Oxfam sieht über 250 Millionen Menschen armutsgefährdet
Mehr als eine Viertelmilliarde Menschen könnten im Jahr 2022 in extreme Armut abrutschen. Gründe dafür sind die COVID-19-Krise, globale Ungleichheit und Preissteigerungen bei Lebensmitteln, die durch den Krieg in der Ukraine noch verstärkt werden. Das ist das Ergebnis der Studie „First Crisis, Then Catastrophe“, die die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam vor der Frühjahrstagung von Weltbank und IWF und dem G20-Finanzministertreffen in Washington vorgestellt hat.
27.04.2022
Nach Berechnungen der Weltbank werden durch COVID-19 und die zunehmende Ungleichheit in diesem Jahr 198 Millionen Menschen in die extreme Armut abrutschen. Damit drohen zwei Jahrzehnte des Fortschritts bei der Armutsbekämpfung zunichte gemacht zu werden. Auf der Grundlage dieser Berechnungen schätzt Oxfam, dass allein durch die weltweit steigenden Nahrungsmittelpreise weiteren 65 Millionen Menschen extreme Armut droht. Insgesamt sind damit 263 Millionen Menschen akut armutsgefährdet – das entspricht der Bevölkerung von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Spanien zusammengenommen.
„Im Zuge der Corona-Pandemie ist in den vergangenen Jahren die bereits zuvor dramatische weltweite Ungleichheit weiter gestiegen. Hinzu kommt nun der Krieg in der Ukraine, mit dramatischen Folgen in einkommensschwachen Ländern: Ungleichheit und Armut drohen hier weiter zu steigen. Die Weltgemeinschaft darf die Menschen in den einkommensschwachen Ländern jetzt nicht vergessen“, so Tobias Hauschild, Leiter Soziale Gerechtigkeit bei Oxfam Deutschland.
Oxfams Bericht weist darauf hin, dass eine Reihe von Regierungen kurz vor der Zahlungsunfähigkeit steht und gezwungen ist, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen. Die ärmsten Länder der Welt müssen in diesem Jahr Schulden in Höhe von 43 Milliarden Dollar zurückzahlen. Dieses Geld fehlt zum Beispiel bei Lebensmittelimporten.
Menschen, die in Armut leben, sind von diesen Schocks am stärksten betroffen. Steigende Lebensmittelkosten machen in wohlhabenden Ländern 17 Prozent der Verbraucherausgaben aus, in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara jedoch bis zu 40 Prozent. Selbst innerhalb der reichen Volkswirtschaften verschärft die Inflation die Ungleichheit: In den USA geben die ärmsten 20 Prozent der Familien 27 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, während die reichsten 20 Prozent nur 7 Prozent ausgeben.
„Die Weltgemeinschaft hat die Mittel, um alle Menschen aus Armut und Hunger zu befreien. Was fehlt, ist der politische Wille. Es ist ein fatales Signal, dass ausgerechnet Deutschland im Jahr der eigenen G7-Präsidentschaft den Entwicklungsetat im Bundeshaushalt 2022 drastisch kürzt. Die Bundesregierung sollte diese Entscheidung revidieren und die Mittel in den kommenden Jahren entschieden erhöhen, um so Bildung, Gesundheit und Ernährungssouveränität in einkommensschwachen Ländern und einen Globalen Fonds für soziale Sicherung zu finanzieren“, fordert Hauschild.
Zudem dringt Oxfam auf Vermögenssteuern, um die Krisen sozial gerecht abzufedern – so auch in Deutschland. Obwohl sich die Kosten auftürmen, haben es die Regierungen - mit wenigen Ausnahmen - versäumt, die Steuern für die Reichsten zu erhöhen. Argentinien hat eine einmalige Sonderabgabe, die so genannte „Millionärssteuer“, eingeführt, die rund 2,4 Milliarden Dollar zur Finanzierung der Coronapandemiebekämpfung eingebracht hat.
Weiter sollten die G20, IWF und Weltbank auf alle Schuldenrückzahlungen von Ländern mit einem kritischen Verschuldungsniveau verzichten. Ein Schuldenerlass würde allein im Jahr 2022 mehr als 30 Milliarden Dollar für 33 Länder freisetzen, die sich bereits in einer Notlage befinden oder bei denen ein hohes Risiko besteht, dass sie in Schwierigkeiten geraten.