Neuer Nationaler Wohlstands Index für Deutschland vorgestellt
Nach dem zweiten Nationalen WohlstandsIndex für Deutschland (NAWI-D), den das Marktforschungsinstitut Ipsos in Zusammenarbeit mit dem renommierten Zukunftsforscher Professor Dr. Horst W. Opaschowski entwickelt hat, erreicht die Wohlstandswirklichkeit in Deutschland den Indexwert 42 von 100 möglichen Punkten. "Der Ipsos NAWI-D ist ein Barometer, das die für die Deutschen wichtigen aktuellen Grundvoraussetzungen für den Wohlstand erfasst. Auffällig ist, dass die anhaltende Finanzkrise in Europa das Stimmungsbild in Deutschland nicht weiter beeinträchtigt hat. Der zweiten NAWI-D bleibt gegenüber der ersten Messung von vor drei Monaten stabil", so Hans-Peter Drews, Managing Director von Ipsos Observer.
03.12.2012
Der Ipsos NAWI-D zeigt vor allem bei der jungen Generation Wohlstandsdefizite auf. Dies ist durch einen niedrigen ökonomischen Wohlstand zu erklären. Die Jüngeren sehen ihr zukünftiges Erwerbseinkommen und auch ihre spätere Rente als nicht gesichert an. Die Mehrheit der Älteren hingegen äußert solche Zweifel nicht mehr so stark. Wenn man kurz vor der Rente oder bereits im Rentenalter ist, erscheinen die Einkünfte bis zum Lebensende für die Mehrheit als relativ sicher.
Ipsos-Experte Drews sieht gegenläufige Entwicklungen zwischen den beiden Dimensionen "individueller" und "ökonomischer Wohlstand": "Während der ökonomische Wohlstand mit dem Lebensalter deutlich wächst, sinkt der individuelle, je älter die Menschen werden. Den Jungen geht es zurzeit persönlich gut: Sie verfügen über viele soziale Kontakte und haben keine Gesundheitsprobleme. Auf der anderen Seite fühlt sich nur noch ein knappes Drittel der über 55-Jährigen gesund."
Die Wohlstandsverlierer: Wohlstand "ganz unten"
Das Wohlstand-für-alle-Versprechen droht zur Enttäuschung für große Teile der Bevölkerung zu werden. Hans-Peter Drews: "Der aktuelle NAWI-D stuft fast jeden vierten Bundesbürger (24%) am untersten Ende des ökonomischen Wohlstands ein" - mit Werten von eins bis drei auf einer Wohlstandsskala, die von eins bis zehn reicht. Betrachtet man alle vier Säulen des Wohlstandes, also neben dem ökonomischen auch den individuellen, den gesellschaftlichen und ökologischen Wohlstand, dann gehört immerhin noch jeder Fünfte (20%) zu den Verlierern.
Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil dieser Wohlstandsverlierer vor allem in Ostdeutschland. Hier rangieren 27 Prozent am untersten Ende der Wohlstandsskala. In der Hauptstadt Berlin sind es gar 30 Prozent.
Wohlstands-Risse gehen durch Deutschland
Der 2. Nationale WohlstandsIndex für Deutschland (NAWI-D) deckt auf, wie konfliktreich das Lager der Wohlstandsverlierer für die gesellschaftliche Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland werden kann. Professor Opaschowski: "Nicht ein Ruck, sondern Wohlstands-Risse gehen durch Deutschland: Neben der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem scheinbar unüberbrückbaren Wohlstandsgraben zwischen Ost und West nimmt vor allem die Polarisierung der Lebensverhältnisse zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen zu."
Nur wer in Deutschland über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 2.500 Euro netto verfügt, fühlt sich derzeit auf der sicheren Seite des Lebens. Ganz im Unterschied zu den Geringverdienern, deren Haushalte mit weniger als 1.250 Euro auskommen müssen und von denen lediglich jeder Vierte als Sicherheit über Eigentum (Haus/Wohnung/Auto) verfügt. Die Folge: Fast drei Viertel (72%) der Geringverdiener haben Angst vor der Zukunft. Drews: "Sie fühlen sich als Bürger mit geringer Zukunftsperspektive."
Seit dem 11. September 2001 und der anhaltenden Finanzkrise hat das Wirtschaftswachstum seine Aura als grenzenloser Fortschrittsmotor verloren. "Immer mehr" bedeutet nicht mehr "Immer besser". Und ein höherer Lebensstandard geht nicht zwangsläufig mit einem Wachstum an Lebensqualität einher. Professor Opaschowski: "Das neue alte Zukunftsthema lautet: Heute gut und morgen besser leben! Die Bürger (und nicht die Politiker) sagen, wie sie leben wollen. Sie geben die Richtung und die Inhalte vor, auf die Politiker und Parteien in ihrer Programmatik ebenso positiv wie offensiv zugehen müssen, wenn sie nicht den Anschluss verlieren wollen."
