Aktueller GemeinwohlAtlas der Schweiz veröffentlicht
Bei der neu im Internet unter www.gemeinwohl.ch veröffentlichten Bewertung des Schweizer Gemeinwohls 2017 sind deutliche Veränderungen und neue Trends zu erkennen. Ganz vorn liegen wie auch schon 2015 gemeinnützige Organisationen, auf den letzten Plätzen landete Fußball. Laut Studienleiter Prof. Dr. Timo Meynhardt von der HHL ist die Schweiz von 2017 nicht mehr die Schweiz von vor zwei Jahren. Er erwartet auch für Deutschland ein gesellschaftliches Paradox der Wertschätzung für das Vorhandene und der gleichzeitig gestiegenen Sorge um das Gemeinwohl.
10.10.2017
Der dritte GemeinwohlAtlas (Public Value Atlas) Schweiz 2017 ist ein Kooperationsprojekt zwischen dem Dr. Arend Oetker Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie und Führung an der HHL Leipzig Graduate School of Management und dem Center for Leadership and Values in Society (CLVS) an der Universität St. Gallen. 106 Unternehmen und Organisationen aus verschiedenen Branchen und Bereichen wurden in einer repräsentativen Befragung von 14.502 Schweizer Bürgerinnen und Bürgern bewertet im Hinblick auf den Wert für die Gesellschaft.
Veränderungen und neue Trends
In den neu im Internet unter www.gemeinwohl.ch veröffentlichten Ergebnissen sind deutliche Veränderungen und neue Trends zu erkennen. Laut Prof. Dr. Timo Meynhardt von der HHL, dem verantwortlichen Leiter der Studie und Managing Director des Center for Leadership and Values in Society, ist die Schweiz von 2017 nicht mehr die Schweiz von 2015: „Sie hat sich mental verändert – mehr Sorge und mehr Wertschätzung zugleich. Was auf den ersten Blick paradox erscheint, ist psychologisch plausibel: Die Schweizer schauen genauer hin und besinnen sich in Zeiten gewachsener Verunsicherung auf das Vorhandene. Sie halten fest an dem, was sie zusammenhält – ihre Unternehmen und Organisationen. Gleichzeitig setzen sie das Thema mit neuer Wucht auf deren Agenda. Hier sind alle zum Dialog aufgefordert, keiner kann sich zurücklehnen.“
Das für den GemeinwohlAtlas verantwortliche Team aus Leipzig und St. Gallen weist gerade in diesem Zusammenhang auf die Relevanz für die deutschen Nachbarn hin:
Sorge um Gemeinwohl
Noch im Jahr 2015 schienen die Schweizer das Thema Gemeinwohl mit 65 Prozent deutlich sorgenfreier wahrzunehmen als die Deutschen mit 85 Prozent. Die Ergebnisse des GemeinwohlAtlas 2017 zeigen, dass die Sorge um das Gemeinwohl in der Schweiz deutlich gestiegen ist und nun bei 73 Prozentliegt. Ob der Sorgenwert auch in Deutschland steigen wird, kann erst der nächste GemeinwohlAtlas Deutschland aufklären, der in Vorbereitung ist. Prof. Meynhardt erwartet auch für Deutschland ein gesellschaftliches Paradox der Wertschätzung für das Vorhandene und der gleichzeitig gestiegenen Sorge um das Gemeinwohl.
Zum Vergleich jetzt auf die aktuellen Schweizer Ergebnisse zu schauen, ist aufschlussreich für die deutschen Nachbarn, denn bei kontroversen Diskussionen über direkte Demokratie, Außenpolitik oder bedingungsloses Grundeinkommen lohnt sich der Blick auf wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Unterschiede.
Bürger packen selbst an
In Deutschland lag im GemeinwohlAtlas 2015 die Feuerwehr an der Spitze. In der Schweiz 2015 ein Pflegedienst (Spitex), 2017 die Rega (Rettungsflugwacht). In beiden Ländern ist die Wirtschaft nicht erste Adresse, wenn es um das Gemeinwohl geht. Es dominieren Vereine, Verbände, NGOs und (halb)staatliche Institutionen. In der Schweiz stimmen 92 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Unternehmen in der Verantwortung stehen, zum Gemeinwohl beizutragen. Sie sehen sich aber auch selbst in der Pflicht. 95 Prozent der Befragten geben an, durch ihr eigenes Verhalten einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten zu können. Dies ist ein starkes Bekenntnis, selbst anzupacken und weder den Staat noch die Wirtschaft allein in die Pflicht zu nehmen. Dazu gibt es noch keine Vergleichszahlen zu Deutschland.
Fußballkultur auf dem letzten Platz
Im GemeinwohlAtlas Schweiz 2017 schneidet der Fußball schlecht ab. Die letzten Plätze belegen die FIFA (Platz 106) und UEFA (Platz 105). Doch auch der Gemeinwohlbeitrag von Schweizer Fußballvereinen wurde als sehr niedrig wahrgenommen. Nur der FC Basel schafft es, mit dem Durchschnitt des Gemeinwohlbeitrags der anderen Organisationen mitzuhalten. Alle anderen Vereine (BSC Young Boys Platz 85, FC Sion Platz 101, FC Zürich Platz 99) landeten in der Schlussgruppe und damit deutlich unter dem Gemeinwohldurchschnitt. In Deutschland sah die Bewertung der Fußballvereine 2015 deutlich besser aus. Hier waren fast alle Vereine im starken Mittelfeld (Borussia Dortmund Platz 28, Bayer Leverkusen Platz 71, FC Bayern Platz 81, Schalke Platz 88, Werder Bremen Platz 84). Ob die negativen Schlagzeigen über die FIFA in den letzten Jahren auch dem wahrgenommenen Gemeinwohlbeitrag lokaler Clubs geschadet haben und ob die bisher sehr starke deutsche Fußballkultur dem standhalten kann, wird sich im nächsten GemeinwohlAtlas Deutschland zeigen, der derzeit in Planung ist.
Lebensmittelhandel mit gutem Image
Auch deutsche Unternehmen, die in der Schweiz aktiv sind, werden im GemeinwohlAtlas Schweiz 2017 beurteilt. Dabei zeigt sich, dass die Schweizer auch in den deutschen Unternehmen einen Beitrag zu Ihrem Gemeinwohl erkennen. So schneiden die zwei ursprünglich deutschen Detailhändler Aldi und Lidl gut ab. Der Beitrag zum Gemeinwohl der beiden Händler wird in der Schweiz 2017 sogar besser beurteilt als von den Deutschen 2015:
Aldi: Schweiz 4.18 – Deutschland 3.96 / Lidl: Schweiz 4.15 – Deutschland 3.58.
SBB Vorbild für Deutsche Bahn
Selbst wenn der Vergleich aufgrund der unterschiedlichen Größe hinkt: Im GemeinwohlAtlas Schweiz 2017 sehen die Schweizerinnen und Schweizer in ihrer Bahn einen sehr hohen Gemeinwohlbeitrag und sind vor allem mit der Aufgabenerfüllung und dem Beitrag zum Zusammenhalt zufrieden. Ganz anders sieht es in Deutschland aus: die Bahn schnitt 2015 insgesamt deutlich schlechter ab und der Mangel wird hauptsächlich in der Aufgabenerfüllung gesehen. Bei anderen öffentlich-rechtlichen Dienstleistern wie z.B. der Arbeitsagentur ergeben sich ebenfalls deutlich höhere Gemeinwohlwerte der entsprechenden Organisationen in der Schweiz.