Chemieindustrie kann 20 Prozent ihres CO2-Bedarfs aus Biomasse decken
Eine neue Studie zeigt, dass die Chemie- und Grundstoffindustrie bis 2050 ein Fünftel ihres globalen Kohlenstoffbedarfs nachhaltig aus Biomasse beziehen könnte. Technologische Innovationen und effizientere Landwirtschaft sind entscheidend. Besonders lignozellulosehaltige Rohstoffe wie Stroh und Holz könnten eine Schlüsselrolle spielen. Das Potenzial für eine defossilisierte Chemiebranche ist enorm.
27.02.2025
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Eine neue Studie, die von der Renewable Carbon Initiative (RCI) und dem Biobased Industries Consortium (BIC) in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass es möglich ist, bis 2050 20 Prozent des gesamten globalen Kohlenstoffbedarfs der Chemie- und Grundstoffindustrie aus Biomasse nachhaltig zu decken. Diese wichtige Erkenntnis unterstreicht das Potenzial für eine Defossilisierung der Branche, die derzeit zu mehr als 90 Prozent auf fossile Ressourcen angewiesen ist, um ihren Kohlenstoffbedarf zu decken.
Die Chemie- und Folgeindustrien sind in hohem Maße von Kohlenstoff abhängig, wobei mehr als 90 Prozent dieses eingebetteten Kohlenstoffs heute aus fossilen Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Kohle stammen, die wesentlich zum Klimawandel beitragen. Um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, muss der eingebettete Kohlenstoff in Chemikalien und Materialien defossilisiert und durch erneuerbare Alternativen aus biogenem Kohlenstoff, Kohlenstoff aus CO2 und Recycling ersetzt werden. In verschiedenen Studien wird der Anteil der Biomasse auf etwa 20 Prozent geschätzt. Es herrscht jedoch Skepsis darüber, wie viel Biomasse neben dem Bedarf an Lebens- und Futtermitteln tatsächlich verfügbar ist.
RCI und BIC haben eine Studie in Auftrag gegeben, die sich mit der Kernfrage beschäftigt: Können Agrar- und Forstbiomasse zusammen nachhaltig genügend Biomasse liefern, um 2050 20 Prozent des künftigen Kohlenstoffbedarfs der chemischen Industrie und der Grundstoffindustrie zu decken, gegenüber 5,5 Prozent (EU27) und 10 Prozent (weltweit) im Jahr 2023? Die Studie wurde vom nova-Institut (DE) in Zusammenarbeit mit EuroCARE Agricultural Policy Research (DE) und dem Thünen-Institut für Forstwirtschaft (TI-WF, DE) durchgeführt.
Um diese Frage auf objektive, wissenschaftliche Weise zu untersuchen, wurde in der Studie eine belastbare Datenbasis für die aktuelle Biomassenutzung erhoben und verschiedene Zukunftsszenarien entwickelt, um eine Reihe möglicher Entwicklungen zu modellieren. Diese Szenarien bestehen aus einem Business-as-usual (BAU), zwei grünen Low Resource Depletion (LRD) und drei grünen High Technology (HT) Szenarien. Zusammen mit EuroCare und Ti-WF wurden dann die Entwicklungen der Biomasseverfügbarkeit für diese Szenarien analysiert, sowohl für die Landwirtschaft als auch für die Forstwirtschaft.
Das wichtigste Ergebnis der Studie: Ja – die Deckung von 20 Prozent des gesamten globalen Kohlenstoffbedarfs des Sektors Chemikalien und Folgeprodukte im Jahr 2050 aus Biomasse ist nachhaltig machbar. Unter dem moderaten HT-Szenario, das die wahrscheinlichste Entwicklung darstellt, kann der Anteil von 20 Prozent erreicht werden, ohne die Versorgung mit Nahrungs- und Futtermitteln und Biokraftstoffen zu gefährden. Deutlich mehr als 20 Prozent des Kohlenstoffbedarfs aus Biomasse zu decken, wäre bei der derzeitigen Biokraftstoffpolitik und einem nur moderaten High-Tech-Szenario für die Landwirtschaft kaum möglich; stärkere Hightech-Szenarien könnten hier bis zu 40 Prozent liefern.
