Holding AG) und Medienwirtschaft (Gruner + Jahr AG, Verlagsgruppe Handelsblatt GmbH). Er war Chefredakteur des Mediendienstes „Kontakter" sowie stellvertretender Chefredakteur von „w&v werben&verkaufen". Er veröffentlicht und hält Vorträge zu den Themen Kommunikation, CSR-Und Nachhaltigkeitskeitsmanagement und demografischer Wandel.

Das Interview erscheint zugleich auch als Blogbeitrag in der Huffington Post.

 

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