Mobilität & Logistik

Was bewegt die deutsche Autoindustrie?

Die Automobilindustrie befindet sich im Umbruch. Die Richtung ist klar: weg vom Verbrenner, hin zum smarten, nachhaltigen E-Auto. Wie aber gestalten traditionelle Hersteller den Weg dorthin? Wie bleiben sie angesichts neuer Wettbewerber sowie neuer Nutzer- und regulatorischer Anforderungen weiter im Rennen? Wir stellen einige spannende Ansätze vor.

22.02.2022

Was bewegt die deutsche Autoindustrie?

Sei es in der Politik, der Forschung oder vonseiten der Autobauer selbst: Überall ist von einem „dramatischen Wandel“, einer „neuen Automobilität“, einem „neuen Mobilitätsparadigma“ oder der „Antriebswende“ zu lesen. Fest steht: Das Auto in der Form, in der wir es heute noch überwiegend nutzen, ist ein Auslaufmodell. „100 Jahre war Automobilität unmissverständlich verknüpft mit dem Besitz eines Fahrzeugs und der Notwendigkeit, es selbst steuern zu können. Beides steht nun grundsätzlich zur Disposition. Ebenso wie der Verbrennungsmotor“, wird es in einer Ausgabe von WISO DISKURS zusammengefasst.

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Rückblick: Die Entwicklung straßentauglicher Automobile krempelt die Art, mit der sich Menschen um die vorige Jahrhundertwende herum fortbewegen, komplett um. Der mit Benzin betriebene Verbrennungsmotor setzt sich dabei gegenüber Dampf- und Elektromotoren immer stärker durch. Handelt es sich zunächst noch um ein Luxusgut, können sich mit Beginn der Fließbandfertigung Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr Menschen ein Auto leisten. Endgültig zum Massenprodukt wird es in Deutschland ab den 1950er-Jahren. Im Zuge dessen wird das ganze Land auf das Auto hin optimiert, die „autogerechte Stadt“ wird entwickelt, erklärt Journalist Don Dahlmann in einer ZDF-Dokumentation.

Das macht sich noch heute bemerkbar. Theo Geers, Wirtschaftsredakteur beim Deutschlandfunk, beobachtet: Fast die gesamte Infrastruktur in Deutschland sei auf das Auto ausgelegt und nicht etwa auf das Fahrrad. Gerade in ländlichen Regionen, aber auch in der Stadt, spielt das Auto für viele Deutsche immer noch eine große Rolle, wenn es darum geht, flexibel, unabhängig und schnell unterwegs zu sein. Das geht auch aus einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie hervor. Und das hat sich in den letzten zwei, durch Corona beeinflussten Jahren nicht wesentlich geändert, wie eine ADAC-Umfrage von Oktober 2021 ergab. Das Auto wird sogar noch häufiger verwendet, während etwa jeder Dritte Bus und Bahn weniger oder nicht mehr nutzt.

Gleichzeitig wächst aber das Bewusstsein für die gesundheitlichen und ökologischen Probleme weiter, die der Autoverkehr, aber auch die Herstellung der Fahrzeuge, verursachen. Neben Luftverschmutzung, Lärm und Ressourcenverbrauch rückt hier vor allem der Treibhausgasausstoß zunehmend in den Fokus. Laut Umweltbundesamt ist der Verkehrssektor mit fast 20 Prozent CO2-Austoß – das entspricht 146 Millionen Tonnen CO2e – der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Der größte Teil der Emissionen – 2019 waren es 96 Prozent – ist auf den Straßenverkehr zurückzuführen. Für etwa 61 Prozent davon sind Benzin- und Diesel-Pkw verantwortlich. Dank strengerer Vorschriften und verbesserter Technik sind Benziner und Dieselfahrzeuge mit der Zeit immer umweltfreundlicher geworden. Weil der Verkehr insgesamt jedoch zugenommen hat, sind die CO2e-Emissionen seit den 1990er-Jahren nicht gesunken.

Das novellierte Bundesklimaschutzgesetz mit spezifischen CO2e-Minderungszielen für alle Sektoren soll das ändern. Demnach müssen die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors bis 2030 auf 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert werden. Das entspricht einer Verringerung des CO2e-Ausstoßes um rund die Hälfte im Vergleich zu 1990. Klimaneutralität soll in Deutschland bis 2045 erreicht werden. Der Umstieg auf die Elektromobilität stellt hierbei eine zentrale Säule dar und wird mit verschiedenen Maßnahmen wie dem sogenannten Umweltbonus und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur unterstützt. Konkret heißt es im Koalitionsvertrag: mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030.

Lesen Sie hier, weshalb Umweltschützern dieses Ziel nicht weit genug geht.

