Wasser: Eine kostbare, geteilte und vor allem verschwendete Ressource
Megatrend Wasser: In vielen Regionen der Welt ist der Bedarf an sauberem Wasser groß, die Ressourcen sind aber knapp. Das Geschäft mit dem „blauen Gold“ boomt. Doch abseits der Renditen bahnt sich eine globale humanitäre Katastrophe an – mit weit reichenden Folgen für Politik und Wirtschaft.
15.01.2020
Eigentlich müsste Carolyn Goodman eine glückliche Frau sein. Die 80-Jährige ist seit 8 Jahren Bürgermeisterin von Las Vegas. Zuvor regierte ihr Mann an gleicher Stelle 12 Jahre die Stadtgeschicke. Seit zwei Jahrzehnten ist die Politik in der Glitzerstadt in der Wüste von Nevada, die sich ganz dem Glück verschrieben hat, somit eine Art Familienbetrieb.
Goodman kann aber auch aus anderen Gründen zufrieden sein: Ihre Stadt boomt wie kaum eine andere in den USA. 6.000 Neubürger zieht es monatlich nach Las Vegas. Sie kommen, weil die Steuern niedrig sind und das Jobangebot groß ist. Die Winter sind mild, das Wetter ist meist sonnig – und es regnet so gut wie nie. Und genau hier fangen die Probleme von Carolyn Goodman an: Der Glücksspielmetropole Las Vegas droht der Verdurstungstod. Die künstliche Oase liegt in einer der trockensten Regionen der Erde.
Nach Angaben von Umweltexperten könnten die Wasserquellen in den kommenden 50 Jahren versiegen, wenn nicht bald der Verschwendung ein Ende bereitet wird. Derzeit verbraucht jeder Bürger von Las Vegas umgerechnet täglich 776 Liter Wasser, berichtet die US-Umweltbehörde EPA. Was übrigens schon eine Verbesserung bedeutet: 2003 lag der Wert noch bei fast 1.200 Litern. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Kopf und Tag bei 123 Litern. Gar nicht mitgerechnet sind dabei die indirekten Verbräuche, etwa durch den Konsum entsprechend Wasser-intensiv hergestellter Produkte wie Kaffee oder Kakao.
So wie Goodman geht es immer mehr Bürgermeistern in aller Welt: Das Wasser wird knapp. In den letzten 100 Jahren hat sich der Verbrauch versiebenfacht, und als Folge ist die verfügbare Süßwassermenge allein seit 1970 um 40 Prozent gesunken. 400 von 660 chinesischen Großstädten leiden heute bereits unter Wasserproblemen. Alleine in Peking fehlen fast 800 Millionen Kubikmeter Wasser und 312 Millionen Bauern haben nicht genug sauberes Trinkwasser. Spanien, Portugal und Frankreich mussten im Jahr 2005 aufgrund von unerwarteten Niederschlagsausfällen ihre Wasserversorgung rationieren, und in Mexiko lag der Anteil übernutzter unterirdischer Reservoirs bereits Mitte der 90er Jahre bei 20 Prozent, berichtet der auf Wasser spezialisierte Fondsanbieter Pictet.
Der Großteil der Süßwasserentnahmen entfällt nicht etwa auf die Haushalte, sondern auf Landwirtschaft und Industrie. Und an dieser Stelle setzen Konzepte zu Wassermanagement beziehungsweise Water Stewardship an. Im weiteren Verlauf der Ausgabe berichten wir mit Praxisbeispielen ausführlich darüber.
„Die nächsten Kriege werden um Wasser geführt“
Doch mit Blick auf die Zukunft sollte man auch Risiken nicht aus den Augen lassen: Wassermangel wird zunehmend zu einem Politikum. Dem ehemaligen UN-Generalsekretär Butros Ghali wird die Prophezeiung zugeschrieben, dass „die nächsten Kriege um Wasser geführt werden“. Vorboten zeichnen sich schon heute ab: So nutzt etwa die Türkei den GAP-Staudamm in Ostanatolien, der an der Quelle von Eufrath und Tigres erbaut wurde, um die Anrainerstaaten Syrien und Irak politisch zu disziplinieren. Die Ernten und damit das Überleben im Zweistromland hängen heute auch davon ab, wie viel Wasser die Türkei weiterleitet.
Besonders dramatisch ist die Situation in vielen Ländern der Südhalbkugel: Die Migrationswellen, die heute schon Afrika verlassen und auf Europa zurollen, wie etwa jüngst auf die Kanaren, sind auch dem Wassermangel geschuldet. Die Vereinten Nationen schlugen daher schon vor Jahren Alarm und forderten in ihren Millennium Development Goals eindringlich eine gerechtere Verteilung. Ihren Berechnungen zufolge werden sich im Jahr 2050 fast zehn Milliarden Menschen das Süßwasser der Erde teilen müssen. Schon heute aber fehlt für 2,2 Milliarden Menschen weltweit der Zugang zu sauberem Trinkwasser. 4,2 Milliarden Menschen, das entspricht rund 55 Prozent der Weltbevölkerung, müssen ohne Latrinen und ohne jegliche Abwasserversorgung auskommen. Verschmutztes Trinkwasser und mangelhafte Abwasserentsorgung sind die Ursache für 80 Prozent aller Krankheiten in den Entwicklungsländern. Täglich sterben Tausende Kinder an Durchfallerkrankungen, Hepatitis A und Wurminfektionen, die durch verseuchtes Wasser übertragen werden.
