Politik

Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung

Gegenwärtig versucht die Politik immer intensiver, eine klare Grenze zwischen „Flüchtling“ (auf der Suche nach Schutz) und „Migrant“ (auf der Suche nach sozio-ökonomischer Verbesserung) zu ziehen. In der Praxis ist eine Trennungslinie aber alles andere als klar.

13.02.2017

Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung zoom

In der gesellschaftlichen Debatte wird von Migration sehr häufig als „Problem“ gesprochen, das schnell politisch gelöst werden müsse. Reflexartig wird für strengere Grenzkontrollen und gar für eine Sicherung bzw. Schließung von Grenzen plädiert − wenn nötig auch mit  „Schießbefehl“. Übersehen wird allerdings, dass Migration Teil eines breiteren und weltweiten Prozesses von Entwicklung, Globalisierung und sozialer Transformation ist, welcher die Menschheit seit Jahrhunderten begleitet und auch künftig begleiten wird. Die Ursachen von Migration und Mobilität sind nicht eindimensional. Es wäre zu kurz gegriffen, Armut oder Globalisierung als die einzigen Migrationsursachen zu betrachten. Es gibt Umstände in den Herkunftsländern, die Auswanderung auslösen − sogenannte Abstoßkräfte (push factors). Dazu gehören ethnische oder religiöse Diskriminierung ebenso wie schlechte Arbeitsbedingungen und Armut. Das allein erklärt aber nicht die Entscheidungen der Menschen auszuwandern.  Anziehungskräfte der Zielländer (pull factors), wie höhere Löhne, Bedarf an saisonalen Arbeitskräften in der Landwirtschaft oder im Pflegebereich sowie an hochqualifizierten Fachkräften im IT-Bereich, beeinflussen ebenfalls die Migration.

Migration ist nicht gleich Migration

Das Zusammenwirken verschiedener Faktoren wie Wohlstand, geographische Nachbarschaft, Transportverbesserungen oder plötzliche Ereignisse schaffen die Bedingungen und das Umfeld, in dem Menschen die Entscheidung zwischen Gehen oder Bleiben treffen − dies sind die Motive oder Ursachen der Migration. Insgesamt sechs Tendenzen der Migration werden in der Migrationsforschung identifiziert:

  • Erstens die Globalisierung der Migration, d. h. immer mehr Länder weltweit sind von der Migration betroffen.
  • Zweitens der Richtungswechsel der Migrationsbewegungen, d. h. die Süd-Nord-Migration ist heute stärker als die Nord-Süd-Migration der Vergangenheit (von Europa nach Argentinien, Australien etc.).
  • Drittens die Differenzierung der Migration, d. h. die meisten Länder haben mit verschiedenen Migrationsformen zu tun.
  • Viertens die Proliferation von Migrationsübergängen, d. h. viele Auswanderungsländer werden zunehmend zu Einwanderungsländern.
  • An fünfter Stelle die Feminisierung der Arbeitsmigration, d. h. anders als in der Vergangenheit sind es heute in zahlreichen Migrationsbewegungen mehrheitlich Frauen, die ihre Heimatländer verlassen.
  • Und sechstens die steigende Politisierung von Migration, d. h. Migration bestimmt immer mehr die Innen-, Außenund Entwicklungspolitik der beteiligten Länder.
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Ursachen

1) Globale Ungleichheit

Während sogenannte Wirtschaftsmigranten − per Definition − ihr Migrationsziel hinsichtlich eines höheren Beschäftigungseinkommens wählen, geht es bei den politischen Flüchtlingen in erster Linie darum, ihr Leben zu retten und sich in Sicherheit zu bringen. Die sogenannten Wirtschaftsmigranten hoffen, in den Zielländern mit besseren Arbeitsbedingungen und angemessenerer Entlohnung ihr Wohlstandsniveau verbessern zu können. Es muss allerdings festgehalten werden, dass auch politische Flüchtlinge eher in Ländern mit geringer Arbeitslosigkeit, wie  Deutschland, Österreich oder Schweden, Schutz suchen als in Ländern mit Beschäftigungsproblemen, wie Griechenland oder vielen osteuropäischen Ländern.

Die Verbindung zwischen Migration und Beschäftigung ist inzwischen als entscheidend für Armutsbekämpfung und Entwicklung anerkannt. Die Lohndisparitäten zwischen  reichen, entwickelten Industrieländern und Entwicklungs- bzw. Schwellenländern sind groß und haben in den letzten Jahren der Wirtschaftskrise weiter zugenommen. Der Durchschnittslohn lag 2013 in den entwickelten Ländern bei 3.000 US-Dollar − pro Monat gemessen in Kauf kraftparität − verglichen mit einem Durchschnittslohn von 1.000 US-Dollar in Schwellen- und Entwicklungsländern. Der US-amerikanische  Durchschnittslohn ist mehr als dreimal so hoch wie der chinesische Durchschnittslohn. Zwar ist der Lohnunterschied zwischen beiden Ländern leicht zurückgegangen, die Arbeitsbedingungen haben sich allerdings nicht verbessert.

Frauen auf der Flucht.