Wie klimaschonend Batterieautos im Vergleich zu Benzin- und Dieselfahrzeugen sind, stellte zuletzt eine Analyse der Non-profit-Organisation ICCT (International Council on Clean Transportation) heraus, über die die Süddeutsche Zeitung berichtet. Die Analyse bezieht den gesamten Lebenszyklus von der Batteriezellenproduktion bis zum Recycling ein und kommt zu dem Schluss: Die Emissionen eines Kompaktklasse-E-Autos liegen insgesamt 66 bis 69 Prozent niedriger als bei einem vergleichbaren neuen Verbrenner. Da der Anteil an grünem Strom im Strommix in Europa weiter steige, verbessere sich dieser Wert im Jahr 2030 auf bis zu 74 bis 77 Prozent, gibt die Süddeutsche Zeitung die Analyseergebnisse wieder.

Wie stehen deutsche Autobauer da?

Sei es dank der staatlichen Förderung, aus Klimaschutzgründen oder auch wegen der stark gestiegenen Benzinpreise: Elektrofahrzeuge sind hierzulande beliebter denn je. Auch weltweit wächst die Nachfrage nach Elektroautos rasant: Die Neuzulassungen für BEV verdoppelten sich 2021 auf 4,5 Millionen. In Deutschland dominieren nach wie vor deutsche Autobauer den Markt für Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge, wobei Volkswagen hier vor Mercedes-Benz, BMW und Audi an der Spitze steht. Mit Blick auf rein batteriebetriebene Elektroautos liegt ebenfalls VW vorne vor Tesla und Smart. Volkswagen schnitt auch beim jüngsten Innovationsranking des Center of Automotive Management am besten ab: Hier punkteten die Wolfsburger vor allem bei den Themen Elektromobilität und Benutzeroberfläche. International betrachtet hinken deutsche Hersteller jedoch hinter Konkurrent Tesla und chinesischen Herstellern hinterher: Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC sank der Marktanteil der deutschen Autobauer im letzten Quartal 2021 von 17 auf 14 Prozent.

Hiesige Hersteller stehen vor diesem Hintergrund zunehmend unter Druck, beim Thema emissionsfreie Mobilität Tempo zu machen. Und tatsächlich verkünden alle großen Autobauer ambitionierte Elektrifizierungsstrategien und erhöhen ihre Investitionen. Beispiel Volkswagen: Bis 2030 soll die Hälfte der VW-Modelle batteriebetrieben sein. Bis 2040 sollen dann in den wichtigsten Märkten fast nur noch emissionsfreie Autos gefertigt werden.

Die Porsche E-Performance Model Range.
Die Porsche E-Performance Model Range.
Audi Q4 Sportback 50 e-tron quattro
Audi Q4 Sportback 50 e-tron quattro

Die Sportwagen-Tochter Porsche wiederum plant, dass bis 2030 mehr als 80 Prozent der Neufahrzeuge vollelektrisch oder mit Hybridantrieb fahren. Die Elektrifizierung ist für Porsche eine der zentralen Stellschrauben, wenn es um die Vermeidung von CO2-Emissionen und das Ziel geht, ab 2030 über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg bilanziell CO2-neutral zu sein. Zusätzlich forscht Porsche an alternativen Kraftstoffen, die in Verbrennern und Plug-In-Hybriden einsetzbar sind.

Auch die VW-Tochter aus Ingolstadt will zukunftsfähig bleiben und die Transformation der Branche mitgestalten. Begonnen hat alles 2018 mit dem Start der Großserienfertigung des Audi e-tron im Werk Brüssel. (Roadmap E: Audi im Zeichen der Elektromobilität | Audi MediaCenter (audi-mediacenter.com)) Seitdem baut Audi seine Flotte an Elektrofahrzeugen weiter aus. Im vergangenen Jahr brachte das Unternehmen bereits mehr E-Autos als Verbrenner auf den Markt. Etappenziel bis 2025 ist, mehr als 20 vollelektrische Modelle im Angebot zu haben, ab 2033 will man dann ausschließlich E-Autos anbieten. In den Jahren 2022 bis 2026 hat Audi Investitionen von rund 18 Milliarden Euro für die Elektrifizierung und Hybridisierung vorgesehen. „Auf dem Weg in eine strombasierte Gesellschaft sind E-Autos die mit Abstand effizienteste Technologie“, ist Audi CEO Markus Duesmann überzeugt. Plug-in-Hybride betrachtet man dabei als Brückentechnologie, die den Einstieg ins vollelektrische Fahren erleichtert.

Mehr Ladestationen benötigt

Damit sich die Elektromobilität noch schneller durchsetzt, braucht es ein gut ausgebautes Ladesäulennetz. Die EU hat hierzu entsprechende Ausbauziele vorgeschrieben. Zu wenige Ladestationen sowie eine zu geringe Reichweite und höhere Anschaffungskosten wurden in der Deloitte-Umfrage zudem als die häufigsten Bedenken in Bezug auf die Elektromobilität genannt – Grund genug, sich als Autohersteller auch auf diesem Feld zu engagieren. Der Audi-eigene Ladedienst zum Beispiel ist mit derzeit rund 290.000 Ladepunkten bereits in 26 europäischen Ländern verfügbar. Er greift auf das Schnellladenetz IONITY zurück, das der Volkswagen-Konzern mit Audi und Porsche 2017 gemeinsam mit BMW, Daimler und Ford gegründet hat.