Wasser ist Frauensache
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) braucht der Mensch mindestens 20 Liter sauberes Wasser am Tag, um gesund leben zu können. Drei bis fünf Liter zum Kochen, den Rest als Trinkwasser und für Hygiene. Allein durch einfaches Händewaschen mit Wasser und Seife ließe sich die Zahl der oft tödlichen Durchfallerkrankungen weltweit um über ein Fünftel senken.
Die Länder südlich der Sahara leiden am stärksten unter Wassermangel. Hier verfügt im Schnitt nur jeder zweite Einwohner über ausreichend Trinkwasser und den Zugang zu sanitären Einrichtungen. In Afrika ist das Wasserholen traditionell Frauensache. Der Weg zu den häufig entfernt liegenden Wasserstellen oder verschmutzten Flüssen kostet die Frauen und Mädchen oft viele Stunden am Tag. Zeit, die für die Arbeit und den Schulbesuch fehlt. Im Senegal, wo nur 35 Prozent der Landbevölkerung Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, können 72 Prozent der erwachsenen Frauen nicht lesen und schreiben, dagegen nur 53 Prozent der Männer.
Hilfe und ein Umlenken sind hier dringend gefordert. Dabei setzen die UN sowie staatliche und zivilgesellschaftliche Entwicklungshilfe-Organisationen verstärkt auf die Partnerschaft mit Unternehmen und privaten Investoren. „Es ist entscheidend, dass wir proaktiv werden und den Privatsektor einbinden, um diese Herausforderungen in Chancen zu verwandeln,“ mahnte etwa Klaus Töpfer, vormals Direktor von UNEP. In rund 70 Ländern arbeiten entwicklungspolitische Organisationen und private Unternehmen in Public Private Partnerships, sogenannten PPP-Projekten, zusammen. Das Thema Wasser ist hierbei nach Angaben der Bundesregierung zentral.
Es geht aber auch anders, nämlich durch sinnvolles Wassermanagement und pfiffige Ideen: Eine Handvoll Lehm, Tee oder Reis, Stroh und Kuhfladen sind die einfachen Mittel, durch die Menschen in aller Welt Zugang zu sauberem Wasser bekommen könnten. Tony Flynn, Materialwissenschaftler an der Australian National University in Canberra, hat schon vor Jahren eine innovative Technik entwickelt, durch die Wasserfilter aus einfachen, weit verbreiteten und billigen Materialien hergestellt werden könnten.
Eine Handvoll Lehm
Zum Brennen der Filter ist kein spezieller Ofen notwendig, sondern nur ein Feuer aus Stroh und Kuhdung. Die Filter entfernen zuverlässig Krankheitserreger wie beispielsweise Coli-Bakterien. Tony Flynns Ziel war es, eine effektive Filtertechnik zu entwickeln, die überall auf der Welt die leichte und kostengünstige Aufbereitung von Wasser zulässt. "Diese Filter haben das Potenzial, allen Menschen sauberes Trinkwasser zugänglich zu machen", so der Wissenschaftler. Die Herstellung und Anwendung der Filter ist sehr einfach zu erklären und kann von jedermann überall auf der Welt durchgeführt werden. Man braucht dazu keinerlei westliche Technologien oder spezielle Ausrüstungen.
Zur Herstellung der Filter wird eine Handvoll trockener, zerstoßener Lehm mit organischen Materialien wie Teeblättern, Kaffeesatz oder Reishülsen und etwas Wasser zu einer festen Masse vermischt. Daraus wird ein zylindrischer Topf geformt, der an einem Ende geschlossen ist. Diese Form wird in der Sonne getrocknet und dann gebrannt. Innerhalb einer Stunde ist der Filter gebrauchsfertig gebrannt. Seine Erfindung hat Tony Flynn übrigens mit Absicht nicht patentieren lassen, in der Hoffnung, dass sie bald überall in der Welt angewendet wird.
Auch in Las Vegas kann es so wie bisher nicht weitergehen, weiß Bürgermeisterin Goodman. Die Ableitungen von Wasser aus dem Colorado River reichen bei weitem nicht mehr aus. Daher setzt die Stadt jetzt auf eine Milliarden Dollar teure und mehr als 550 Kilometer lange Pipeline, die vom Norden des Bundesstaates Wasser in die durstige Stadt bringen soll. Doch damit zog sie sich die Feindschaft der Bauern in den umliegenden Counties Clark, Lincoln und White Pine zu: Die dürfen nämlich künftig nur eine festgelegte Menge Wasser entnehmen. Die Rechte für ihr Grundwasser hatte Las Vegas vor 20 Jahren gekauft. In Las Vegas weiß man eben, wann man ein gutes Blatt hat.