Wer misstraut Gesundheitssystem und Regierung während Corona?
Wie sehr vertrauen die Bürgerinnen und Bürger dem Gesundheitssystem – und dem Staat überhaupt? Antworten auf diese Frage liefert Prof. Dr. Marius R. Busemeyer, Politikwissenschaftler und Experte für Sozialpolitikforschung, in einer Studie zu Wahrnehmungen der Bürgerinnen und Bürger zur Leistungsfähigkeit und Fairness des Gesundheitssystems.
30.09.2020
Die Studie wird gemeinsam vom Berliner Think-Tank Das Progressive Zentrum und dem Exzellenzcluster The Politics of Inequality der Universität Konstanz herausgegeben.
Die Parteinähe sei bei der Einschätzung der Bürgerinnen und Bürger entscheidend, so die Studie: Wer der Alternative für Deutschland (AfD) nahesteht, misstraut dem Gesundheitssystem und der Informationspolitik der Bundesregierung weitaus häufiger als Menschen mit anderer parteipolitischer Ausrichtung. Geschlecht, Einkommen, Alter und Bildungsstand der Befragten spielen ebenfalls eine – wenn auch geringere – Rolle. Die Studie widerlegt damit die These, dass es in der Frage des Vertrauens in staatliche Institutionen einen Riss quer durch die Gesellschaft gebe; stattdessen liefert sie Hinweise für eine Polarisierung zwischen einer misstrauisch-unzufriedenen Minderheit und dem mehrheitlichen Rest der Bevölkerung.
Die Ergebnisse der repräsentativen Befragung zeigen, dass die Bevölkerung die Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystem als hoch einschätzt. 67,6 Prozent der Befragten geben an, dass sie ein „sehr hohes“ oder „hohes“ Vertrauen in das Gesundheitssystem haben, im Fall einer eigenen Erkrankung am Coronavirus die notwendige Versorgung zu bekommen. Dabei unterscheiden sich die Zustimmungswerte allerdings stark zwischen den Anhängerinnen und Anhängern der Parteien. Während diejenigen, die Bündnis 90/Die Grünen unterstützen, zu 80,4 Prozent dem Gesundheitssystem vertrauen, tun dies nur 44,1 Prozent bei der AfD.
Neben der politischen Prägung hat die Studie auch den sozio-ökonomischen Hintergrund abgefragt. Daraus ergibt sich, dass sowohl Besserverdienende als auch ältere Menschen – die ja sogar vermehrt zur Risikogruppe gehören – ein besonders hohes Vertrauen in das Gesundheitssystem haben.
Skepsis gegenüber der Informationspolitik der Bundesregierung
Weniger zufrieden zeigen sich die Befragten hinsichtlich der Informationspolitik der Bundesregierung. Im Gesamtdurchschnitt der Bevölkerung sind lediglich 48,2 Prozent der Meinung, dass die Bundesregierung „ziemlich“ oder „sehr wahrheitsgetreu“ informiert habe.
Auch in dieser Hinsicht ist die Anhängerschaft der AfD besonders misstrauisch: Nur 11,9 Prozent von ihnen glaubt an ziemlich oder sehr wahrheitsgetreue Informationen. Im Gegensatz dazu bringen diejenigen, die Bündnis 90/Die Grünen (69,4 Prozent) oder der CDU/CSU (66 Prozent) nahestehen, der Informationspolitik der Regierung viel Vertrauen entgegen.
Mehrheitsmeinung: Deutschland war nicht gut vorbereitet
Trotz des allgemein hohen Vertrauens in die Leistungsfähigkeit und die Fairness des deutschen Gesundheitssystems zeigt die Studie auch eine gewisse Skepsis, was die Vorbereitung auf die Corona-Pandemie angeht. Die Krisenreaktion als solche bewerten die Befragten im Durchschnitt nur als moderat gelungen (6,0 auf einer Skala von 0 bis zehn). Dass sie dem Gesundheitssystem hier kein besseres Zeugnis ausstellen, ist in der Wahrnehmung der Studienteilnehmenden der mangelnden Krisenbereitschaft zuzuschreiben. Dabei sind sie sich relativ einig: Nur eine Minderheit von 36,2 Prozent meint, das deutsche Gesundheitssystem sei auf eine Krise vorbereitet gewesen. Erneut weist die AfD-Anhängerschaft mit 18,8 Prozent den niedrigsten Wert auf, die Anhängerschaft von CDU/CSU mit 45,4 Prozent den höchsten.
Wer misstraut, der misstraut
Die Analyse der Befragung habe gezeigt, dass verschiedene Dimensionen des Vertrauens systematisch miteinander zusammenhängen, so Marius R. Busemeyer: „Wer glaubt, bei einer Corona-Infektion nicht ausreichend versorgt zu werden und die Krisenvorbereitung als mangelhaft bewertet, der meint oft auch, dass die Bundesregierung die Bevölkerung nicht ausreichend, rechtzeitig oder wahrheitsgemäß informiert.“
Für die Zukunft schlussfolgert der Autor: „In der nächsten Phase der Krisenbewältigung wird es mehr um wirtschaftliche und soziale Folgen gehen als um rein gesundheitliche Gefahren. Wenn diese sozialen Folgen von der Politik mehr in den Blick genommen werden, besteht eine Chance, dass die in unserer Studie festgestellte Polarisierung nicht noch weiter zunimmt. Darum ist es nun besonders wichtig, sozioökonomische Unterschiede und Benachteiligungen auszugleichen.“
Die Studie basiert auf einem großangelegten Umfragenprogramm des Konstanzer Exzellenzclusters The Politics of Inequality zum Zusammenhang zwischen der Pandemie und sozialer Ungleichheit. Weitere Informationen über das Umfragenprogramm, zur Methodik und Datengrundlage finden Sie hier.
Faktenübersicht
- Großangelegtes Umfragen-Programm des Konstanzer Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ zum Zusammenhang zwischen Corona-Krise und Ungleichheit.
- Aktuelle Publikation: Marius R. Busemeyer: Heilmittel oder Zankapfel? Vertrauen in das Gesundheitssystem während der Corona-Krise. Policy Papers: COVID-19 und soziale Ungleichheit – Thesen und Befunde 04. 15. September 2020.
- Herausgeber der „Policy Paper“-Reihe: Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz in Kooperation mit „Das Progressive Zentrum“, Berlin
- „Das Progressive Zentrum“ ist ein unabhängiger und gemeinnütziger Think-Tank mit dem Ziel, die Vernetzung progressiver Akteurinnen und Akteure zu fördern und Politik für ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt mehrheitsfähig zu machen. Sitz in Berlin, Aktivitäten in vielen Ländern Europas (unter anderem Frankreich, Polen, Großbritannien) sowie in den USA.
- Prof. Dr. Marius R. Busemeyer ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Konstanz und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wohlfahrtsstaatenforschung, Bildungs- und Sozialpolitik, Theorien des institutionellen Wandels sowie der Digitalisierung.