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Mit Welthandel auch Weltanschauungen exportieren

Die Globalisierung macht eine Pause, sagt der Weltwirtschaftsexperte Lukas Menkhoff. Grund ist die wachsende Politisierung der Wirtschaft. Ob globale Herausforderungen auch in Zukunft noch globale Unterstützung finden, ist dabei offen. Menkhoff mahnt: „Ob multipolar und multilateral gut miteinander harmonieren, haben wir noch nicht wirklich ausprobiert.“

17.06.2022

Mit Welthandel auch Weltanschauungen exportieren

UmweltDialog (UD): Beginnen wir mit einer Begriffsbestimmung von Globalisierung! Das meint eigentlich keine singuläre Periode der Weltgeschichte, sondern verschiedene Phasen. Welches Bild von Globalisierung haben Sie im Kopf? 

Prof. Dr. Lukas Menkhoff: Ich sehe Globalisierung als langanhaltenden Prozess seit dem 19. Jahrhundert. Wenn man das über so einen langen Zeitraum betrachtet, dann ist die Globalisierung im Moment nicht zwingend beendet, sondern sie nimmt sich vielleicht eine Pause, und wir werden sehen, wie es dann weitergeht.

UD: Wie sieht diese Pause aus? 

Prof. Menkhoff: Die Vorstellung, dass wir eine zunehmende Verflechtung in der Weltwirtschaft haben, ist seit gut zehn Jahren empirisch nicht mehr festzustellen, sondern in der Summe stagniert die internationale Verflechtung seit der Finanzkrise 2008/2009. Jetzt ist die Frage: Woran liegt das? Die Antwort, glaube ich, lautet, dass wir seitdem ein stärkeres Maß an politisch verursachten Sanktionen und Protektionismus haben und damit den Außenhandel bremsen. Diese Entwicklung wird durch die Corona-Epidemie und aktuell den Ukraine-Krieg noch einmal verstärkt. 

Hinzu kommt, dass eine Globalisierungsentwicklung nicht unendlich weitergetrieben werden kann. Es wird immer Wertschöpfung geben, die nur im jeweiligen Land erbracht werden kann wie zum Beispiel lokale Dienstleistungen. Außerdem gibt es technische Grenzen: Containerschiffe können nicht beliebig groß werden. Dies ist ein Beispiel für sinkende Grenzerträge der Globalisierung, weil die Kostensenkung im internationalen Handel nicht im bisherigen Tempo fortgeschrieben wird.

Freiheitsstatute in NY USA

UD: Kostensenkung ist ein gutes Stichwort. Lange haben wir – zumindest in Europa – Globalisierung rein betriebswirtschaftlich betrachtet. Wo kann ich was billiger produzieren? 

Prof. Menkhoff: Mit Corona und dem Krieg kommen jetzt auch politische und strategische Überlegungen mit in Betracht. Werden wir ab jetzt nicht mehr nur auf den Preis, sondern auch auf die Geopolitik schauen? Dem würde ich auf jeden Fall zustimmen. Wenn man sich die Handelspolitik der USA oder die strategischen Entscheidungen von China anschaut, dann spielt Politik schon längere Zeit eine Rolle. Dort hat Handel jenseits der Ökonomie eine klare politische Dimension, und Entscheidungen zum Außenhandel werden auch als ein Instrument benutzt, um politisch etwas zu bewirken.

UD: Waren wir Europäer da lange Zeit zu naiv? 

Prof. Menkhoff: Wir haben vielleicht stärker darauf vertraut, dass die multilaterale Weltordnung hält. Diese Ordnung ist aus unserer Sicht so schön, weil sie sehr stark nach unseren Vorstellungen gestaltet ist. 

UD: Insbesondere Deutschland hat lange von der Globalisierung und der multilateralen Ordnung profitiert. Wie sehr wird uns die globale Veränderung treffen? 

Prof. Menkhoff: Das wird davon abhängen, wie es weitergeht. Es ändert sich offensichtlich etwas in der Weltwirtschaft und der Weltpolitik, und diese Änderungen sind nicht zu unserem Vorteil als Volkswirtschaft. Im Moment sind die Auswirkungen aber noch begrenzt. Deshalb bin ich verhalten optimistisch. Man kann sich an neue Gegebenheiten anpassen, und die Welt ist groß, so dass sich auch neue Möglichkeiten eröffnen können. Wenn man jetzt zum Beispiel den Fall Russland nimmt, dann sind die Wirkungen der bisherigen Sanktionen für die gesamte deutsche Volkswirtschaft nicht so dramatisch, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag (für einzelne Unternehmen natürlich schon). Man wird sehen, wie schnell sich die Unternehmen anpassen.

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UD: Wie sehen Sie hierbei die Rolle Chinas? Manche werfen dem Land vor, bei globalen Herausforderungen in der Vergangenheit eher „Trittbrettfahrer“ gewesen zu sein. Wird China künftig offensiver auftreten?

