Politik
Schavan: Grüne Ökonomie ist die neue Form des Wirtschaftens
Forschungsministerin Annette Schavan hat die nachhaltige Kommune Leutkirch im Allgäu besucht und dort die Rolle der Forschung beim Rio+20-Prozess erläutert. Im Sommer-Interview stellte sie sich jetzt Fragen zu Nachhaltigkeit und Green Business.
25.07.2012
Frau Schavan, warum machen Sie auf Ihrer Sommerreise ausgerechnet Station in Leutkirch im Allgäu?
SCHAVAN: In Leutkirch sind die Bürger schon seit vielen Jahren im Umwelt- und Klimaschutz aktiv, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Die Photovoltaik ist dort zum Selbstläufer geworden: Inzwischen gibt es fünfzehn Anlagen auf städtischen Gebäuden, die von den Bürgern finanziert wurden. Die Oberschwaben haben schnell erkannt: Umweltschutz kann sich durchaus auch rechnen. In einer Kiesgrube steht zum Beispiel eine Freiflächensolaranlage, die pro Jahr bis zu sechs Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt - das reicht für fast zwanzig Prozent aller privaten Leutkircher Haushalte. Und in den kommenden Jahren soll der Energieverbrauch noch effizienter werden.
Wie soll das gehen?
SCHAVAN: In Leutkirch produziert der größte Arbeitgeber, ein mittelständisches Unternehmen mit fünfhundert Mitarbeitern, schon jetzt klimaneutral, ebenso eine mittelständische Brauerei, ein Gasthof, eine Druckerei. Der parteilose Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle, ein studierter Forstwissenschaftler, geht mit seiner eigenen Photovoltaik-Anlage als Beispiel voran. Und auch die Landwirte machen mit: Auf vielen Hofdächern stehen Solaranlagen. In Leutkirch lebt man nämlich im wahrsten Sinne des Wortes auf der Sonnenseite: Die Kommune war mit mehr als 2100 Sonnenstunden im vergangenen Jahr einer der sonnigsten Orte Deutschlands. Das ist ein großes Potential.
Leutkirch ist für Sie ein Trendsetter?
SCHAVAN: Sicher, denn Städte und Gemeinden sind entscheidende Akteure für die Entwicklung einer nachhaltigen Lebensweise. Im diesjährigen Wissenschaftsjahr "Zukunftsprojekt Erde" spielen sie darum eine entscheidende Rolle. Bedenken Sie nur: Rund 84 Prozent der Deutschen werden bis 2050 in Städten leben. Was wir also brauchen sind gute Ideen für einen nachhaltigen - und damit zukunftsfähigen - städtischen Lebensraum, ob bei Verkehr, Ernährung, Luftqualität, Bildung oder eben Energieversorgung. Die Möglichkeiten reichen von "Urban Gardening" bis hin zu Recycling-Projekten. Das ist der Grund, warum das Bundesforschungsministerium einen Wettbewerb ausgerufen hat: Im Rahmen der sogenannten ZukunftsWerkStadt waren Städte und Landkreise aufgefordert, Konzepte rund um nachhaltige kommunale Entwicklung zu erarbeiten. Eine Jury hat 16 Städte ausgewählt, eine davon ist Leutkirch. Jede Stadt erhält maximal 250.000 Euro, insgesamt stellt das Bundesforschungsministerium 3,5 Millionen Euro bereit.
Können sich auch die Bürger beteiligen?
SCHAVAN: Bei der ZukunftsWerkStadt sind die Bürgerinnen und Bürger von Beginn an mit eingebunden, sie können sich in diese Pionierarbeit einbringen und die Entwicklung mitgestalten. Leutkirch geht auch dabei voran: Im Projekt "Nachhaltige Stadt", das in Leutkirch im vergangenen Jahr initiiert wurde, ist Bürgerbeteiligung zentral. 60 Einwohner wurden dafür per Zufallsprinzip ausgewählt, 15 Vertreter von örtlichen Verbänden und Institutionen kamen hinzu, um gemeinsam Ideen und Konzepte zu erarbeiten. In fünf Arbeitsgruppen luden sie Experten zu regelmäßigen Workshops ein, informierten sich, einigten sich auf Vorschläge. Es ging um Gebäudesanierung, Mobilität, oder darum, wie das Landschaftsbild trotz des Ausbaus der Erneuerbaren Energien erhalten werden kann. Das alles ist in ein "Energie-Leitbild" eingeflossen, das der Gemeinderat von Leutkirch zuletzt beschließen wollte. Die Bürger beteiligen sich aber auch finanziell: zum Beispiel über die Energiegenossenschaft Leutkirch eG am neuen Solarpark.
