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EU Reporting

Ist Nachhaltigkeit mittlerweile selbst unnachhaltig?

Nachhaltigkeit war früher ein Randthema, wurde durch Bewegungen wie Fridays for Future und EU-Vorgaben kurzzeitig zum Trend, scheiterte dann aber an Bürokratie, Krisen und Lobbyismus. Heute schrecken viele Unternehmen vor dem „Bürokratiemonster“ zurück. Wir brauchen ein neues, zeitgemäßes Nachhaltigkeitsverständnis – jenseits von Idealismus und Zwang, aber mit echten Lösungen, nicht nur alter Theorie.

26.03.2025

Ist Nachhaltigkeit mittlerweile selbst unnachhaltig?

ESG-Gegenreaktion wegen Geopolitik

Georg Kell, Gründungsdirektor des UN Global Compact, sieht Unternehmen nicht vor der Wahl zwischen Idealismus und Pflicht – vielmehr gelte es, einen pragmatischen Weg zu finden, der Widerstandsfähigkeit, lokale Gegebenheiten und langfristige Geschäftsziele miteinander in Einklang bringt.

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Einige Großunternehmen hätten allerdings begonnen, zentrale Nachhaltigkeitsinitiativen wie Dekarbonisierung oder soziale Inklusion zurückzufahren. Der Grund: Die erhofften finanziellen Erträge lassen bislang auf sich warten. Kurzfristige Gewinne werden daher zunehmend über langfristige Investitionen gestellt.

Währenddessen setzt Politik neue Prioritäten: Die vielleicht tiefgreifendste Veränderung der letzten Jahre ist die Rückkehr machtpolitischer Überlegungen. In dieser neuen Realität haben geopolitische Interessen und Sicherheitsaspekte Vorrang vor wirtschaftlichen Zielen. Handel und Investitionen sind nicht länger primär auf Wachstum ausgerichtet, sondern dienen verstärkt der strategischen Machtsicherung.

Mit dem erneuten Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen deutet sich eine Abschwächung der globalen Klimapolitik an. Auch in Europa wächst der Widerstand gegen regulatorische Nachhaltigkeitsvorgaben – sie werden zunehmend als wirtschaftlicher Wettbewerbsnachteil empfunden. Georg´s Hoffnung: Letztendlich wird der Planet die Politik übertrumpfen. Klimarealität schlägt Parteipolitik.

Weg von der reinen „Abhak“-Mentalität

Auch René Schmidpeter sieht Nachhaltigkeit am Scheideweg: Globale Unsicherheiten und wachsender wirtschaftlicher Druck verändern den Blick auf Nachhaltigkeit grundlegend. Geopolitische Spannungen, nationale Interessen und kurzfristige Renditeziele bestimmen zunehmend unternehmerische Entscheidungen. In diesem Umfeld gerät das bisherige ESG-Rahmenwerk ins Wanken. Was einst als strategischer Vorteil galt, wird heute oft nur noch als Belastung durch Regulierung wahrgenommen.

Viele Unternehmen sehen Nachhaltigkeit nach wie vor als isolierte Pflichtübung – ein Punkt auf der Compliance-Checkliste. Doch dieser Ansatz greift zu kurz. Nachhaltigkeit muss raus aus der Abteilung, rein ins Kerngeschäft. Nicht als Selbstzweck, sondern als Bestandteil unternehmerischer Wertschöpfung.

Derzeit beschränken sich viele Organisationen auf das Mindestmaß an ESG-Aktivitäten. Das führt zu berechtigter Kritik: Wenn Nachhaltigkeit nur als Kostenfaktor verstanden wird, erscheint sie als Bremsklotz für wirtschaftliches Wachstum – anstatt als Innovationsmotor.

Gefragt ist ein neuer, integrierter Ansatz: Nachhaltigkeit sollte mit betriebswirtschaftlicher Relevanz, operativer Umsetzung und strategischer Steuerung verknüpft werden. So entsteht kein zusätzlicher Aufwand, sondern ein belastbares Fundament für zukunftsfähiges Wirtschaften.

Wettbewerbsfähigkeit vs. Nachhaltigkeit? Ein falsches Dilemma.

Andreas Rasche, Professor an der Copenhagen Business School, beobachtet wie kaum ein zweiter aufmerksam die Entwicklung:

Die EU versucht, durch Vereinfachungen bei der Nachhaltigkeitsregulierung Entlastung zu schaffen – stützt sich dabei aber auf eine irreführende Grundannahme: Dass Berichterstattung und Sorgfaltspflichten vor allem als Kostenfaktoren gelten, die europäische Unternehmen im globalen Wettbewerb schwächen.

Diese einseitige Erzählung hat die politische Debatte verzerrt. Was ursprünglich als Vereinfachung gedacht war, droht nun in eine schleichende Deregulierung umzuschlagen.

Die Folge: Die Diskussion reduziert sich auf ein scheinbares Entweder-oder: Entweder umfassende Nachhaltigkeitsdaten oder wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Narrativ blendet aus, welchen strategischen Mehrwert Nachhaltigkeitsberichterstattung und Sorgfaltspflichten für Unternehmen haben können. Wer nur auf kurzfristige Entlastung schaut, verpasst die Chance, ESG als Zukunftsthema wirtschaftlich zu nutzen.

Gerade jetzt hätte Europa die Chance, international voranzugehen – und zu beweisen, dass Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig stärken können.

„Post Omnibus“: Wie geht es jetzt eigentlich weiter?

Das jüngste Treffen des Europäischen Rates hat zwar eine Richtung vorgegeben, lässt aber viele Fragen offen. Der Rat spricht sich für die Einführung des sogenannten „Stop-the-Clock“-Mechanismus bis spätestens Juni 2025 aus. Das Europäische Parlament wird bereits am 1. April über eine dringliche Behandlung abstimmen, eine rasche Befassung durch den Rat gilt als wahrscheinlich.

Die Maßnahme soll Unternehmen in der „Wave 2“ mehr Zeit verschaffen – konkret würde die Frist auf den 31. Dezember 2025 verschoben, was sie von einer Anwendung der neuen Regelungen ab dem 1. Januar 2026 zunächst ausnimmt.

Auch beim umfassenderen Omnibus-Vorschlag drängt der Rat auf Tempo. Er fordert die Mitgesetzgeber auf, alle Pakete möglichst früh im Jahr 2025 abzuschließen – und zwar „vorrangig und mit hoher Ambition“. Das lässt vermuten, dass der politische Wille zu weitreichenden Änderungen vorhanden ist. Gleichzeitig steigt damit der Druck auf das Gesetzgebungsverfahren – und auf Unternehmen, die sich weiterhin auf unklare und möglicherweise kurzfristige Anpassungen einstellen müssen.

Quelle: UmweltDialog
 

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