Ukraine-Krieg bedroht Afrikas Ernährungssicherheit
Russlands Invasion in der Ukraine bedroht die Ernährungssicherheit in Afrika. Die Versorgung mit Getreide dürfte sich für viele afrikanische Staaten dauerhaft verschlechtern und verteuern. Sollten russische Getreideexporte deutlich fallen, etwa weil das Land einen Exportstopp verhängt, stünden einige der ärmsten Länder wohl vor einer schweren Hungerkrise. Dies zeigen aktuelle Modellrechnungen des IfW Kiel.
07.04.2022
„Russland und die Ukraine zählen zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt. Zahlreiche afrikanische Staaten sind von den Lieferungen abhängig und könnten einen Ausfall oder Rückgang auch langfristig nicht ersetzen", sagt Tobias Heidland, Forschungsdirektor und Mitglied im Forschungscluster Afrika am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel). „Dies kann für einzelne Länder dramatische Folgen haben, im schlimmsten Fall drohen schwerer Hunger und soziale Unruhen."
Gemeinsam mit weiteren Forschern des IfW Kiel und der Afrikanischen Entwicklungsbank hat er mit dem Handelsmodell KITE (Kiel Institute Trade Policy Evaluation) die langfristigen Folgen des Ukraine-Krieges für die Getreideversorgung Afrikas simuliert (Balma et al. „Long-Run Impacts of the Conflict in Ukraine on Food Security in Africa"). Betrachtet wurden Weizen und sonstiges Getreide wie Mais, Hirse, Gerste und Reis.
Die Forscher untersuchen mehrere Szenarien. In einem gehen sie davon aus, dass die Ukraine künftig in ihren Anbaumöglichkeiten für Getreide aufgrund von Zerstörung und einer Kriegswirtschaft stark limitiert ist (Rückgang der Produktivität um 50 Prozent). Zusätzlich, dass sich die Transportkosten für den Handel sowohl mit der Ukraine (plus 50 Prozent) als auch mit Russland (plus 25 Prozent) stark erhöhen, weil Handelswege beeinträchtigt oder zerstört sind.
Die Folgen sind fallende ukrainische und russische Erntemengen, die zu höheren Preisen und sinkenden Getreideimporten afrikanischer Länder führen – nicht nur aus der Ukraine und Russland, sondern insgesamt. Am stärksten wären die Effekte in den beiden nordafrikanischen Ländern Ägypten und Tunesien, weil dort die Abhängigkeit von Getreideimporten aus der Ukraine und aus Russland am höchsten ist.
Schaden für ärmere afrikanische Länder
In deutlich ärmeren Ländern, beispielsweise Ruanda, Tansania, Mosambik, Kenia oder Kamerun, sind die Effekte zwar geringer, der Schaden für die Menschen könnte aber umso dramatischer sein, weil die Ernährungssicherheit dort bereits sehr angespannt ist.
Laut Berechnungen sinken Weizeneinfuhren am deutlichsten in Ägypten (minus 13,3 Prozent), Tunesien (minus 12,3 Prozent) und Äthiopien (minus 10,8 Prozent). Bei sonstigem Getreide sind Tunesien (minus 15,2 Prozent), Ägypten (minus 13,4 Prozent) und Kamerun (minus 11,9 Prozent) am stärksten betroffen.
Die höchsten Preisanstiege bei Weizen sind in Kenia (plus 5,8 Prozent), Uganda (plus 5,2 Prozent), Tunesien (plus 4,3 Prozent) und Mosambik (plus drei Prozent) zu verzeichnen, bei sonstigem Getreide in Tunesien (plus 13,6 Prozent) sowie Algerien und Libyen, im Handelsmodell als Ländergruppe zusammengefasst (plus 5,5 Prozent).
„Der Krieg in der Ukraine ist eine reale Bedrohung für die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen in Afrika. Eine neue Realität auf dem Getreideweltmarkt, wo die Ukraine und Russland für lange Zeit nicht mehr die gewohnten Mengen liefern, geht klar zu Lasten einer Reihe von afrikanischen Ländern", so Heidland.
„Eine wichtige Lektion der Krise ist, dass afrikanische Entscheidungsträger die Abhängigkeit ganzer Länder von einzelnen Lieferanten verringern sollten, auch wenn dies mit höheren Kosten verbunden ist. Es ist eine Investition in die langfristige Ernährungssicherheit in einer geopolitisch instabileren Welt."
Exportstopp Russlands hätte dramatische Folgen
In einem weiteren Szenario berechnen die Forscher die Folgen eines hypothetischen Exportstopps für Getreide durch Russland, der zusätzlich zur verminderten Produktion in der Ukraine und erhöhten Handelskosten käme. In diesem Falle wären die Folgen für Afrika vor allem mit Blick auf Weizen dramatisch, dem bei weitem bedeutendsten russischen Exportgetreide.
Die Simulationen zeigen, dass Ruanda dann seine Weizenimporte um fast die Hälfte reduzieren müsste (minus 48,4 Prozent), als Reaktion auf einen Preisanstieg um über ein Drittel (39,6 Prozent). Auch in Kenia (Importe minus 26,4 Prozent; Preise: plus 32,4 Prozent), in Tansania (Importe minus 36,9 Prozent; Preise plus 13,1 Prozent) und in Mosambik (Importe minus 21,4 Prozent; Preise: plus 15,1 Prozent) wären die Folgen mit Blick auf die Ernährungssicherheit bedrohlich.
„Ein Exportstopp von Getreide durch Russland kann in diesen Ländern zu schwerem Hunger für Teile der Bevölkerung führen. Ein Ausweg könnte sein, fehlende Getreideimporte durch andere Nahrungsmittel zu ersetzen oder die Produktion im eigenen Land bzw. von Seiten anderer Handelspartner zu erhöhen. Wenn Lebensmittel nicht mehr erschwinglich sind, würde es beispielsweise zu negativen Effekten auf die Gesundheit, Sterblichkeit und Bildung von Kindern kommen und somit schwere Langfristfolgen haben. Es gibt hier also einen klaren Auftrag an den Westen, die am schwersten betroffenen Länder zu unterstützen", so Heidland.
Westliche Länder wie Deutschland sind weit weniger in ihrer Versorgungssicherheit mit Getreide durch den Krieg in der Ukraine betroffen. Spürbare Veränderungen wären mit Blick auf Tierfutter zu beobachten. Im drastischsten Fall eines Exportstopps durch Russland würde die importierte Menge an sonstigem Getreide, das etwa Futtermais beinhaltet, um gut 4 Prozent sinken, die Preise dafür um gut zwei Prozent steigen.
Das Handelsmodell KITE simuliert die langfristige und dauerhafte Veränderung von Handelsströmen, wenn sich Rahmenbedingungen ändern. Dies kann beispielsweise durch Veränderungen von Handelshemmnissen geschehen oder wie hier durch den Ausfall eines ganzen Landes als Handelspartner. Die kurzfristigen Folgen und Anpassungsprozesse werden im Modell nicht abgebildet. In vielen Fällen liegen sie höher als die berechneten Langfristeffekte, da Anpassungen Zeit benötigen.
Die gesamte Studie können Sie hier nachlesen.