Nicht überall auf der Welt geht es so gut voran wie in Leutkirch. Die Staatengemeinschaft tut sich oft schwer, das hat die Folgekonferenz Rio+20 kürzlich wieder gezeigt. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
SCHAVAN: Sie sind immerhin Schritte in die richtige Richtung. Nehmen Sie das in Rio verhandelte Konzept einer umweltgerechten und Ressourcen schonenden "Grünen Ökonomie". Das ist eine neue Form des Wirtschaftens. Wichtig ist: Wir müssen Wirtschaft, Umwelt und Soziales durch eine Kultur der Nachhaltigkeit in Einklang bringen - so wie es eben in Leutkirch schon geschieht. Ökonomie und Ökologie gehören zusammen. Nur so kann es gelingen, globale Probleme wie Hunger, Bevölkerungsexplosion, Klimawandel und Artensterben zu besiegen. Wir brauchen eine gerechte Wirtschaftsordnung, die es allen Menschen ermöglicht, an Entwicklung, Bildung und Wohlstand teilzuhaben. Nachhaltiges Handeln und Wohlstand sind zwei Seiten einer Medaille - siehe Leutkirch.
In Rio ging es vor allem um Politik. Welche Rolle spielt da überhaupt noch Wissenschaft und Forschung?
SCHAVAN: Wissenschaft und Forschung wurden in Rio ernster genommen denn je. Die Forschung ist klar in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie gibt uns wissensbasierte Handlungsalternativen an die Hand, mit deren Hilfe wir die großen Probleme unserer Zeit angehen können. Im Abschlussdokument der Rio+20-Konferenz wird nicht nur das Ziel genannt, bis 2015 international anerkannte Nachhaltigkeitsziele für die Staatengemeinschaft zu vereinbaren. Es wird auch ausdrücklich der wichtige Beitrag der Wissenschaftsgemeinschaft hierzu betont. Das FONA-Programm des Bundesforschungsministeriums wird zur Entwicklung dieser Nachhaltigkeitsziele übrigens wichtige wissenschaftliche Grundlagen liefern.
Impulse kommen in Deutschland nicht zuletzt von der Energiewende. Der Chef des Word Ressources Institute in Washington soll sie sogar für das größte Nachhaltigkeitsexperiment aller Zeiten halten. Klingt das nicht übertrieben?
SCHAVAN: Mit der Energiewende ist Deutschland international ein Vorreiter, zumal als große Industrienation. Das hat man uns in Rio deutlich zu verstehen gegeben. Bis 2050 sollen rund 80 Prozent des deutschen Energiebedarfs durch erneuerbare Ressourcen gedeckt werden, das ist sehr anspruchsvoll. Eine "grüne Wirtschaft", wie sie in Rio diskutiert wurde, kann nur entstehen, wenn Gesellschaft und Industrie ständig neue Innovationen schaffen. Wir in Deutschland bekommen das gut hin und profitieren davon - bei uns kommen viele Innovationen früher auf den Markt als anderswo. Auf dem Ausstellungsgelände in Rio haben sich darum deutsche Unternehmen präsentiert, darunter Energiedienstleister und Automobilunternehmen. Vorgestellt wurden auch neue Antriebssysteme, die vielen Aspekte der Elektromobilität oder neue Werkstoffe, die auch vom Bundesforschungsministerium gefördert werden. In der Umweltbranche ist die Produktion ja besonders forschungs- und wissensintensiv.
Wie geht es weiter voran?
SCHAVAN: Es gibt in Deutschland eine lange Tradition, Forschung und Entwicklung in den Dienst der Nachhaltigkeit zu stellen. Daran knüpfen wir an, nehmen Sie nur die nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Mit dem Wissenschaftsjahr "Zukunftsprojekt Erde" wollen wir mit den Bürgern nun ein Jahr darüber diskutieren, wie wir künftig leben und wirtschaften wollen. Sicher ist: Um die Lebenschancen künftiger Generationen zu bewahren, müssen wir unser Leben an vielen Punkten neu ausrichten. Forschung und Entwicklung sind auf diesem Weg der Schlüssel. Und um auf Leutkirch zurückzukommen: Dort arbeitet die Stadtverwaltung mit der Hochschule Biberach, dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke und anderen Energieversorgern zusammen. Bürger, Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand: Das ist wirklich förderungswürdig.