Landwirtschaft:
In allen Szenarien wird davon ausgegangen, dass die landwirtschaftliche Biomasseproduktion bis 2050 stetig wachsen wird. Der Hauptgrund dafür ist die zusätzliche Nachfrage nach Nahrungs- und Futtermitteln aufgrund des Bevölkerungswachstums von 7,7 auf 9,6 Milliarden Menschen bis 2050. Je nach Art des Szenarios – Business-as-usual (BAU), Green Low Resource Depletion (LRD) oder Green High Technology (HT) – liegen die Wachstumsraten zwischen 24 Prozent und 53 Prozent , für BAU beträgt der prognostizierte Anstieg 31 Prozent beziehungsweise auf dann 5,07 Milliarden Tonnen.
Die prognostizierte künftige Nachfrage nach Stärke, Zucker und Pflanzenöl – die 2050 immer noch die wichtigsten Rohstoffe für die chemische Industrie sind – kann in den High-Tech-Szenarien gedeckt werden: Der erforderliche Mehrertrag liegt bei etwa 10 Prozent (im Vergleich zu BAU), so dass das moderate HT+10-Szenario zur Deckung der Nachfrage völlig ausreicht. Stärkere Hightech-Szenarien in der Landwirtschaft, zum Beispiel durch KI, Präzisionslandwirtschaft, Drohnen oder GVO, können sogar genug Biomasse liefern, um das 20 Prozent-Ziel deutlich zu übertreffen, nämlich bis zu circa 40 Prozent.
Technologische Innovationen spielen die wichtigste Rolle bei der Erreichung des 20 Prozent-Ziels. Gleichzeitig kann durch die effizientere Erzeugung und Nutzung von Biomasse in HT-Szenarien mehr Land für die Wiederherstellung der Natur zur Verfügung gestellt werden.
Um den Anteil der verfügbaren Biomasse zu erhöhen, können mehr lignozellulosehaltige Rohstoffe wie Stroh, Holz und Bioabfall verwendet werden. Der Zugang zu diesen speziellen Rohstoffen steht jedoch in starkem Wettbewerb mit nachhaltigen Flugkraftstoffen (SAF), die durch Quoten politisch stark gefördert werden.
Die Menge des verfügbaren Strohs könnte erheblich gesteigert werden, wenn neben Weizen-, Gersten-, Roggen- und Haferstroh auch Mais- und Reisstroh genutzt werden würde. Wenn diese Mengen zur Verfügung stünden, könnte sich Stroh zu einem wichtigen Rohstoff für die Chemie entwickeln.
Forstwirtschaft:
Das weltweite Angebot und die Nachfrage nach Industrierundholz (Nadel- und Laubholz) werden zwischen 2020 und 2050 um schätzungsweise 38 Prozent steigen, von 0,9 auf 1,3 Milliarden Tonnen Trockenmasse (t TM) pro Jahr. Der größte Anstieg des Angebots wird in Asien (69 Prozent), einschließlich China und Russland, erwartet, aber auch für Europa wird ein signifikanter Anstieg von 32 Prozent gesehen. Die Unterschiede zwischen den Szenarien sind hier im Vergleich zum Agrarsektor vergleichsweise gering.
Die zusätzliche Nachfrage der Chemie- und Werkstoffindustrie ist vergleichsweise gering im Vergleich zu den schnell wachsenden traditionellen Anwendungen von Holz, vor allem im Bau- und Möbelbereich. Dies bedeutet, dass es im Prinzip sehr gut möglich ist, die Nachfrage der Chemie- und Werkstoffindustrie langfristig zu decken. Es gibt mehrere Möglichkeiten, dies zu erreichen: (1) Nutzung eines relativ kleinen Anteils des gesamten industriellen Rundholzangebots (Bewertung der Kosteneffizienz), (2) Nutzung von Nebenprodukten aus der industriellen Rundholzverarbeitung (Problem des hohen Wettbewerbs) oder (3) Umleitung eines relativ kleinen Anteils aus dem Energieholzsektor.
Bei einer ganzheitlichen Betrachtung ist der zusätzliche Bedarf der chemischen Industrie an Biomasse zur Deckung von 20 Prozent ihrer Produktion bis 2050 selbst für Europa vergleichsweise gering: Der Bedarf an landwirtschaftlicher Primär-Biomasse in Europa würde etwa 8 Prozent des Gesamtangebots (30 von 390 Mio. t dm) und etwa 3 Prozent des Angebots der europäischen Forstwirtschaft (Industrierundholz, Brennholz und industrielle Rundholznebenprodukte, 12,6 von 398 Mio. t dm) erfordern.
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