Landwirtschaft: mit besseren Einkommen die SDGs erreichen
Landwirtschaftliche Entwicklungen spielen eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung der globalen Armut. Etwa 80 Prozent und damit rund 650 Millionen der weltweit ärmsten Menschen leben in den ländlichen Gebieten von Entwicklungsländern. Diese Menschen sind zwecks Einkommenssicherung zu großen Teilen von der Landwirtschaft abhängig. Wenn wir die weltweite Armut also bekämpfen wollen, müssen wir uns insbesondere für bessere Einkommen einsetzen.
19.11.2021
Von Aparajita Bhalla, Global Director of Sector Transformation bei der Rainforest Alliance
In den vergangenen zwanzig Jahren hat die Frage nach nachhaltigerer Lebensmittelproduktion stark an Relevanz gewonnen. Verbraucher:innen, Regierungen und Unternehmen erkennen zunehmend die Folgen der Untätigkeit und die Dringlichkeit, das Problem aktiv anzupacken. Das macht sich schon jetzt in fortschrittlichen Entwicklungen beispielsweise im Bereich der Bodengesundheit, der Wasserwirtschaft und der Landwirtschaftspflege deutlich.
Kleinlandwirt:innen sind für ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion verantwortlich
Kleinlandwirt:innen sind das Rückgrat der Landwirtschaft und der Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass die Arbeit von Landwirt:innen bis zu 70 Prozent der inländischen Nahrungsmittelproduktion in diesen Ländern ausmacht. Global soll der Anteil bei rund 30 bis 34 Prozent liegen.
Während die Nachfrage nach nachhaltiger Landwirtschaft zunimmt, steigen jedoch auch die Anforderungen an die Landwirt:innen, die vermehrt mit dem Wettbewerbsdruck auf dem globalen Markt zu kämpfen haben. Gleichzeitig erhält nur ein Bruchteil von ihnen finanzielle Unterstützung, um eine nachhaltige Landwirtschaft zu implementieren.
Schokoladenindustrie: Nur 6,6 Prozent des Verkaufspreises gehen an Kakaolandwirt:innen
Ein Blick auf die Schokoladenindustrie offenbart: Der Markt umfasst ein geschätztes Volumen von etwa 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Gleichzeitig verdienen die meisten kleinen Kakaolandwirt:innen in Westafrika, wo rund 70 Prozent des weltweiten Kakaos angebaut werden, weniger als 1,25 Dollar pro Tag. Das bedeutet, dass pro verkauftem Schokoriegel nur etwa 6,6 Prozent des Einzelhandelspreises bei den Produzent:innen ankommen.
Das Leben dieser Kleinlandwirt:innen ist riskant. Ihr Einkommen hängt von einem volatilen Weltmarkt ab, auf dem die Preise in einem einzigen Quartal um bis zu 25 Prozent einbrechen können.
Seit 1980 hat sich der weltweite Kakaopreis (inflationsbereinigt) halbiert. Gleichzeitig wurde die Messlatte für eine nachhaltigere Landwirtschaft höher angesetzt. Und auch die Preise für wichtige landwirtschaftliche Betriebsstoffe wie Düngemittel sind gestiegen. Wie können sich Landwirt:innen also auf eine sich ständig ändernde Nachhaltigkeitsagenda konzentrieren, wenn ihnen die Mittel für die notwendigen Investitionen fehlen?
Ungleichheit in den Lieferketten
Die strukturelle Ungleichheit innerhalb der Lieferketten erschwert echten Fortschritt bei der Verwirklichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Ob es um globale Armut, Klimawandel, Umweltzerstörung oder Menschenrechte geht – Fortschritt kann nur erreicht werden, wenn zunächst für die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit und das Wohlergehen der Landwirt:innen gesorgt wird.
