Innovation & Forschung

Mit der Epigenetik dem Tierwohl auf der Spur

Die Haltungsform von Tieren wird für Verbraucher zunehmend zum Entscheidungskriterium, ob und welches Fleisch sie kaufen. Evonik hat nun einen Test entwickelt, mit dem sich für Produkte aus Hühnerfleisch nachprüfen lässt, wie die Tiere gehalten und ernährt wurden. Die neue verlässliche Methodik schafft zusätzliche Transparenz und damit Vertrauen auf Kundenseite. Entwickelt wurde sie mit Hilfe der Epigenetik.

18.11.2022

Mit der Epigenetik dem Tierwohl auf der Spur
Evonik hat einen Test entwickelt, mit dem sich für Produkte aus Hühnerfleisch nachprüfen lässt, wie die Tiere gehalten und ernährt wurden.

Das Teilgebiet der Biologie macht es möglich, anhand von Mustern auf dem Genmaterial abzulesen, welche Umwelteinflüsse auf ein Tier eingewirkt haben. Konkret bedeutet dies, dass zum Beispiel überprüft werden kann, ob Ware, die als „aus artgerechter Freilandhaltung“ deklariert wird, nicht doch aus einem Massentierbetrieb mit Antibiotika-Einsatz zur Wachstumsförderung stammt. Potenzielle Anwender sieht der Konzern in der gesamten Wertschöpfungskette der Erzeugung von Hühnchenfleisch mit einem Fokus auf landwirtschaftliche Betriebe und Einzelhandel. Evonik will mit dem neuen epigenetischen Test sein Angebot an Systemlösungen für eine nachhaltige Fleischproduktion erweitern.

Zurzeit arbeiten die Experten daran, die Testmethode auf unterschiedliche Kundenanforderungen zuzuschneiden. Hierzu baut Evonik in Singapur eine Epigenetik- und Bioinformatik-Plattform mit künftig rund zehn Mitarbeitern auf. Die Entwicklung ist so weit fortgeschritten, dass die spezifischen Tests den Kunden kurz- bis mittelfristig zur Verfügung stehen. Profitieren sollen auch die Verbraucher: mit noch mehr Transparenz über ihr Essen auf dem Teller.

Walter Pfefferle, Biologe und in leitender Funktion in der Creavis, der strategischen Forschungseinheit von Evonik und zugleich Business Incubator, tätig, sagt: „Unsere Technologie eröffnet einen völlig neuen Blick auf die Geflügelaufzucht. Wir lassen das Huhn seine Geschichte erzählen.“ Die Übersetzungshilfe liefert die Epigenetik.

Die vergleichsweise junge Wissenschaft erklärt zum Beispiel, warum sich bei gleichem Erbgut Zellen etwa in der Leber oder in den Muskeln unterschiedlich ausbilden und warum das Aussehen sich mit dem Alter verändert. Aus dem Wissen der Epigenetiker und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz leiteten Wissenschaftler vor gut zehn Jahren die erste epigenetische Uhr für den Menschen ab, die Auskunft über das biologische Alter gibt.

Epigenetik - Am Schalter des Lebens

Durch unsere Gene erben wir Eigenschaften unserer Eltern. Aber können auch äußere Einflüsse, die unsere Vorfahren erlebt haben, im Erbgut weitergegeben werden? Diese Animation erklärt dies anhand des niederländischen Hungerwinters 1944 und seine Auswirkungen auf die Nachfahren der Menschen, die ihn erleiden mussten.

 
 

Epigenetische Uhr für Hühnchen

Forscher von Evonik haben nun gemeinsam mit der Gruppe um Prof. Frank Lyko, Leiter der Abteilung Epigenetik im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, erstmals eine solche epigenetische Uhr für Hühnchen entwickelt. Dazu haben sie die sogenannten Methylierungsstellen im Hühner-Erbgut analysiert. Sie entstehen, indem Methylgruppen mit Hilfe von Enzymen auf ausgewählte Stellen im Erbgut übertragen werden. „An diesen Methylierungsstellen werden die Gene an- oder ausgeschaltet“, erläutert Pfefferle und fährt fort: „Umweltsignale wirken auf die Enzyme, die die Methylierung vermitteln. So hinterlassen Umwelteinflüsse ihre Spuren.“

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Mehr als 20 Millionen Methylierungsstellen haben die Wissenschaftler am Hühner-Genom entdeckt. Je nach Muster geben sie Auskunft darüber, was das Huhn erlebt hat. Künstliche Intelligenz (KI) und Algorithmen helfen, die Datenmengen zu analysieren und zu interpretieren.

Inzwischen hat Evonik in einer Kooperation mit Illumina, einem führenden Anbieter von Genom-Analysesystemen, einen Epigenetik-Chip entwickelt, der trotz der großen Datenflut eine schnelle Analyse, etwa von Fleischproben, ermöglicht. Die vorbehandelte Probe wird dazu auf ein Testfeld des Chips aufgetragen, der für die Probe dann die Änderungen misst. Nach Auslesen mit einem speziellen Lesegerät erfolgt die Auswertung durch KI-gestützte Algorithmen. In den Laboren in Singapur validiert Evonik nun die Methode, füttert dabei die Algorithmen mit weiteren Daten und ist dabei, neue Anwendungsfelder zu erschließen.

Die Experten der Creavis wollen in den kommenden Monaten herausfinden, welche Faktoren für potenzielle Kunden im Einzelhandel, der Fleischverarbeitung oder in der Landwirtshaft jeweils wichtig sind. Einfache Nachweise zu Tierwohl und -gesundheit, Haltungsform, antibiotischer Leistungsförderung und Medikation sowie Herkunft der Tiere, aber auch Schlachtungsform stehen inzwischen zur Verfügung. Pfefferles Fazit: „Eine nachhaltige Geflügelfleisch-Produktion, die explizit das Tierwohl einbezieht, wird greifbar.“ Evonik hat mit Hilfe moderner Wissenschaft eine Technologie in der Hand, die einen spürbaren Beitrag zur Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Union leisten kann: Für eine faire, gesunde und umweltfreundliche Ernährung.

Quelle: UD/cp
 

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