In Nürnberg testet Audi außerdem seit Dezember den ersten Audi charging hub mit reservierbaren Schnellladepunkten und Wartebereich. Mit dem Konzept will Audi seinen Kund_innen schnelles und komfortables Laden im urbanen Raum ermöglichen, das kostenmäßig mithalten kann mit dem Laden an der heimischen Wallbox. Als Stromspeicher dienen sogenannte Second-Life-Batterien aus zerlegten Entwicklungsfahrzeugen. Das bringt laut Audi nicht nur Kosten- und Umweltvorteile mit sich: „Dank des rund 2,45 MWh großen Zwischenspeichers benötigen die Ladepunkte in Nürnberg lediglich einen 200-kW-Grünstrom-Anschluss an das ohnehin verfügbare Niederspannungsnetz, das für den Betrieb des Audi charging hub völlig ausreicht.“ Schnell soll das Auftanken auch noch gehen, sagt Audi: Einen Audi e-tron oder e-tron GT zu 80 Prozent zu laden, dauere zwischen 20 und 30 Minuten.

Autonomes Fahren

Digitalisierung verändert Branche

Neben der Antriebs-Frage beschäftigt die deutsche Automobilindustrie zunehmend die Frage, wie sie dem Digitalisierungstrend begegnen soll. Von der Informationselektronik über Fahrerassistenzsysteme bis hin zum autonomen Fahren werden das Auto und das Fahren mittels digitaler Technik immer komfortabler, sicherer und effizienter gemacht. Doch was bedeutet es für traditionelle Hersteller, wenn die Software künftig wichtiger ist als die Karosserie? Und wenn Unternehmen jenseits der Automobilität – wie Telekommunikations-, IT-, Software- oder Energieunternehmen – als Konkurrenten auf den Markt drängen? So beobachten die Autoren von WISO DISKURS, „dass die IT-Wirtschaft – insbesondere die global operierenden Firmen aus dem Silicon Valley, aber auch die entsprechenden chinesischen IT-Firmen – seit einigen Jahren die Branchengrenzen überschreitet und die etablierte Autoindustrie mit neuen Konzepten des Fahrens und des Nutzens von Automobilen auf der Grundlage ihrer digitalen Kompetenz direkt, visionär, kapitalkräftig und aggressiv angreift.“

„Digitalisierung, E-Mobilität und Regulierung – alle klassischen Autobauer stehen derzeit vor den gleichen Aufgaben. Da gibt es keine großen Unterschiede. Entscheidend ist vielmehr, dass die Branche die Transformation nicht meistern wird, wenn sie an alten Strukturen festhält“, fasst Audi CEO Markus Duesmann die größten Herausforderungen zusammen. „Der Fokus auf Software beispielsweise ist ein Paradigmenwechsel und muss auch die Art und Weise, wie wir unsere Modelle künftig entwickeln, verändern. Audi hat hier smarte Ansätze: Wir ordnen unsere Baureihen nicht mehr nach dem Blechkleid, sondern nach dem Grad der Digitalisierung, also dem Bordnetz. Das ist schon eine Revolution.“

Dirk Große-Loheide, Mitglied des Vorstands der Audi AG Beschaffung und IT bestätigt: „Software wird ein zentrales Thema sein, sowohl im Auto als auch in der Zusammenarbeit.“ Mit CARIAD, die seit 2020 operativ tätig ist, kümmert sich eine eigene Konzerntochter markenübergreifend um die Softwareentwicklung im Fahrzeug. Damit will man das „notwendige, wettbewerbsdifferenzierende Know-how“ im Konzern halten und ausbauen, erklärt Audi. Zudem hat Audi etwa den Geschäftsbereich für Frontkamerasoftware vom Softwarespezialisten HELLA Aglaia Mobile Vision GmbH übernommen.

Und beim Mutter-Konzern liest man: Volkswagen will bis 2025 rund 27 Milliarden Euro in die Digitalisierung von Produkten und Unternehmen stecken. „In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, auch bei der Software im Fahrzeug eine Spitzenposition einzunehmen. Nur als digitaler Mobilitätskonzern können wir den Bedürfnissen der Menschen nach individueller, nachhaltiger und vollvernetzter Mobilität in Zukunft gerecht werden“, so Vorstandsvorsitzender Herbert Diess.

Mit Blick auf die automobile Zukunft sind noch viele Fragen offen: Wie wirkt sich die nachlassende Nachfrage nach privaten Pkw aus, die sich aus dem Trend zur Sharing Mobility ergibt? Wie lange wird es dauern, bis die letzten Verbrenner über die Straßen rollen? Welche Auswirkungen wird die Transformation auf die Beschäftigten der Automobilindustrie haben? Welche Bereiche werden überflüssig, und wo entstehen neue Job-Chancen? Werden die Unternehmen ihre Bekenntnisse zum Klimaschutz konsequent umsetzen? Außer Frage steht, dass viel Bewegung gekommen ist in die Automobilindustrie. Jetzt gilt es, den Schwung für eine nachhaltige Zukunft zu nutzen.

Quelle: UmweltDialog
 

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