Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt
Der aktuelle Megatrend-Report der Bertelsmann Stiftung skizziert zentrale mittel- bis langfristige Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Digitalisierung und Globalisierung sowie mögliche Folgen für unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem.
01.10.2020
Die Corona-Pandemie ist zwar längst noch nicht beendet, und es wird voraussichtlich Jahre dauern, bis alle ökonomischen und sozialen Schäden einigermaßen überwunden sind. Angesichts der Schwere der wirtschaftlichen Krise und der gewaltigen Anstrengungen zu ihrer Bewältigung dürfte aber bereits jetzt klar sein, dass dieses einschneidende Ereignis unser Wirtschaftsleben langfristig verändern wird. Mit Blick auf große gesellschaftliche Megatrends spielen dabei zwei Entwicklungen eine besondere Rolle: Zum einen ist die Corona-Pandemie ein zusätzlicher Katalysator für die Digitalisierung. Sowohl in der Produktion als auch im Handel und im Dienstleistungsbereich wird sich der Einsatz digitaler Technologien weiter beschleunigen. Damit verringert sich für Unternehmen die Gefahr, im Fall einer erneuten Pandemie, unmittelbaren Produktionseinbußen und Umsatzausfällen ausgesetzt zu sein.
Zum anderen ist damit zu rechnen, dass sich globale Wertschöpfungsketten verlagern und die Globalisierung abbremsen. Das Effizienzstreben verliert zukünftig ein Stück weit an Bedeutung, dafür spielen Risikoabwägungen eine größere Rolle bei unternehmerischen und politischen Entscheidungen. Daraus ergibt sich eine stärkere Diversifikation und Relokalisierung von ausgewählten ökonomischen und technologischen Aktivitäten. Der Vorteil: Die Abhängigkeit von Technologien, Vorleistungen und Endprodukten aus dem Ausland sinkt. Doch mehr Resilienz hat ihren Preis: Spezialisierungsgewinne, die sich aus der internationalen Arbeitsteilung ergeben, fallen weg.
Aus diesen Entwicklungen identifiziert der Megatrend-Report der Bertelsmann Stiftung fünf zentrale Thesen für die Zukunft der Digitalisierung, der Globalisierung und des demografischen Wandels:
1. Die Frage der digitalen Souveränität gewinnt an Relevanz
Eine Einheit verfügt über digitale Souveränität, wenn sie selbstständig über die künftige Gestaltung von Abhängigkeiten in der Digitalisierung entscheiden kann. Die europäische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit nach außen und innen ist wiederum maßgeblich, um den digitalen Wandel gesellschaftlich, wirtschaftlich, regulatorisch und politisch nach europäischen Idealen und Zielen gestalten zu können. Die Kernherausforderung für ein digital souveränes Europa ist daher, seine Abhängigkeit von Dritten im Bereich digitaler Technologien und Geschäftsmodelle zu vermindern.
2. Die internationale Arbeitsteilung gerät zunehmend unter Druck
Effizienz und Kostenminimierung waren bisher die maßgeblichen Aspekte für die Gestaltung der internationalen Arbeitsteilung. Zukünftig dürfte die Frage der Liefersicherheit eine wichtige Rolle spielen. Daher ist eine Tendenz zur weiteren Diversifikation von Wertschöpfungsketten und zur verstärkten Lagerhaltung zu erwarten. Allerdings sind Effizienzeinbußen der Preis für eine Verringerung der Abhängigkeit von den Zulieferungen aus dem Rest der Welt. Zudem kann die teilweise bereits zu beobachtende Renationalisierung von Produktionsprozessen der Startschuss für einen weiteren Protektionismus-Wettlauf sein.
3. Die Bedeutung der gezielten Industriepolitik nimmt zu
China, die USA und andere Nationen unterstützen zukunftsträchtige Schlüsselindustrien wie Elektromobilität, Robotertechnologie oder Biomedizin in erheblichem Ausmaß durch eine gezielte Förderung ausgewählter Sektoren beziehungsweise Technologien. Wenn Deutschland und Europa in diesen Bereichen nicht den Anschluss verlieren und nicht von den Importen aus dem Ausland abhängig sein wollen, werden auch sie ihre Anstrengungen in der Industriepolitik steigern müssen. Dafür ist es notwendig, einen eigenen industriepolitischen Ansatz im Rahmen der Werte und gesellschaftlichen Zielsetzungen der Sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln.
4. Die eigene Innovationsfähigkeit wird zu einem zentralen Resilienzfaktor
Der sich intensivierende Hegemonialkonflikt zwischen China und den USA sorgt für eine Verschärfung des Innovationswettbewerbs zwischen diesen beiden Staaten. Zunehmend bilden sich eigene technologische Einflusssphären heraus, in denen entweder chinesische oder US-amerikanische Standards gelten und die technologischen Entwicklungen aus einem dieser Länder dominieren. Mit der Corona-Krise verstärkt sich dieser Trend weiter: Sie verdeutlicht, wie schnell Staaten von ausländischen Innovationen abgeschnitten werden können und wie wertvoll eigene Innovationsfähigkeit im Krisenfall ist.
5. Der fortschreitende demografische Wandel beinhaltet zusätzliche „Störfaktoren“
Bereits im Verlauf der 2020er-Jahre werden die Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung das Wirtschaftswachstum in Deutschland dämpfen. Zudem muss bei der örtlichen Verlagerung der Herstellung bestimmter Güter berücksichtigt werden, dass Deutschland auf eine Phase des akuten Fachkräftemangels zusteuert. Schließlich sinkt bei den öffentlichen Finanzen der Spielraum, sodass es zukünftig umso mehr darauf ankommt, diese „gleichmäßig“ auf Zukunftsinvestitionen und altersbezogene Sicherungsleistungen zu verteilen.
Die Corona-Pandemie und ihre Folgen führen zu einem gravierenden Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft. Dieser fordert auch die Bürgerinnen und Bürger erheblich heraus. Eine Flankierung durch sozial- und bildungspolitische Maßnahmen ist deshalb dringend erforderlich, um eine Blockadehaltung breiter Bevölkerungsschichten zu vermeiden.
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)
Thieß Petersen, Christian Bluth
Megatrend-Report #02: Die Corona-Transformation
Wie die Pandemie die Globalisierung bremst und die Digitalisierung beschleunigt
1. Auflage 2020, 60 Seiten (PDF)
DOI 10.11586/2020054
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