Lebensmittel

Urban Farming: Gärtnern in der Großstadt

Unsere Weltbevölkerung wächst stetig – ebenso wie der Anteil an Menschen, die in Städten leben. Auf Dauer sind daher neue Konzepte nötig, um alle zu ernähren. Unbebauter, fruchtbarer Boden ist jedoch in vielen Metropolen Mangelware. Eine Lösung für dieses Problem bietet das sogenannte Urban Farming, das als Landwirtschaft auf Hausdächern, in geschlossenen Räumen oder in Parks und Grünflächen betrieben werden kann.

23.02.2018

Urban Farming: Gärtnern in der Großstadt
Ein Urban-Farming-Gärtner bei der Gartenpflege.

Häufig wird Urban Farming synonym mit dem sogenannten „Urban Gardening“ verwendet. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch in der Größenordnung: urbaner Gartenbau wird von einzelnen Stadtbewohnern vorwiegend zur Selbstversorgung betrieben. Urbane Landwirtschaft, also das Urban farming, soll auch auf kommerzieller Basis Produkte für die gesamte Bevölkerung liefern. Urban Farming wird immer beliebter und das hat gleich mehrere Gründe: Städtische Pflanzenzucht sorgt für kürzere und damit umweltfreundlichere Transportwege, Abwässer können vor Ort aufbereitet und zur Bewässerung und Düngung  weiter genutzt werden. Davon profitiert vor allem das Klima. In den vergangenen Jahren stieg außerdem die Nachfrage an umweltverträglichen und sozial gerecht produzierten Nahrungsmitteln. Bei städtisch hier bei uns in Deutschland produzierten Lebensmitteln werden diese Kriterien erfüllt. Nebenbei hat das Urban Farming auch positive Einflüsse auf das alltägliche Zusammenleben. Bei Grünflächen und Parks, die von den Bewohnern bepflanzt
werden, fördert das gemeinschaftliche Gärtnern die Begegnungen und das Engagement im jeweiligen Stadtteil. Urban Farming vereint somit die Wünsche nach authentischen, lokalen Lebensmitteln und angesichts von Lebensmittel und Wirtschaftskrisen auch die Gewissheit,  sich selbst versorgen zu können.

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Die essbare Stadt

Nie war die Nachfrage nach regional angebautem Bio-Gemüse größer – besonders bei Stadtbewohnern. Es hat jedoch längst nicht jeder von uns die Möglichkeit, selbst Grünes anzubauen. In Berlin muss man zurzeit rund vier Jahre auf eine Parzelle in  einer Kleingartenanlage warten. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, mitten in der
Großstadt Gemüse und Kräuter selbst anzupflanzen. Seit 2009 ist der Prinzessinnengarten im Stadtteil Kreuzberg ein frei zugänglicher Gemeinschaftsgarten mit rund 1.400 Beeten. Mehr als 100 freiwillige Helfer verwandelten ödes Brachland voller Unrat in eine grüne Insel. Seitdem kommen Hobbygärtner jeden Alters und unterschiedlicher Herkunft regelmäßig im Prinzessinnengarten zusammen und pflanzen, graben und gießen. Der Gemeinsinn sowie das Verständnis für fremde Kulturen werden bei diesem Gartenprojekt ebenfalls gefördert. Beim Pflanzen von Saatgut oder Austauschen von Kochrezepten kommen sich die Freizeitgärtner leichter näher als in so manchem Schrebergarten.

Urban-Farming-Mangold.
Urban-Farming-Mangold.

Auch die Beete sind besonders: Fenchel, Rettiche und andere Gemüsesorten wachsen nicht im Boden, sondern in ausrangierten Brotkisten, Reissäcken und Tetra Pak. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Rheinland-Pfalz wird das Prinzip der „Essbaren Stadt“ erfolgreich umgesetzt. Die Stadt Andernach lud im Jahr 2010 sämtliche Bürger dazu ein, die Stadt grüner zu gestalten. Dabei wurden aus städtischen Parkanlagen öffentliche Gärten kreiert. Jeder durfte säen und ernten, Unkraut jäten, Beete anlegen oder Zwiebeln setzen. Im Sommer zur Erntezeit gibt es frisches Gemüse – nicht nur komplett in Bioqualität, sondern auch noch kostenlos. Alleine 100 verschiedene Tomaten- und Bohnensorten wurden seit Beginn geerntet. Auch Pflanzen wie Ringelblumen, Löwenzahn und Gänseblümchen gedeihen prächtig auf dem Stadtboden. Mit ihrer erblühten Stadt erreichten die Bürger Andernachs weit über die Grenzen hinaus große Aufmerksamkeit. Das gemeinsame Wirken und Werkeln hat dazu geführt, dass die Bürger Andernachs stolz sind auf ihre grüne Stadt.

