Umwelt- und Sozialpolitik müssen zusammengedacht werden
Wie gelingt die ökologische Wende und zwar sozial verträglich? Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und die Open Society Foundations empfehlen ein „Update“ für politische Strukturen, um eine Politik für den sozial-ökologischen Wandel zu erarbeiten.
08.09.2021
Dass Umwelt- und Klimaschutz sowie soziale Gerechtigkeit zwei Seiten einer Medaille sind und nur gemeinsam vorangebracht werden können, wird immer deutlicher. Um die nötigen substanziellen Schritte einzuläuten, brauche es neue institutionelle Strukturen, die die ressortübergreifende Zusammenarbeit insbesondere zwischen den Ressorts Umwelt und Soziales festigen, empfehlen das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und die Open Society Foundations in einem heute veröffentlichten Politikbriefing. Sie raten der Politik, das Klimakabinett in ein umfassendes Transformationskabinett weiterzuentwickeln, das sich von wissenschaftlich begleiteten Bürgerräten und Kommissionen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen beraten lässt. Gewerkschaften, Sozial-, Wohlfahrts- und Umweltverbände sollten zudem übergreifende Verständigungsprozesse auf den Weg bringen. So könne die Just Transition – ein sozial gerechter ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft – gelingen.
Just Transition: Gesellschaft nachhaltig und gerecht umbauen
Seit einigen Jahren wächst in der Politik das Bewusstsein dafür, dass soziale und ökologische Fragen eng miteinander zusammenhängen: Bundesumweltministerin Svenja Schulze hat die „Just Transition“ zum Leitbild der Klimapolitik erklärt. „Diskutiert wird zum Beispiel, Einnahmen aus Ökosteuern so zurückzuzahlen, dass Ärmere besonders profitieren. Dies kann ein erster Ansatz sein“, sagt Ökonom Ulrich Petschow vom IÖW: „Es kommt aber darauf an, den ökologischen Fußabdruck des alltäglichen Lebens signifikant zu senken. Um diese Transformation gerecht zu gestalten, brauchen wir neue Infrastrukturen: ein Forum für Austauschprozesse zwischen ökologischen und sozialen Interessen.“ In ihrem Papier „Transformation? Ja, aber gerecht! Neue institutionelle Strukturen für eine Just Transition“ schlagen die Forschenden vom IÖW verschiedene Gremien und Strategien vor, um die Just Transition im institutionellen Gefüge Deutschlands zu verankern.
Bundesregierung muss Zusammenarbeit besser koordinieren
Umwelt, Finanzen, Wirtschaft, Verkehr, Bau und Landwirtschaft: Fünf Ministerien kamen 2019 im Klimakabinett zusammen, um ressortübergreifende Lösungen zu entwickeln. „Wir schlagen vor, das Klimakabinett zu einem Transformationskabinett mit weitreichenden Kompetenzen weiterzuentwickeln“, erklärt IÖW-Transformationswissenschaftler Florian Kern: „Der Staat muss integrierte und wirksame Konzepte erarbeiten, die Ökologie und Soziales verbinden. Und in so einem Transformationskabinett gehört dann etwa auch das Bundesarbeitsministerium auf jeden Fall an den Tisch, das am Klimakabinett bislang nicht beteiligt war.“
Dieses Transformationskabinett soll seine Entscheidungen nicht ‚top down‘ treffen, sondern Bürgerräte und Wissenschaftler*innen in die Entscheidungsvorbereitung mit einbeziehen sowie die vielfältigen Bottom-up-Aktivitäten stärken, insbesondere durch eine langfristige Förderung für die Zusammenarbeit von Gewerkschaften, Umwelt-, Sozial- und Wohlfahrtsverbänden. „Es braucht neue Strukturen, innerhalb derer die Selbstverständigung zwischen unterschiedlichen Akteuren langfristig verstetigt werden kann, etwa in einem ‚Forum Umwelt & Soziales‘. Auf diese Weise ist es möglich, Politikansätze gemeinschaftlich zu entwickeln“, so Petschow. „Diese Prozesse können wir nur gerecht gestalten, wenn die unterschiedlichen Interessen in die Entscheidungsvorbereitung eingebunden werden.“ An der Schnittstelle von Staat und Zivilgesellschaft sollten vermehrt Transformationskommissionen eingesetzt werden, um Strategien und Maßnahmen für einzelne Handlungsfelder zu erarbeiten. Anders als bei der Kohlekommission in 2018/19 müssen die Beteiligungsverfahren jedoch weg vom Kompromiss des kleinsten gemeinsamen Nenners hin zu zukunftsfähigen Lösungen kommen.
Zivilgesellschaft braucht neue Förderinstrumente
In einem dreijährigen Projekt untersuchten die Forschenden auch, wie Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände besser zusammenarbeiten können. Obwohl die Zahl gemeinsamer Aktionen und Kampagnen wächst – jüngst starteten etwa der Umweltverband BUND und der Paritätische Wohlfahrtsverband eine Kooperation – fehlen noch langfristig stabile, übergreifende Austauschstrukturen. „Wenn es zum Zusammendenken von sozialer Gerechtigkeit und effektivem Klimaschutz kommt, scheinen die Bürgerinnen und Bürger der Politik voraus zu sein: Der Bürgerrat Klima verabschiedete einen solchen Leitsatz mit 97 Prozent Übereinstimmung. Auch aus der Zivilgesellschaft kommen immer mehr konkrete Vorschläge zu dieser Problematik. Es bedarf jetzt an Foren und Formen, in denen diese Ansätze zusammengeführt und mit der Politik diskutiert, weiterentwickelt und umgesetzt werden können“, fordert Dr. Finn Heinrich von den Open Society Foundations.