Politik

Die empathische Strategin: Leonie Bremer

„Behaltet diese lockere Art, Fragen zu stellen, unbedingt bei“, sagt Leonie Bremer (22) und lächelt, während sie sich auf dem Beifahrersitz wieder nach vorne dreht. Sie weiß, wovon sie spricht, denn als eines der bekanntesten Gesichter von „Fridays for Future Deutschland“ organisierte die junge Aktivistin im letzten Jahr nicht nur zahlreiche Klimaproteste, sondern war ebenfalls ein gefragter Gast in Polittalkshows.

30.11.2020

Die empathische Strategin: Leonie Bremer zoom

von Alex Matzkewitz

In TV-Formaten wie „Hart aber fair“ (ARD) mit Frank Plasberg saß sie neben dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier und debattierte konsequent über Klimaschutz, warf ihm vor, dass es die Bewegung nicht gebraucht hätte, wenn Politiker wie er klimafreundlich statt profitorientiert für die Wirtschaft arbeiten würden. Das Medienecho ließ nicht lange auf sich warten: Sie wirke kühl, unbequem und uneinsichtig. Reaktionen, die niemanden kalt lassen und sich vor allem nicht um den Inhalt drehen. „Ein Wissenschaftler, mit dem ich eng im Austausch stehe, meinte letztens zu mir, dass mich mittlerweile so schnell nichts mehr aus der Ruhe bringt. Dabei bin ich gerade für die Rationalität an mir dankbar“, resümiert Leonie. Vielleicht braucht es eben diese rationalere Seite, wenn Emotionen durch die Öffentlichkeit verstärkt werden.

Heute geht es in kein TV-Studio. Wir sind unterwegs in Hamburg. Ein kühler, windiger Donnerstag. Erster Halt: Boberger Dünen. Fotoshooting, Kaffee und ein Gespräch. Welches am Ende des Tages ein ganz anderes Bild auf Leonie werfen wird.

„Wenn ich eine Sache auf der Welt verändern könnte, ich würde die Prioritäten von Menschen in Machtpositionen anders setzen.“

„Wenn ich eine Sache auf der Welt verändern könnte, ich würde die Prioritäten von Menschen in Machtpositionen anders setzen.“

Leonies Ton wird schroffer. Dabei wirkt die Masterstudentin der erneuerbaren Energien anfangs eher introvertiert. „In großen Diskussionsrunden presche ich nie unüberlegt vor. Ich gucke, wer teilnimmt, und versuche, die jeweiligen Positionen zu verstehen. Wenn alles an Inhalten gesagt ist, ist eben alles gesagt.“ Leonie ist keiner dieser Menschen, die das Rampenlicht suchen oder gar brauchen. Es geht ihr um die Botschaft. Um ihr Thema. Klimaschutz und die dazu- gehörigen politischen Veränderungen, die weit über das Thema Umweltpolitik hinausgehen. Schon immer sei sie empathisch gewesen und sehr tierlieb.

Die überzeugte Veganerin bemerkt bereits in ihren frühen Jahren, dass sie gesellschaftliche Veränderungen herbei- führen wolle. Ellenbogenmentalität und vor allem der steigende Konkurrenz- sowie Leistungsdruck in der Schule waren ihr zuwider. Feiern gehen, Drogen, Alkohol – es ist bis heute nicht ihre Welt. Schminktipps oder Modetrends: Fehlanzeige. Leonie sucht Gleichgesinnte, findet diese im Rahmen der Proteste im Hambacher Forst (von den Aktivistinnen und Aktivisten „Hambi“ genannt). Von hier aus gelangt sie zu „Fridays for Future“ und engagiert sich auf bundesweiten Demonstrationen. „Die Diskussionen, das gegenseitige Skill-Sharing und der ständige Austausch mit den Leuten gefällt mir am besten. Es geht aber nicht um den Spaß, den wir häufig miteinander haben, sondern ums Erreichen der Ziele“. Dafür gilt es, kommunikative und inhaltliche Aspekte zu bündeln. Denn in Zukunft zieht es die Bewegung zu den großen, globalen Playern. Die Entscheider sollen unter Druck gesetzt werden. Leonie will handfeste Ergebnisse in Sachen Klimapolitik. Popularität ist ein Mittel hierzu. Nicht das Ziel. Ihre Strategie erbaut sich aus ihren Idealen. Klimaschutz, Tierschutz und Sozialpolitik. „Fridays for Future“ zielt auf den nächsten Step.