SCHAVAN: In Leutkirch sind die Bürger schon seit vielen Jahren im Umwelt- und Klimaschutz aktiv, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Die Photovoltaik ist dort zum Selbstläufer geworden: Inzwischen gibt es fünfzehn Anlagen auf städtischen Gebäuden, die von den Bürgern finanziert wurden. Die Oberschwaben haben schnell erkannt: Umweltschutz kann sich durchaus auch rechnen. In einer Kiesgrube steht zum Beispiel eine Freiflächensolaranlage, die pro Jahr bis zu sechs Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt - das reicht für fast zwanzig Prozent aller privaten Leutkircher Haushalte. Und in den kommenden Jahren soll der Energieverbrauch noch effizienter werden.
Wie soll das gehen?
SCHAVAN: In Leutkirch produziert der größte Arbeitgeber, ein mittelständisches Unternehmen mit fünfhundert Mitarbeitern, schon jetzt klimaneutral, ebenso eine mittelständische Brauerei, ein Gasthof, eine Druckerei. Der parteilose Oberbürgermeister Hans-Jörg Henle, ein studierter Forstwissenschaftler, geht mit seiner eigenen Photovoltaik-Anlage als Beispiel voran. Und auch die Landwirte machen mit: Auf vielen Hofdächern stehen Solaranlagen. In Leutkirch lebt man nämlich im wahrsten Sinne des Wortes auf der Sonnenseite: Die Kommune war mit mehr als 2100 Sonnenstunden im vergangenen Jahr einer der sonnigsten Orte Deutschlands. Das ist ein großes Potential.
Leutkirch ist für Sie ein Trendsetter?
SCHAVAN: Sicher, denn Städte und Gemeinden sind entscheidende Akteure für die Entwicklung einer nachhaltigen Lebensweise. Im diesjährigen Wissenschaftsjahr "Zukunftsprojekt Erde" spielen sie darum eine entscheidende Rolle. Bedenken Sie nur: Rund 84 Prozent der Deutschen werden bis 2050 in Städten leben. Was wir also brauchen sind gute Ideen für einen nachhaltigen - und damit zukunftsfähigen - städtischen Lebensraum, ob bei Verkehr, Ernährung, Luftqualität, Bildung oder eben Energieversorgung. Die Möglichkeiten reichen von "Urban Gardening" bis hin zu Recycling-Projekten. Das ist der Grund, warum das Bundesforschungsministerium einen Wettbewerb ausgerufen hat: Im Rahmen der sogenannten ZukunftsWerkStadt waren Städte und Landkreise aufgefordert, Konzepte rund um nachhaltige kommunale Entwicklung zu erarbeiten. Eine Jury hat 16 Städte ausgewählt, eine davon ist Leutkirch. Jede Stadt erhält maximal 250.000 Euro, insgesamt stellt das Bundesforschungsministerium 3,5 Millionen Euro bereit.
Können sich auch die Bürger beteiligen?
SCHAVAN: Bei der ZukunftsWerkStadt sind die Bürgerinnen und Bürger von Beginn an mit eingebunden, sie können sich in diese Pionierarbeit einbringen und die Entwicklung mitgestalten. Leutkirch geht auch dabei voran: Im Projekt "Nachhaltige Stadt", das in Leutkirch im vergangenen Jahr initiiert wurde, ist Bürgerbeteiligung zentral. 60 Einwohner wurden dafür per Zufallsprinzip ausgewählt, 15 Vertreter von örtlichen Verbänden und Institutionen kamen hinzu, um gemeinsam Ideen und Konzepte zu erarbeiten. In fünf Arbeitsgruppen luden sie Experten zu regelmäßigen Workshops ein, informierten sich, einigten sich auf Vorschläge. Es ging um Gebäudesanierung, Mobilität, oder darum, wie das Landschaftsbild trotz des Ausbaus der Erneuerbaren Energien erhalten werden kann. Das alles ist in ein "Energie-Leitbild" eingeflossen, das der Gemeinderat von Leutkirch zuletzt beschließen wollte. Die Bürger beteiligen sich aber auch finanziell: zum Beispiel über die Energiegenossenschaft Leutkirch eG am neuen Solarpark.