Professor Opaschowski: "Die Pioniere und Antriebskräfte dieses gesellschaftlichen Wandels sind durch drei soziodemografische Merkmale charakterisiert: Jung, urban und gebildet - auch eine Erklärung dafür, warum Bevölkerungsgruppen aus dem urbanen Umfeld zunehmend wahlentscheidend werden."
Der aktuelle WohlstandsIndex NAWI-D des IPSOS-Instituts weist nach:
* Im Vergleich zu allen anderen Bevölkerungsgruppen ist die junge Generation derzeit am meisten darüber enttäuscht, nicht frei genug in ihren Entscheidungen zu sein. Aus ihrer Perspektive gesehen kann sie nicht immer das machen, was sie will. Auch sorgt sie sich darüber, nicht hinreichend in Frieden mit den Mitmenschen leben zu können.
* Die urbane Bevölkerung klagt vor allem darüber, nicht dort leben zu können, wo sie eigentlich leben möchte, vermisst die Nähe zur Natur und wünscht sich mehr soziale Kontakte und ein intensiveres Zusammensein mit Freunden. Steigende Mieten und Immobilienpreise mögen ein Indiz für die zunehmende Attraktivität der Städte sein, der höchste subjektive Wohlstand - und das über alle Dimensionen - ist allerdings auf dem Lande zu verzeichnen.
* Die gebildete Schicht mit Abitur und Hochschulabschluss bekommt am meisten den Stress im Alltag zu spüren. Sie ist durchaus glücklich und zufrieden im Leben, vermisst es aber, mehr Zeit für sich zu haben. Ständig gefordert und gehetzt hat sie den Eindruck, in ihrem Leben nicht das machen zu können, was sie wirklich will.
Opaschowski: "Die Jungen, Urbanen und Gebildeten sind mit Geld allein nicht zufriedenzustellen. Sie vermissen persönliche und soziale Lebensqualität, die sie nicht einfach kaufen können." Lebensqualität ist die Antwort auf die Frage, wofür es sich zu arbeiten und zu leben lohnt. Das ist der Maßstab für nachhaltigen Wohlstand, der nicht mit Prämien, Preisnachlässen und Steuersenkungen auf Zeit erreichbar ist.
Frauen und Männer leben in unterschiedlichen Wohlstandswelten
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Wohlstandsmaßstab ist von Männern erdacht und entwickelt worden und blendet weibliche Wohlstandsqualitäten weitgehend aus. Nach dem von Ipsos ermittelten Nationalen WohlstandsIndex hat Wohlstand für Frauen im Vergleich zu Männern mehr mit Wohlergehen als mit Wohlleben zu tun. Frauen heben als persönliche Wohlstandswirklichkeit hervor,
* in Frieden mit ihren Mitmenschen leben zu können,
* gute Kontakte zu ihrer Familie und ihren Verwandten zu haben und
* für andere da zu sein.
Wohlstand fängt für Frauen mit dem sozialen Wohlbefinden an. Frauen pflegen die Nähe zum sozialen Nahmilieu. Zudem geben prozentual mehr Frauen als Männer an, umweltbewusst zu leben.
Männer favorisieren und leben ganz andere Wohlstandswerte. Sie fühlen sich erst richtig wohl, wenn sie
* ein sicheres Einkommen haben,
* Eigentum (Haus, Wohnung, Auto) besitzen und
* sich materielle Wünsche erfüllen können.
Männer denken mehr an die Sicherung ihres Lebensstandards, Frauen eher an die Erhaltung ihrer Lebensqualität. Lebenswichtig ist offensichtlich beides - mit einem wesentlichen Unterschied: Lebensqualität trägt mehr zur Lebenszufriedenheit bei. Auch ein Grund dafür, warum jede zweite Frau (51%) von sich sagen kann: "Ich bin glücklich" (Männer: 47%).
"Wer die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung in Deutschland beklagt, muss Wohlstandspolitik zur Wohlfahrtspolitik machen und dafür Sorge tragen, dass alle auf ihre Weise gut leben und das Beste aus ihrem Leben machen können", so Professor Opaschowski. "Dabei geht es um das persönliche Gelingen des Lebens, bei dem Geld nicht die erste Geige spielt." Lebensinhalt und Lebenssinn fangen erst jenseits von Geld und Gütern an. Das trifft auch für den Job zu: Zum Wohlstand heute gehört für mehr als die Hälfte der Bundesbürger im Alter bis zu bis 55 Jahren (53%), einen Beruf zu haben, "der Sinn macht".
Das Ipsos-Forschungsteam kommt zu dem Ergebnis: Der Nationale WohlstandsIndex zeigt frühzeitig Alarmgrenzen für die Gesellschaft auf. Als Frühwarnsystem kann der NAWI-D verhindern, dass sich Unwohlstand und Unzufriedenheit in Deutschland ausbreiten und in Politikverdrossenheit der Wählerschaft enden.