Prof. Menkhoff: Trittbrettfahrer ist ein hartes Wort, aber klar: Sie haben asymmetrisch agiert. Das ist etwas, was man in einer Handelsordnung sich entwickelnden Ländern generell zugesteht. Sie werden anders behandelt als bereits entwickelte Länder. Bei den gegenwärtigen Wachstumsraten wird China künftig immer umfassender zu einer voll entwickelten Volkswirtschaft werden. Damit kommt das Land in eine andere Rolle, und das wissen die Entscheidungsträger. Ein schönes Beispiel sind die Entwicklungsbanken, die China initiiert, weil es unzufrieden ist mit seiner Rolle in den bestehenden Institutionen. In den klassischen Bretton-Woods-Institutionen wie Weltbank und Internationalem Währungsfonds dominieren die Amerikaner und Europäer. Wir finden das normal, weil es immer so war und wir große Geldgeber sind. Aber andere Länder finden das natürlich überhaupt nicht normal und auch nicht gut. Deshalb gründet China konkurrierende Institutionen. 

Indien wird einen ähnlichen Weg wie China beschreiten. In gewisser Weise sind wir das selbst schuld, wenn es uns nicht gelingt, die neuen globalen Realitäten zur Kenntnis zu nehmen und in passende institutionelle Arrangements zu überführen.

UD: Was muss sich in den multilateralen Organisationen ändern, damit sie die Herausforderungen unserer Zeit besser handhaben? 

Prof. Menkhoff: Die Frage ist, ob sie überhaupt noch so funktionieren können wie in der Vergangenheit und wovon das Funktionieren solcher Institutionen abhängt. Ich finde es ein Stück weit plausibel zu sagen, dass auch Multilateralismus davon begünstigt wird, dass es stärkere Spieler gibt, die die Institutionen zusammenhalten und damit natürlich asymmetrisch Macht und Gestaltungsmöglichkeiten haben. Das wird künftig schwieriger. Unsere Welt ist multipolar, und ob multipolar und multilateral gut miteinander harmonieren, haben wir noch nicht wirklich ausprobiert. Im Moment sieht es ja so aus, als würden sich Länder gegenseitig blockieren. Das sehen Sie am Beispiel der UN: Sobald vitale Interessen der Vetomächte berührt sind, gibt es ein Veto, und dann geht nichts mehr, oder jedenfalls nichts, was von der UN insgesamt getragen würde.

UD: Bleiben dabei Themen wie Nachhaltigkeit oder Klimawandel auf der Strecke?

Nachhaltigkeit ist aufgrund des Klimawandels zwingend. Da muss noch mehr passieren, völlig egal, was sonst in der Welt los ist.

Menkhoff: Nachhaltigkeit ist aufgrund des Klimawandels zwingend. Da muss noch mehr passieren, völlig egal, was sonst in der Welt los ist. Und von daher werden sich die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik überall auf der Welt weiter ändern. Zugleich ist das auch ein politisches Instrument von unserer Seite: Wir benutzen Nachhaltigkeit als Bedingung im Außenhandel. Hierbei denken wir, dass diese Verknüpfung von Handel und Nachhaltigkeit eine gute Sache ist, aber letztendlich versuchen wir damit auch, ob bewusst oder unbewusst, über Präferenzen oder Vorstellungen in anderen Ländern mitzuentscheiden. 

UD: Lange Zeit galten Globalisierung und Demokratie als Zwillingspaar. Jetzt erleben wir, dass das eine auch ohne das andere funktioniert. Ist eine Zukunft denkbar, in der Globalisierung wächst und Demokratien auf dem Rückzug sind? 

Menkhoff: Auf jeden Fall, weil sie in der Entstehungsgeschichte auch unverbunden waren. Wenn wir an die frühen Formen der Globalisierung denken, dann hatte diese Phase mit Demokratie nichts zu tun. Im Gegenteil, es war eine imperialistische Zeit, in der die frühe Globalisierung stattgefunden hat. Von daher glaube ich, das sind durchaus zwei Paar Schuhe. Und es gibt genug Beispiele, an denen man sieht, dass Länder sich wirtschaftlich erstaunlich gut entwickeln können, ohne sich zu demokratisieren. Das ist aus unserer Sicht vielleicht etwas unerwartet, weil wir als offene Gesellschaft überzeugt sind, dass es Austauschbeziehungen zwischen Marktwirtschaft und Demokratie gibt, die sich gegenseitig begünstigen. 

UD: Jetzt verlangen aber gerade viele Politiker und auch ESG-Investoren, dass Wirtschaft immer auch einem moralischen Kompass folgen soll. Ist das nicht im Widerspruch zu Ihrer Aussage? 

Menkhoff: Im Prinzip spricht nichts gegen einen moralischen Kompass, dem folgt die Politik bereits heute, beispielsweise bei Rüstungsexporten. Aber wie rigide soll der gelten, und möchten wir mit den Folgen leben? Wenn wir wirklich erwarten, dass unsere Handelspartner sich alle so ähnlich verhalten und so ähnlich denken wie wir, dann können wir nur noch im kleinen Kreis westlicher Länder handeln. Den Rest der Welt gibt es dann als Handelspartner für uns nicht mehr. Ich weiß nicht, ob das so gewollt ist, und ich weiß auch nicht, ob es besonders klug ist. 

UD: Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch!

Prof. Dr. Lukas Menkhoff ist Leiter der Abteilung Weltwirtschaft am DIW Berlin, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied der Finance Gruppe an der HU Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind internationale Finanzmärkte und finanzielle Entwicklung.

Dieser Artikel ist im Original im Magazin „UmweltDialog“ zum Thema „Globalisierung“ erschienen.

Banner UmweltDialog Magazin Ausgabe Nr. 17 Globalisierung
Quelle: UmweltDialog
 

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