Nicht überall auf der Welt geht es so gut voran wie in Leutkirch. Die Staatengemeinschaft tut sich oft schwer, das hat die Folgekonferenz Rio+20 kürzlich wieder gezeigt. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
SCHAVAN: Sie sind immerhin Schritte in die richtige Richtung. Nehmen Sie das in Rio verhandelte Konzept einer umweltgerechten und Ressourcen schonenden "Grünen Ökonomie". Das ist eine neue Form des Wirtschaftens. Wichtig ist: Wir müssen Wirtschaft, Umwelt und Soziales durch eine Kultur der Nachhaltigkeit in Einklang bringen - so wie es eben in Leutkirch schon geschieht. Ökonomie und Ökologie gehören zusammen. Nur so kann es gelingen, globale Probleme wie Hunger, Bevölkerungsexplosion, Klimawandel und Artensterben zu besiegen. Wir brauchen eine gerechte Wirtschaftsordnung, die es allen Menschen ermöglicht, an Entwicklung, Bildung und Wohlstand teilzuhaben. Nachhaltiges Handeln und Wohlstand sind zwei Seiten einer Medaille - siehe Leutkirch.
In Rio ging es vor allem um Politik. Welche Rolle spielt da überhaupt noch Wissenschaft und Forschung?
SCHAVAN: Wissenschaft und Forschung wurden in Rio ernster genommen denn je. Die Forschung ist klar in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie gibt uns wissensbasierte Handlungsalternativen an die Hand, mit deren Hilfe wir die großen Probleme unserer Zeit angehen können. Im Abschlussdokument der Rio+20-Konferenz wird nicht nur das Ziel genannt, bis 2015 international anerkannte Nachhaltigkeitsziele für die Staatengemeinschaft zu vereinbaren. Es wird auch ausdrücklich der wichtige Beitrag der Wissenschaftsgemeinschaft hierzu betont. Das FONA-Programm des Bundesforschungsministeriums wird zur Entwicklung dieser Nachhaltigkeitsziele übrigens wichtige wissenschaftliche Grundlagen liefern.
Impulse kommen in Deutschland nicht zuletzt von der Energiewende. Der Chef des Word Ressources Institute in Washington soll sie sogar für das größte Nachhaltigkeitsexperiment aller Zeiten halten. Klingt das nicht übertrieben?
SCHAVAN: Mit der Energiewende ist Deutschland international ein Vorreiter, zumal als große Industrienation. Das hat man uns in Rio deutlich zu verstehen gegeben. Bis 2050 sollen rund 80 Prozent des deutschen Energiebedarfs durch erneuerbare Ressourcen gedeckt werden, das ist sehr anspruchsvoll. Eine "grüne Wirtschaft", wie sie in Rio diskutiert wurde, kann nur entstehen, wenn Gesellschaft und Industrie ständig neue Innovationen schaffen. Wir in Deutschland bekommen das gut hin und profitieren davon - bei uns kommen viele Innovationen früher auf den Markt als anderswo. Auf dem Ausstellungsgelände in Rio haben sich darum deutsche Unternehmen präsentiert, darunter Energiedienstleister und Automobilunternehmen. Vorgestellt wurden auch neue Antriebssysteme, die vielen Aspekte der Elektromobilität oder neue Werkstoffe, die auch vom Bundesforschungsministerium gefördert werden. In der Umweltbranche ist die Produktion ja besonders forschungs- und wissensintensiv.
Wie geht es weiter voran?
SCHAVAN: Es gibt in Deutschland eine lange Tradition, Forschung und Entwicklung in den Dienst der Nachhaltigkeit zu stellen. Daran knüpfen wir an, nehmen Sie nur die nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Mit dem Wissenschaftsjahr "Zukunftsprojekt Erde" wollen wir mit den Bürgern nun ein Jahr darüber diskutieren, wie wir künftig leben und wirtschaften wollen. Sicher ist: Um die Lebenschancen künftiger Generationen zu bewahren, müssen wir unser Leben an vielen Punkten neu ausrichten. Forschung und Entwicklung sind auf diesem Weg der Schlüssel. Und um auf Leutkirch zurückzukommen: Dort arbeitet die Stadtverwaltung mit der Hochschule Biberach, dem Zweckverband Oberschwäbische Elektrizitätswerke und anderen Energieversorgern zusammen. Bürger, Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand: Das ist wirklich förderungswürdig.
Quelle: UD / na