Doch wie lassen sich Optimierungsprozesse anstoßen? Zunächst einmal sollten Lebensmittelunternehmen weltweit den Lebensunterhalt der Landwirt:innen als wichtiges Kriterium anerkennen und ihre Lieferketten so umgestalten, dass sie integrativer und gerechter sind, damit die Landwirt:innen mit stabileren Abnahmeverpflichtungen rechnen können.
Darüber hinaus sollten Nachhaltigkeitsziele nicht nur ambitioniert, sondern vor allem realistisch sein, und zwar sowohl für Unternehmen als auch für Landwirt:innen. Das schließt mit ein, dass Unternehmen sich an den Investitionskosten für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen beteiligen und das Engagement der Landwirt:innen mit höheren Preisen belohnen.
Ein Instrument zur Umsetzung dieser Ziele stellen sogenannte Zertifizierungsprogramme dar. So unterstützt beispielsweise auch die Rainforest Alliance mit ihrem 2020 Programm internationale Lebensmittelunternehmen dabei, transparenter aufzutreten, die soziale und ökologische Leistung ihrer Lieferketten genauer zu messen und mögliche Risikobereiche zu identifizieren. Ein solches Vorgehen bietet nicht nur Landwirt:innen und Unternehmen einen deutlichen Mehrwert, es bildet auch das Fundament für nachhaltigere Lieferketten. Die teilnehmenden Unternehmen erklären sich außerdem bereit, zertifizierte Landwirt:innen mit einer Prämie zu belohnen, die über den Marktpreis des jeweiligen Produkts hinausgeht.
Ein Paradigmenwechsel ist gefragt
Um die Lohn-Problematik langfristig zu lösen, sind jedoch noch weitere Maßnahmen erforderlich: Unter anderem müssen die Nachhaltigkeitsziele und Beschaffungsstrategien von Unternehmen besser aufeinander abgestimmt werden, um stabilere und widerstandsfähige Lieferketten zu installieren. Darüber hinaus sollten sich politische Entscheidungsträger sowohl in den Erzeuger- als auch in den Verbraucherländern mit internationalen Hilfsorganisationen und Bürgergemeinschaften zusammenschließen und sich gemeinsam für ein neues Paradigma in der globalen Landwirtschaft stark machen.
Laut dem Edelman Trust Barometer 2020 wünschen sich 90 Prozent der Verbraucher:innen weltweit, dass Marken „alles in ihrer Macht Stehende tun, um das Wohlergehen und die finanzielle Sicherheit ihrer Lieferanten zu schützen“. Die Mehrheit der Befragten vertritt die Ansicht, dass das Vertrauen in ein Unternehmen dauerhaft beschädigt wird, wenn dieses ihre Profitziele über den Menschen stellt.
Investitionen in den nachhaltigen Lebensstandard von Landwirt:innen sorgen in Zeiten des Klimawandels, von Pandemien und einer noch nie dagewesenen Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen für stabilere Lieferketten. Um das Problem der globalen Armut zu überwinden, den Planeten zu schützen und das Leben sowie die Perspektiven der Menschen weltweit zu verbessern, müssen wir unbedingt das Thema der strukturellen Ungleichheiten innerhalb der globalen Lieferketten anpacken. Die Lösung zu diesem Problem liegt in der geteilten Verantwortung.
Über die Autorin:
Aparajita Bhalla ist Global Director of Sector Transformation bei der Rainforest Alliance und setzt sich für einen Shared-Responsibility-Ansatz in nachhaltigen Lieferketten ein. Die Rainforest Alliance ist eine internationale gemeinnützige Organisation, die in mehr als 70 Ländern an der Schnittstelle von Wirtschaft, Land- und Forstwirtschaft arbeitet. Auf Basis ihres Zertifizierungsprogramms, ihrer Lösungen für Produktions- sowie Lieferketten, durch Interessenvertretung und Engagement in der Landwirtschaft verändert die Rainforest Alliance die Art und Weise, wie vor allem Kakao, Kaffee, Tee, Bananen, Forstprodukte und Palmöl weltweit produziert, bezogen und konsumiert werden.