„Ich mag es sehr, innerhalb von Fridays for Future an der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu arbeiten. Die strategische Planung samt Durchführung ist genau mein Ding. Letzten Endes ist FFF aber keine Marke, denn dann wären wir käuflich. Es geht um den Planeten, statt um Profit.“

„Ich mag es sehr, innerhalb von Fridays for Future an der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu arbeiten. Die strategische Planung samt Durchführung ist genau mein Ding. Letzten Endes ist FFF aber keine Marke, denn dann wären wir käuflich. Es geht um den Planeten, statt um Profit.“

Die Wunschgesellschaft von Leonie sieht anders aus als die aktuelle. „Es sollte nicht mehr jeder zuallererst an sich selbst denken. Wenn jeder an die Person neben sich denken würde, wäre viel erreicht“, sagt sie energisch. Die politische Lage besorgt sie, lässt ihr keine Ruhe und muss ihrer Meinung nach verändert werden. Die zahlreichen öffentlichen Auftritte sind es wert.

Könnte man sich zweiteilen, Leonie würde es wahrscheinlich tun. Und nebenbei: Bachelor- Arbeit in zehn Tagen. Ihre beste Entscheidung im letzten Jahr.

Doch im Dezember, in der besinnlichen Weihnachtszeit, heißt es für Leonie erstmalig innehalten. Ein kurzer Rückzug aus der Öffentlichkeit ist notwendig. Die ständigen Anfeindungen sowie die sexistischen Anspielungen durch private Nachrichten in den sozialen Netzwerken geben der jungen Frau zu denken. „Es gibt auch schwierige Zeiten. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, kriegt man viel Gegenwind in Form von Hatespeech. Am besten ist es, man liest es sich gar nicht erst durch“, spricht Leonies introvertierte Seite. Wer viel erlebt, muss viel verarbeiten. Doch bereuen tut sie nichts. „Die Zeiten, dass ich mir viel aus anderen Meinungen mache, sind vorbei“, stellt sie nüchtern fest. Früher hätte sie den medialen Druck wohl nicht so gut verkraftet. In Momenten wie in solchen im Dezember setzt sie auf den Rückhalt ihrer Eltern, von engen Freunden und ihrem Freund. Und obwohl Leonie keine scheue Person ist, benötigt sie manchmal die komplette Isolation von allem.

„Ich könnte niemals darauf verzichten, Zeit ganz für mich alleine zu haben. Das Nachdenken kommt im Zuge der Ereignisse ab und an zu kurz“, gibt sie zu. Es braucht einen Spaziergang in der Natur oder sportliche Aktivitäten wie Joggen. Der Rückzug ist Leonies große Kraftquelle.

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Engagierter Aktivismus fordert nicht bloß Zeit, sondern viel Energie. Die zahlreichen Treffen mit anderen Aktivisten sind hierfür tragend.

Während wir mit dem Auto durch ein regnerisches Hamburg fahren, bleibt Zeit für einen philosophischen Gedankenaustausch. Leonie hat bereits viel erlebt und gesehen. Wir fragen sie, wie ein mögliches Buch heißen würde, welches ihr Leben beschreibt. Leonie überlegt. Ihr Engagement ist breitgefächert. Sozialpolitik, Bildungspolitik, Diversitäten. Leonies Vorstellung von Zukunft ist eine gesamtgesellschaftliche.

Es ist das Äußern vom Wunsch einer anderen Gemeinschaft. Vielleicht sogar einer Utopie. Die anfängliche Rationalität ist im Gesprächsfluss wie verflogen.

Dann geht es auf die Autobahnabfahrt Richtung Fotostudio und wieder um den Klimawandel. Keine Zeit für Deep Talk. Es sind wissenschaftliche Analysen. Die Lage der Welt ist ernster, als wir glauben.

