Klimaschutz, Biodiversität und soziale Gerechtigkeit gehen nur gemeinsam
Der Kampf gegen die Erderwärmung und für eine nachhaltige Entwicklung kann nur gelingen, wenn die Menschheit die Themen Klimaschutz, Biodiversität und soziale Gerechtigkeit fortan gemeinsam denkt und bei allen politischen Entscheidungen – global, national und regional – in ihren Wechselwirkungen gleichrangig berücksichtigt. Zu diesem Ergebnis kommt ein aktueller Workshop-Bericht des Weltbiodiversitätsrates IPBES und des Weltklimarates IPCC.
14.07.2021
Die Wissenschaftler*innen zeigen in dem Bericht zu „Artenvielfalt, Ökosystemen und Klimawandel“, warum vor allem der Verzicht auf fossile Brennstoffe für Klima- und Naturschutz wichtig ist. Außerdem belegen sie, wie gesunde Ökosysteme langfristig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Die Autor*innen legen aber auch offen, in welchem Ausmaß einseitig gedachte Klimaschutzkonzepte wie der großflächige Anbau von Energiepflanzen der Natur kurz- und langfristig schaden und ihre Fähigkeit mindern, das Klima zu regulieren und die Menschen mit ausreichend Nahrung, Trinkwasser und anderen überlebenswichtigen Dienstleistungen zu versorgen.
„Unsere Synthese verdeutlicht, auf welch vielfältige Weise sich das Klima und die Naturräume der Erde gegenseitig beeinflussen. Wir können sie deshalb nicht isoliert voneinander betrachten, denn für eine nachhaltige, sozial gerechte Entwicklung menschlicher Gemeinschaften ist beides essenziell: eine möglichst geringe globale Erwärmung und eine artenreiche, produktive und widerstandsfähige Natur“, sagt Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), der die Arbeiten an dem Workshop-Bericht gemeinsam mit dem südafrikanischen Naturschutzexperten Prof. Dr. Robert J. Scholes geleitet hat.
Diese engen Wechselwirkungen stellen die Politik vor enorme Herausforderungen. „Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Klima-, Naturschutz- und Entwicklungsziele erreichen möchte, wird sie nicht umhinkommen, die Belange des Klimas, der Natur und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung im Dreiklang zu denken. Das heißt, Aufgabenstellungen werden komplexer, weil zum Beispiel Klimaschutzideen, die für sich betrachtet vielversprechend sind, im Hinblick auf die Natur und die lokale Bevölkerung weitreichende Nachteile mit sich bringen können“, sagt Ko-Autor und Biodiversitätsexperte Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).
Die Herausforderung: Klimaschutzpotenziale der Natur konsequent nutzen und gleichzeitig die Grenzen der Ökosysteme im Blick behalten
Plakative Beispiele dafür sind die Abholzung tropischer Regenwälder für den Anbau von Energiepflanzen wie Soja und Ölpalmen. Aber auch in Mitteleuropa stellt sich angesichts zunehmender Flächenkonkurrenz die Frage, wie Land- und Forstwirtschaft oder Küstennutzung betrieben werden müssen, um einen nachhaltigen Interessenausgleich zwischen Klima, Natur und Mensch zu erzielen – das heißt: die Artenvielfalt zu sichern, ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren, den Ausstoß von Treibhausgasen zu minimieren und gleichzeitig die Kohlenstoffspeicher der Wälder und Böden, auch des Meeresbodens, im maximalen Umfang zu erhalten. „Eine klimaschonende Landnutzung ist machbar, wenn wir bei unseren Entscheidungen beachten, wie viel der jeweilige Naturraum zu leisten vermag und durch welche Nutzungsformen möglichst viele Menschen von der Natur profitieren“, sagt Josef Settele.
Beim Thema Wald stehe die Politik zum Beispiel vor der Wahl, große Monokulturen für die Rohstoff- und Energiegewinnung anzubauen oder aber den Aufbau artenreicher Ökosysteme voranzutreiben. „Angesichts des rasant voranschreitenden Klimawandels dürfen wir jedoch nicht davon ausgehen, dass unsere einheimischen Baumarten für ein künftiges Klima geeignet sind“, sagt Hans-Otto Pörtner. Die Anzeichen mehren sich, dass die angestammten Arten nicht widerstandsfähig genug sind. Das gilt sowohl für Baumarten in den mittleren Breiten als auch für jene in den tropischen Regenwäldern.
Der falsche Ansatz: Emissionen dürfen nicht mit Biodiversitätsschutz verrechnet werden
Angesichts der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse erscheinen auch neue Strategien der Politik, Treibhausgasemissionen energieintensiver Branchen mit Renaturierungs- und Naturschutz-Maßnahmen zu verrechnen, als irreführend und kontraproduktiv. „Klimapolitisch macht es überhaupt keinen Sinn, den weiteren Ausstoß von Treibhausgasen dadurch zu legitimieren, dass ein existierender Wald nicht abgeholzt wird“, sagt Hans-Otto Pörtner. „Die Welt braucht kurzfristig drastische Emissionseinsparungen, um den Temperaturanstieg zu stoppen und gleichzeitig den Erhalt und Wiederaufbau großer, gesunder Ökosysteme, die uns langfristig in die Lage versetzen, der Atmosphäre mehr Kohlenstoff zu entziehen als durch menschliche Aktivitäten freigesetzt wird. Die Leistungen der Natur sollten wir als zusätzliches Gut betrachten, welches es langfristig zu stärken gilt.“
Besondere Erfolgsaussichten hätte eine solche Klima- und Naturschutzpolitik, wenn sie mit der Verbesserung sozialer Gerechtigkeit einhergingen: „Es gilt, die Armut weltweit zu bekämpfen und die Verteilungsgerechtigkeit zu erhöhen. Vielen Menschen bleibt aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Not gar nichts anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt durch Jagd, illegale Fischerei, Goldsuche oder aber durch andere Aktivitäten zu bestreiten, die zum flächendeckenden Raubbau an der Natur beitragen. Sie aus dieser Notlage zu befreien, wäre ein erster wichtiger Schritt für nachhaltigen Klima- und Naturschutz“, so Hans-Otto Pörtner.
Natur- und Klimaschutz als gemeinsames Leitbild allen politischen Handelns
Aus Sicht der Wissenschaftler liefert der neue Workshop-Bericht wichtige Grundlagen für künftige politische Entscheidungen: „Er bringt die Klimakrise, die Biodiversitätskrise und die soziale Krise zusammen und zeigt auf, dass sich diese drei Krisen nur durch gleichgerichtete, aufeinander abgestimmte Transformationsprozesse lösen lassen“, fasst Josef Settele zusammen.
Denkbar wäre zum Beispiel, ein Biodiversitätsgesetz im Stil des Klimaschutzgesetzes einzuführen. Auf diese Weise könne man das Thema „Naturschutz“ aus seiner bisherigen politischen Nische befreien und einen zukunftsweisenden Biodiversitätsschutz über Ministeriumsgrenzen hinweg etablieren. Künftig, so lautet ein Fazit der Wissenschaftler, müssten sich alle politischen Entscheidungen daran messen lassen, inwiefern sie bestmögliche Resultate für das Klima, die Biodiversität und die Menschen vor Ort erzielen.