Vertical Farming

Das Vertical Farming ist eine Sonderform der urbanen Landwirtschaft. Darunter versteht man ein landwirtschaftliches Konzept, bei dem die Produktion „vertikal“ in geschlossenen Räumen betrieben wird. Ähnlich wie in einem Gewächshaus werden auf mehreren übereinander gelagerten Ebenen ganzjährig Gemüse, Früchte und Kräuter angebaut. So können Stadtbewohner den urbanen Raum nachhaltig landwirtschaftlich nutzen. Dieses Konzept bringt mehrere Vorteile mit sich: Transportzeit und -kosten werden durch die unmittelbare Nähe zum Verbraucher eingespart. Außerdem ist der Anbau von Pflanzen in mehreren Reihen übereinander gestapelt äußert platzsparend.

Das Restaurant „Good Bank“ in Berlin-Mitte hat das Konzept des Vertical Farming für sich entdeckt. Hinter dem Tresen des Betriebs werden in meterhohen, pink beleuchteten Glaskästen verschiedene Salat- und Grünkohlsorten gezüchtet. So kommt ein Großteil des Gemüses quasi frisch geerntet auf den Teller des Gastes. Entwickelt wurden die Farming- Modelle bei „Good Bank“ vom Berliner Start-up „Infarm“. Die Grundidee des Unternehmens: den Anbau von Gemüse an Orten möglich machen, an denen aufgrund von fehlenden klimatischen Bedingungen normalerweise kein Gemüse angebaut werden kann. Dabei sind die von Infarm entwickelten Farming-Modelle auch noch effizient. Die Module im „Good Bank“ verbrauchen nicht mehr Energie als eine professionelle Kaffeemaschine. Und auch der Wasserverbrauch liegt nach Angaben von Infarm deutlich unter der Menge, die bei einem klassischen Feldanbau in der Natur gebraucht wird. Auch für Supermärkte ist Vertical Farming ein interessantes Konzept. Eine Berliner Metro-Filiale baut ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Infarm Kräuter und Salate direkt in der Verkaufshalle an. So können die  Kunden sicher sein, dass sie frische Ware erhalten, die garantiert frei von Pestiziden ist. Lange Transportwerte gehören damit ebenfalls der Vergangenheit an.

Prof. Dr. Werner Kloas in der IGB-Pilotanlage.
Prof. Dr. Werner Kloas in der IGB-Pilotanlage.

Das Prinzip „Tomatenfisch“

Der Begriff „Aquaponik“ steht für einen geschlossenen Wasser- und Nährstoffkreislauf von Fischen und Pflanzen. Demnach kombiniert Aquaponik die Fischzucht, auch Aquakultur genannt, mit dem erdfreien Anbau von Pflanzen (Hydroponik). Ziel ist dabei nicht nur die Erzeugung von pflanzlichen, sondern auch von tierischen Produkten. Bestandteile eines  solchen Aquaponik-Systems sind mehrere große Bottiche oder Behälter mit Wasser, ein  Aquarium mit Fischen und ein Gewächshaus für die Zucht der Pflanzen. Das Wasser mit den Ausscheidungen der Fische wird nicht entsorgt, sondern in gesonderten Behältern mithilfe eines Bio-Filters gereinigt. Danach fließt ein Teil des gereinigten Wassers zurück ins Aquarium, der andere Teil wird mithilfe von Bakterien in Wasser mit Pflanzendünger umgewandelt. Dies fließt danach durch die angelegten Beete im Gewächshaus und lässt zum Beispiel Tomaten, Gurken, Kürbisse und allerlei Kräuter wachsen. Dieses System bietet nicht nur einen vollständig geschlossenen Nährstoffkreislauf, sondern ist auch ressourcenschonend. So werden mindestens 50 Prozent des Wassers durch die doppelte Nutzung eingespart.  Außerdem binden die Pflanzen das durch die Fischzucht freigesetzte Kohlendioxid. Kostspielige und klimaschädliche Transportwege fallen weg, genauso wie unangenehme Gerüche während des Düngens. Chemische Zusätze sind bei Aquaponik-Systemen nicht notwendig: Die Gemüsebeete und die Ernte sind vollkommen frei von Schadstoffen oder Pestiziden.

Ein besonderes Beispiel für diese Art von urbaner Landwirtschaft ist das Projekt  „Tomatenfisch“, das aus einem Gewächshaus besteht, in dem jeweils ein Aquakultur- und ein Hydroponik-Kreislauf installiert ist. Am Müggelsee im Südosten Berlins arbeiten Forscher des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) an der Perfektionierung ihres Aquaponik-Systems. Unter einem Dach wachsen dort gleichzeitig Fische und Tomaten – Lebewesen mit ähnlichen Ansprüchen an die Umweltbedingungen. Daher nannte man das Projekt „Tomatenfisch“. Die geschlossenen Aquaponik-Systeme arbeiten nahezu  emissionsfrei: Energie, Wasser, Dünger und Rohstoffe werden eingespart und die Umwelt geschont. Der Wasserdampf, den die Pflanzen an die Umgebungsluft abgeben, wird rückgewonnen und kann bei Bedarf wieder dem Aquakultur-Kreislauf zugeführt werden. Dadurch verringert sich der tägliche Verbrauch der Tomatenfisch-Anlage auf unter drei  Prozent Frischwasser. 2012 erhielt das Projekt den Forschungspreis „Nachhaltige Entwicklungen“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Mehr zum Thema

UD Magazin Risiko
Quelle: UmweltDialog
 

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