Was zunächst frustriert klingt, untermauert die Wahlkölnerin mit Fakten. Diese braucht sie auch auf dem Weg zu ihrem Ziel, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu reduzieren. So wird am Ende des Tages klar, dass der Umschwung gerade erst beginnt. Leonie muss weiter. Ein Termin am späten Nachmittag.

Und dann kommt Corona. Oder auch: „Die Aufgabe, beide Krisen zusammenzubringen. Sowohl die Klimakrise als auch die Pandemie.“

Und dann kommt Corona. Oder auch: „Die Aufgabe, beide Krisen zusammenzubringen. Sowohl die Klimakrise als auch die Pandemie.“

Im Juli 2020 gibt es dann die ersten Coronalockerungen seitens der einzelnen Länder. Die Pandemie hat wirtschaftliche und gesellschaftliche Risse herbeigeführt. Leonie erzählt, dass sich auch ihr Alltag verändert hat. „Zwar war Fridays for Future immer schon auch zu einem großen Teil digital organisiert, allerdings spielt sich der Alltag, welcher aus viel Reisen und persönlichem Austausch bestand, nun stets in einem Raum ab“, berichtet Leonie. Das hat die Arbeit sehr verändert – jedoch nicht das Ziel. Inhaltlich bleibt es das Gleiche. „Wir sehen unsere Aufgabe nun darin, beide Krisen zusammenzubringen. Denn gesellschaftlich betrachtet haben nur die Fronten gewechselt. Wir Jungen fordern im Rahmen der Klimakatastrophe Dinge von den Älteren. Bei Corona ist es andersherum. Wir Jungen nehmen Rücksicht auf die Älteren, die häufiger zur Risikogruppe gehören.“ Demonstrationen und Klimastreiks waren während des bundesweiten Lockdowns nicht möglich. „Mittlerweile können wir die Menschen langsam wieder auf die Straße bewegen – selbstverständlich Corona-konform.“

Doch auch wenn Leonie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter mittlerweile wieder demonstrieren und ihre Themen in der Öffentlichkeit platzieren können, macht es Leonie Angst, dass das Coronavirus samt globaler Folgen das Thema Nummer eins im öffentlichen Diskurs bleibt.
„Es ist einfach nicht richtig, dass Klimaschutz in seiner Priorität zurücksteckt. Da das Pariser Abkommen mit den derzeitigen Maßnahmen der Bundesregierung nicht eingehalten werden wird, habe ich Angst davor, dass die Spirale des Klimawandels zukünftig noch weiter nach unten gehen wird“. Und dann das Kohleausstiegsgesetz am 3.7. – ein rabenschwarzer Tag für das Klima, wel- cher laut Leonie dramatische Folgen hat.

„Es macht mich so wütend, dass ich nun die Aufgabe habe, Aktivistinnen und Aktivisten aus beispielsweise Uganda zu sagen, dass Deutschland sich für die dortigen Natur- und Hungerkatastrophen nicht verantwortlich fühlt.“

„Es macht mich so wütend, dass ich nun die Aufgabe habe, Aktivistinnen und Aktivisten aus beispielsweise Uganda zu sagen, dass Deutschland sich für die dortigen Natur- und Hungerkatastrophen nicht verantwortlich fühlt.“

Es wird also weitergehen. Auf die Straße, zu Klimastreiks, Demonstrationen, in Zoom-Calls und mit vielen, vielen weiteren Telefonaten und Gesprächen. Fridays for Future hat die Coronazeit überstanden und sich weiterentwickelt. Die Ziele haben sich verfestigt, und die Bewegung organisierte sich ebenfalls in Zeiten von Lockdowns und den damit verbundenen Unsicherheiten. Und auch Leonies Leben nimmt langsam wieder die gewohnten Formen an. Die Antwort auf die Frage nach dem Titel des Buches, welches ihr Leben umschreiben würde, bleibt Leonie uns allerdings bis heute schuldig. Im Nachgang irgendwie logisch. Hat sie ihre Geschichte doch noch lange nicht zu Ende geschrieben.

Weitere Infos dazu vom kompetenten Redaktions- und Fotografenteam:

Dieser Artikel ist im Original im Magazin „UmweltDialog“ zum Thema „Moral“ erschienen.

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Quelle: UmweltDialog
 

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