Online-Transparenz-Tool für Journalismus
Reporter ohne Grenzen (RSF) hat die Webanwendung der Journalism Trust Initiative (JTI) freigeschaltet, eine Plattform, die vertrauenswürdige Nachrichtenquellen identifizieren und stärken soll. Mithilfe des JTI-Online-Tools können Medien ihre eigene Arbeitsweise evaluieren, redaktionelle Prozesse transparent machen und so das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit von professionellem Journalismus stärken.
19.07.2021
„Derzeit haben Unwahrheit, Propaganda und Hassrede einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Journalismus“, sagte RSF-Generalsekretär Christophe Deloire. „Das hat negative Folgen sowohl für die Nachhaltigkeit des Journalismus als auch für die Öffentlichkeit, deren Fähigkeit eingeschränkt wird, faktenbasierte Entscheidungen zu treffen. Wenn wir aus dieser Abwärtsspirale herauskommen wollen, müssen wir die Logik umkehren, indem wir durch einen Mechanismus vertrauenswürdiger Dritter Anreize für den Journalismus schaffen. Die JTI ist eine wegweisende Initiative, weil sie die Einhaltung professioneller Normen in einen greifbaren Vermögenswert verwandelt. Sie leistet einen Beitrag zur Nachhaltigkeit des Journalismus.“
Breites Bündnis entwickelt Qualitätskriterien
Die Initiative basiert auf Kriterien, die RSF seit Mai 2018 zusammen mit mehr als 130 Vertreterinnen und Vertretern von Medien, Verbraucherorganisationen, Technologieunternehmen, Regulierungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen erarbeitet und im Dezember 2019 unter der Aufsicht des Europäischen Komitees für Normung (CEN) veröffentlicht hat. An der Entwicklung der JTI-Standards wirkten unter anderem Associated Press, die BBC, die Thomson Foundation, Independent Monitor of the Press, Internews (Großbritannien), die polnische Gazeta Wyborcza, der Schweizer Presserat, die Journalistenvereinigungen von Taiwan und Südkorea, Google, Facebook und die UNESCO mit. Aus Deutschland beteiligten sich die Deutsche Presse-Agentur dpa, der Tagesspiegel und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Dem Start der JTI-Webanwendung ging eine Pilotphase voraus, in der fast 50 Medien das Instrument ausgiebig testeten, darunter das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, die bulgarische Zeitung Dnevnik, CBC-Radio Canada, France Télévisions, SRG-swissinfo, die Schibsted Group, Tiempo Argentino, Colorado Public Radio und The Wire in Indien.
Mehrere Stufen von Transparenz und Evaluierung möglich
Das JTI-Angebot besteht aus drei Stufen: Zunächst füllen Medien eine Selbstevaluierung über die JTI-Online-App aus und prüfen dabei, ob die eigene Arbeitsweise dem JTI-Standard entspricht. Als nächstes können die Ergebnisse dieser Selbstevaluierung freiwillig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und als Transparenzberichte veröffentlicht werden. Die letzte Stufe des Prozesses ist ein externes Audit mit einer unabhängigen Bewertung durch eine lizenzierte Zertifizierungsstelle.
Nach erfolgreichem Abschluss aller drei Stufen erhält das jeweilige Medium das „JTI-Zeichen“. Es soll sowohl Mediennutzerinnen und -nutzern als auch Werbetreibenden helfen, zwischen hochwertigen, seriösen Quellen und fragwürdigen Informationen zu unterscheiden. Journalistische Berichterstattung soll so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Propaganda, Desinformation und Meinungsmache erhalten.
Hilfsmittel gegen Desinformationen
Die JTI ist eine Antwort auf die anhaltende Debatte über den Umgang mit falschen oder tendenziösen Informationen im Internet. Anders als die meisten anderen Vorschläge verzichtet die Initiative darauf, einzelne veröffentlichte Beiträge auf Faktentreue und die Einhaltung journalistischer Standards zu untersuchen. Stattdessen legt sie den Fokus auf den Entstehungsprozess von Journalismus. Zu den Kriterien gehören unter anderem Transparenz über Eigentumsverhältnisse und Einnahmequellen von Medien sowie Mindestanforderungen an journalistische Ethik und redaktionelle Standards. Das „JTI-Zeichen“ kann als Nachweis der Vertrauenswürdigkeit der Arbeit bestimmter Nachrichtenmedien nicht nur die Bedenken der Nutzerinnen und Nutzer ausräumen, sondern auch Reichweite und Einnahmen dieser Medien steigern.
„Das Vertrauensproblem, mit dem Journalismus und Medienorganisationen konfrontiert sind, ist so groß, dass wir jede Initiative begrüßen, die professionelle Redaktionsprozesse kennzeichnet und dazu beiträgt, Distanz zwischen echten Nachrichtenredaktionen und Verbreitern von Junk News zu schaffen“, ergänzt Vincent Peyrègne, der Geschäftsführer von WAN-IFRA, dem Weltverband der Zeitungen und Nachrichtenmedien. „Die Selbsteinschätzung redaktioneller Prozesse mit Hilfe der JTI-Web-App wird den Redaktionen helfen, auf die wachsende und berechtigte Nachfrage der Nutzer nach vertrauenswürdigen Prozessen zu reagieren.“
Stärkung seriöser Nachrichtenmedien, Gewissheit für das Publikum
„Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Nachrichten ist lebenswichtig, doch durch die Zunahme von Desinformationen besteht die Gefahr, dass es dauerhaft untergraben wird“, erklärt Noel Curran, Generalsekretär der Union der Europäischen Rundfunkorganisationen (EBU). „Die EBU hat die JTI von Anfang an nach Kräften unterstützt. Mehrere unserer Mitglieder waren am Prozess der Standardsetzung beteiligt, um die Genauigkeit zu fördern und den Zuschauern zu signalisieren, auf welche Nachrichtenquellen sie sich verlassen können. Dass diese Standards nun Medienorganisationen weltweit zur Verfügung gestellt werden, schafft ein starkes Gegengewicht in einer Welt voller Fake News“, so Curran.
Webinar über die Journalism Trust Initiative am 29. Juli
Interessierte Fachleute aus der Medienbranche können in einem Webinar am 29. Juli 2021 mehr über den dreistufigen Prozess der JTI erfahren. Das Webinar bietet eine Einführung in das Tool und ein Peer-to-Peer-Panel, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern von Medien, die an der Pilotphase beteiligt waren und ihre Erfahrungen mit der Initiative aus erster Hand teilen.
Die Journalism Trust Initiative wird mitfinanziert von der Europäischen Kommission und von Craig Newmark Philanthropies.