Nachhaltigkeitsabkommen zwischen Wettbewerbern
Seit 2019 hat die EU-Kommission 86 neue Rechtsakte verabschiedet, weitere 14 stehen kurz vor der Annahme. Doch während diese Regulierungsoffensive Unternehmen zunehmend in die Pflicht nimmt, Nachhaltigkeitsziele umzusetzen, wirft sie auch neue Herausforderungen auf. Denn für viele Unternehmen sind die Kosten und der organisatorische Aufwand zur Einhaltung der Nachhaltigkeitsvorgaben erheblich. Um diese Hürden zu reduzieren, hat die EU-Kommission nun erstmals ausdrücklich Nachhaltigkeitskooperationen zwischen Unternehmen geregelt.
26.02.2025
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Ein Meilenstein in diesem Zusammenhang ist die überarbeitete Version der „Leitlinien für horizontale Kooperationsvereinbarungen“, die die EU-Kommission 2023 veröffentlicht hat. Sie klären, unter welchen Bedingungen Unternehmen zusammenarbeiten können, ohne gegen das EU-Kartellrecht zu verstoßen. Neu ist dabei ein eigenes Kapitel über Nachhaltigkeitsvereinbarungen. Ziel ist es, Unternehmen einen klaren Rahmen zu geben, in dem sie gemeinsame Nachhaltigkeitsziele verfolgen können, ohne sich dem Vorwurf wettbewerbswidriger Absprachen auszusetzen.
Die grundlegende Herausforderung besteht darin, dass das EU-Kartellrecht – insbesondere Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) – grundsätzlich jegliche wettbewerbsbeschränkende Absprachen verbietet. Auch Nachhaltigkeitsabkommen müssen sich daher an strenge Regeln halten. Allerdings bietet die neue Regulierung nun erstmals eine Art „sicheren Hafen“ für bestimmte Vereinbarungen, die klar definierte Kriterien erfüllen. Dadurch soll es Unternehmen erleichtert werden, gemeinsam umweltfreundliche Maßnahmen umzusetzen, ohne sich wettbewerbsrechtlichen Risiken auszusetzen.
Was sind Nachhaltigkeitsvereinbarungen?
Nachhaltigkeitsvereinbarungen sind laut EU-Kommission „jede Form der horizontalen Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, die ein Nachhaltigkeitsziel verfolgt“. Dabei orientiert sich die Definition an der UN-Resolution 66/288 von 2012 (The Future We Want). Sie umfasst ein breites Spektrum an ökologischen und sozialen Zielen, darunter Klimaschutz, Reduzierung von Umweltverschmutzung, Ressourcenschonung, Menschenrechte, faire Löhne, widerstandsfähige Infrastruktur, Reduzierung von Lebensmittelverschwendung und Tierschutz.
Welche Vereinbarungen sind kartellrechtlich unbedenklich?
Nach den neuen Leitlinien gibt es drei Kategorien von Nachhaltigkeitsabkommen, die nicht automatisch unter das Kartellverbot fallen:
- Vereinbarungen ohne wettbewerbsrechtliche Risiken
Diese Abkommen beeinflussen keine zentralen Wettbewerbsparameter wie Preise, Qualität oder Innovation und gelten daher als unproblematisch. Beispiele sind gemeinsame Aufklärungskampagnen oder Datenbanken mit Informationen zu nachhaltigen Lieferanten, solange keine verpflichtenden Einkaufs- oder Verkaufsentscheidungen getroffen werden. - Nachhaltigkeitsstandards und Zertifizierungen
Hierbei handelt es sich um Branchenstandards, die Nachhaltigkeitskriterien definieren – beispielsweise durch Öko-Siegel oder Zertifikate. Diese können von Unternehmen genutzt werden, um nachhaltige Produkte kenntlich zu machen. Allerdings dürfen sie nicht dazu führen, dass alternative Standards vom Markt verdrängt oder Wettbewerber ausgeschlossen werden. Auch Preisabsprachen oder die Verpflichtung zur Teilnahme an einem bestimmten Standard sind unzulässig. - Wettbewerbsbeschränkende Nachhaltigkeitsvereinbarungen mit Ausnahmen
Falls eine Vereinbarung zwar den Wettbewerb einschränkt, aber insgesamt mehr Vorteile als Nachteile bietet, kann sie unter bestimmten Voraussetzungen dennoch zulässig sein. Dafür müssen jedoch vier Bedingungen erfüllt sein: Es müssen klare Effizienzgewinne entstehen, die Einschränkungen dürfen nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, die Verbraucher müssen von den Nachhaltigkeitsmaßnahmen profitieren und der Markt darf nicht monopolisiert werden.
