Deutschland verfehlt CO2-Ziele trotz Ausbaus nachhaltiger Energien
Die enervis-Studie "Der ideale Kraftwerkspark" warnt vor Fehlentwicklungen bei der Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks: Ohne einen systematischen Umbau der deutschen Kraftwerkslandschaft wird das Klimaschutzziel bis 2040 um 35 Prozent verfehlt - Alte ineffiziente Kraftwerke und falsche Anreizsysteme verdrängen insbesondere CO2-arme Gaskraftwerke und verhindern Neuinvestitionen. enervis-Geschäftsführer Uwe Hilmes: "Wenn wir nicht zeitnah alte Kraftwerke durch moderne, hocheffiziente und flexible Kapazitäten ablösen, verpuffen unsere Investitionen in die erneuerbaren Energien."
12.05.2014
Bei den erneuerbaren Energien ist Deutschland Technologieführer. Bei der Anpassung des konventionellen Kraftwerksparks bleibt die Bundesrepublik dagegen hinter ihren selbst gesteckten Vorgaben zurück. Die Konsequenz: Wenn der aktuelle Kraftwerkspark in den nächsten zehn Jahren nicht grundlegend umgebaut wird, wird Deutschland seine CO2-Reduktionsziele trotz der Anstrengungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien dramatisch verfehlen. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie "Der ideale Kraftwerkspark - flexibel, klimafreundlich, kosteneffizient. Maßstab für einen optimierten Entwicklungspfad der Energieversorgung bis 2040", die das Berliner Energieberatungsinstitut enervis energy advisors im Auftrag der Trianel Kraftwerksgesellschaften erstellt hat.
Bis zum Jahr 2023 - dem Jahr nach dem endgültigen Atomausstieg - wird den Berechnungen zufolge das nationale Reduktionsziel für den Kohlendioxidausstoß um rund 12 Prozent verfehlt; bis 2040 beläuft sich die Lücke sogar auf 35 Prozent. Kern des Problems ist, dass Deutschland bisher an seinem hohen Bestand an alten und wenig effizienten Braunkohle- und Steinkohlekraftwerken festhält. Diese drängen die für die Zukunft dringend benötigten flexiblen und klimaschonenden Kapazitäten wie Gas-und-Dampfturbinen-Kraftwerke aus dem Markt.
"Unsere Berechnungen zeigen, dass wir drauf und dran sind, unsere Investitionen in die erneuerbaren Energien ad absurdum zu führen", sagte Hilmes. "Wenn wir aus den veralteten Technologien nicht sukzessive aussteigen, dann verpufft das Geld, das wir in den Ausbau der erneuerbaren Energien stecken. Denn der Klimaschutz, den wir damit erreichen könnten, wird durch einen alten und vergleichsweise unflexiblen konventionellen Kraftwerkspark weitgehend wieder zunichte gemacht."
Als Ursache für die aktuelle Entwicklung nennen die Energieexperten die derzeitige Ausgestaltung des Strommarktdesigns, in dem die Börsenpreise für Strom immer weniger Anreize bieten, in neue Anlagen zu investieren. Langfristig werden so erneuerbare Energien durch veraltete Kraftwerke ergänzt, um die Versorgungssicherheit aufrechterhalten zu können, wenn Sonne und Wind die benötigten Strommengen nicht liefern könnten. "Im Sinne der Energiewende und auch aus energiewirtschaftlicher Sicht sollten hocheffiziente und flexible Kraftwerke und Speicher die Partner der erneuerbaren Energien sein", so Hilmes.
Das Studiendesign
Für die Studie untersuchte enervis, wie "der ideale Kraftwerkspark" der Zukunft aussehen sollte, um den Atomausstieg 2022 zu kompensieren und den wachsenden Anteil der erneuerbaren Energien im Strommix optimal zu ergänzen. Dafür entwickelten die Wissenschaftler zunächst ein "Idealszenario", das von 2014 bis 2040 Jahr für Jahr hochrechnet, welche konventionellen Kraftwerke und Speichertechnologien den Ökostrom flankieren müssten, um den Kraftwerkspark jeweils so kosteneffizient, klimafreundlich und flexibel wie möglich zu halten. Gleichzeitig muss die zuverlässige Stromversorgung jederzeit gewährleistet sein. Der aktuelle Bestand an Kraftwerken wurde dabei bewusst nicht berücksichtigt, sondern einem zweiten Szenario ("Realszenario") zugrunde gelegt. In diesem "Referenzszenario" rechneten die Experten hoch, wie sich der aktuelle Bestand an Kraftwerken nach Laufzeiten und zu erwartendem Zubau entwickeln würde - und welche Konsequenzen dies hätte.
Die Studienergebnisse
Der Vergleich des "idealen" mit dem "realen" Szenario weist nach, dass schon heute zehn Prozent mehr Kapazität aus Braunkohle- und Steinkohlekraftwerken existiert, als in einem kostenoptimierten Modell nötig wäre. Im Jahr 2017 werden es bereits 30 Prozent sein, die unter Klimaschutzgesichtspunkten nicht optimal sind. Der Grund: Angesichts des steigenden Stromanteils aus erneuerbaren Energien sinkt der Bedarf an Grundlast, den die konventionellen Kraftwerke vorhalten müssen. Gleichzeitig nimmt aber die Volatilität der Residuallast zu. Dies ist die Differenz zwischen der von den Stromkunden nachgefragten Leistung und der erbrachten Leistung der nicht steuerbaren erneuerbaren Kraftwerke. Besonders in der zweiten Hälfte des Untersuchungszeitraums (2026 bis 2040) wird deutlich, dass der dann zu erwartende Bestandskraftwerkspark immer weniger zum idealen Kraftwerkspark der Zukunft passt. So bleiben im "realen" Szenario ab Ende der 2020er Jahre die Kapazitäten von Braun- und Steinkohlekraftwerken nahezu konstant bei rund 18 GW - was rund ein Viertel der Gesamtkapazitäten wäre. Im "Idealszenario" würden Kohlekraftwerke im Jahr 2040 hingegen weniger als zehn Prozent der Kapazitäten stellen.
Zugleich zeigt die Studie, dass gerade die alten, wenig effizienten Bestandskohlekraftwerke überproportional hohe CO2-Emissionen verursachen: Zu Beginn des Untersuchungszeitraums liefern Braun- und Steinkohlekraftwerke etwa 78 Prozent des Stroms, verursachen aber 90 Prozent des Kohlendioxidausstoßes; gegen Ende des Betrachtungszeitraums liegt ihr Produktionsanteil nur noch bei 48 Prozent - der Anteil an den Emissionen aber immer noch bei 68 Prozent.
Schlussfolgerung
"Wir sollten uns die Frage stellen: Wie können wir unseren Kraftwerkspark so umbauen, dass er die erneuerbaren Energien kosteneffizient ergänzt und gleichzeitig die Klimaschutzziele einhält", erklärt enervis-Studienleiter Dr. Nicolai Herrmann. Dafür hat das Institut in einem dritten Szenario den "optimierten Kraftwerkspark" der Zukunft entwickelt. Das Ergebnis: Um zu einem Umbau der Kraftwerkslandschaft zu kommen, ist nicht nur ein neues Strommarktdesign vonnöten. Zusätzlich zu den bereits angekündigten Stilllegungen sollte der Bestand alter, energiewirtschaftlich ineffizienter Stein- und Braunkohlekraftwerke um weitere 4.300 MW verringert werden. Dies würde die derzeit brachliegenden Investitionen u. a. in Gas- und GuD-Kraftwerke wieder stärken, hocheffiziente und klimaschonende Kraftwerke würden nicht in die Kaltreserve überführt werden müssen. Dadurch würde sich der "reale" Kraftwerkspark an den "idealen" Kraftwerkspark annähern und die nationalen CO2-Reduktionsziele wären erreichbar. "Die Energiewende ist ein Klimaschutzprojekt. Wenn Deutschland es damit wirklich ernst meint, dann muss es gerade auch bei den konventionellen Kraftwerken umdenken", forderte Geschäftsführer Uwe Hilmes.