Das Dilemma der Verbrauchervorteile
Ein besonders heikler Punkt ist die Frage, ob Nachhaltigkeitsvereinbarungen tatsächlich dem Verbraucher nutzen. In klassischen Wettbewerbsfällen wird unter Verbrauchervorteil vor allem verstanden, dass durch eine Kooperation Effizienzgewinne entstehen – beispielsweise bessere Produkte, günstigere Preise oder innovative Dienstleistungen. Im Fall von Nachhaltigkeitsabkommen erweitert die EU-Kommission diesen Begriff jedoch. Sie unterscheidet zwischen:
- Individuellen Vorteilen (z. B. höhere Produktqualität durch umweltfreundliche Herstellungsweisen)
- Indirekten individuellen Vorteilen (z. B. die Zufriedenheit eines Kunden, ein nachhaltiges Produkt gekauft zu haben)
- Kollektiven Vorteilen (z. B. Reduzierung von Luftverschmutzung oder Schonung natürlicher Ressourcen, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert)
Allerdings gibt es hierbei eine entscheidende Einschränkung: Kollektive Vorteile dürfen nur angerechnet werden, wenn sie direkt den Verbrauchern im relevanten Markt zugutekommen. Das bedeutet, dass Umweltvorteile, die sich nur in anderen Ländern oder Regionen bemerkbar machen, nicht als Argument für die Wettbewerbszulässigkeit eines Abkommens zählen. Diese Regelung wird von Kritikern als zu restriktiv angesehen, da globale Nachhaltigkeitsprobleme nicht an Landesgrenzen haltmachen.
Erste Praxisfälle: Was ist erlaubt?
Die neuen Leitlinien werden bereits von nationalen Wettbewerbsbehörden angewendet. In den Niederlanden wurde Banken erlaubt, ihre Nachhaltigkeitsberichte zu vereinheitlichen, um bessere Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Zudem durften Abfallentsorger kooperieren, um Recycling-Initiativen zu fördern. In Deutschland und Belgien wurde eine Brancheninitiative zur Einführung nachhaltiger Standards im Bananenhandel genehmigt.
Internationale Perspektiven: Uneinheitliche Regelungen weltweit
Während die EU und Großbritannien ähnliche Ansätze zur Regulierung von Nachhaltigkeitsabkommen verfolgen, ist die Lage in den USA strenger. Dort existieren bislang keine kartellrechtlichen Ausnahmen für Umweltabsprachen, da sie als potenzielle „Klimakartelle“ gewertet werden könnten. US-Unternehmen können sich lediglich auf das sogenannte Rule-of-Reason-Prinzip berufen, das eine Abwägung zwischen Vorteilen und Nachteilen erfordert.
Fazit: Ein komplexer Balanceakt
Die neuen EU-Leitlinien sind ein wichtiger Schritt, um Unternehmen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen zu unterstützen. Sie ermöglichen eine koordinierte Zusammenarbeit, ohne den Wettbewerb zu gefährden. Doch die praktische Umsetzung bleibt herausfordernd: Während einige Kooperationen klar zulässig sind, bleibt die Bewertung anderer Fälle komplex und juristisch umstritten. Vor allem die Einschränkung der „kollektiven Vorteile“ auf Verbraucher des jeweiligen Marktes sorgt für Diskussionen.
Umwelt- und Wirtschaftsexperten betonen, dass eine flexible und international abgestimmte Herangehensweise nötig ist, um globale Nachhaltigkeitsziele nicht durch nationale Rechtsrahmen auszubremsen. Letztlich bleibt die große Frage: Wie kann man Nachhaltigkeit und Wettbewerb in Einklang bringen – und wann sind ökologische Kooperationen tatsächlich im besten Interesse der Verbraucher?