2) Klimawandel und Umweltzerstörung

Insbesondere in armen Entwicklungsländern hat der Klimawandel zu einer signifikanten Steigerung von Migration und Umsiedlung geführt. Zwischen 2008 und 2013 mussten weltweit ca. 165 Millionen Menschen wegen durch den Klimawandel bedingte Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen. Jedoch nicht immer haben sogenannte Umweltflüchtlinge die Möglichkeit, frei darüber zu entscheiden, ob sie migrieren oder bleiben. Diese Entscheidungen hängen von den Umständen ab, unter denen Menschen von Umweltereignissen betroffen sind. Opfer von schweren Naturkatastrophen oder Enteignungen haben kaum die Kontrolle darüber, wie und wann sie ihren angestammten Wohnsitz verlassen und wo sie Schutz suchen können. Für die Bewohner vieler Regionen in Entwicklungsländern ist Migration der einzige Ausweg, sich anschwerwiegende Umweltveränderungen, beispielsweise Dürren oder Überschwemmungen, anzupassen.

Wenn Menschen ihre Heimat aufgrund der unmittelbaren Folgen des Klimawandels verlassen, dann bewegen sie sich meist innerhalb ihrer Heimatländer oder zwischen den Nachbarländern. Man spricht deshalb auch von „trapped populations“ [„gefangene Bevölkerung“]. Nichtsdestotrotz ist die zunehmende Migration aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa unter anderem auch eine Folge von tiefgreifenden Umweltveränderungen in der Sahelregion und Subsahara-Afrika. Die Menschen sehen sich zu Migration gezwungen, weil sie sich nicht mehr ernähren können und deshalb ihr Überleben nicht mehr gewährleistet ist.

Die wirtschaftlichen und politischen Folgen von klimatisch bedingten Umweltveränderungen sind schwerwiegender als angenommen. Ein Beispiel ist der Krieg in Syrien, der als Folge einer ganzen Reihe von ineinandergreifenden Entwicklungen zu sehen ist. Im Fokus der Öffentlichkeit stand zwar der Protest gegen das Al Asad-Regime, aber neben den bekannten religiösen, ethnischen und wirtschaftlichen Hintergründen spielten auch Umweltfaktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle.

3) Krieg und Gewalt

Ein Großteil der Flüchtlinge kommt aus fragilen Staaten, Kriegsgebieten und Konfliktregionen. Die meisten von ihnen bleiben in ihrer Region, da sie sich die Reise nach Europa, bei der sie möglicherweise auf Schlepper angewiesen wären, finanziell nicht leisten können. Gegenwärtig sind es besonders Syrer und Eritreer, die flüchten müssen und in einem anderen Land,  beispielsweise in Deutschland, Schutz suchen. In fragilen Staaten können in Teilen des Landes oder im gesamten Staatsgebiet die öffentliche Sicherheit nicht gewährleistet und Bildung,  Gesundheit, wirtschaftliche Entwicklungschancen, Rechtsordnung und -sprechung sowie  Umweltschutz nicht bereitgestellt werden. Fundamentale Infrastruktur oder  Kommunikationseinrichtungen fehlen. In diesem Vakuum übernehmen Guerilla- und  Rebellenbewegungen, Stammesfürsten, Warlords, religiöse Führer oder Dorfälteste die Macht. Kurz: Offizielle Strukturen werden zunehmend unterwandert und ausgehöhlt und der Prozess des Zerfalls schreitet voran.

Fragiles Afrika

Bis 2030 wird die Anzahl der Menschen, die in Trockengebieten in Westafrika leben, um 65 bis 80 Prozent steigen, so die Schätzungen der Weltbank. Alarmierend ist auch, dass infolge des Klimawandels der Anteil der Fläche, die als Trockenland eingestuft wird, um mindestens 20 Prozent wachsen wird. Der Zwang zur Migration und Vertreibungen werden in Afrika zunehmen. Besonders stark betroffen sind mehr als 300 Millionen Menschen, die in Trockengebieten im Westen und Osten Afrikas leben. In Westafrika sprechen US-amerikanische Migrationsforscher von einem Spannungsbogen (arc of tension), der das Zusammenwirken zwischen Klimawandel, politischer Instabilität und Migration entlang der vier Länder Nigeria, Niger, Algerien und Marokko beschreibt. Diese vier Länder, teilweise verbunden durch die Sahara, wurden von  Sicherheitsexperten bisher eher selten als eine geopolitische Konfliktregion angesehen. Erst durch die neue Migrationskrise versteht man allmählich, dass der Klimawandel Auslöser für weitere Krisen ist. Es ist abzusehen, dass sich der Verteilungskampf um immer knapper werdende Ressourcen in Zukunft zuspitzen wird.

Die zehn Länder, die am meisten von Rücküberweisungen profitieren.

Rücküberweisungen

Lange Zeit wurde die Bedeutung von Rücküberweisungen als wichtiger Entwicklungsfaktor in Rahmen der Migrationsforschung verkannt. Dies hat sich geändert, seit der wirtschaftliche Gewinn deutlich geworden ist, den die Herkunftsländer aus dem Geldtransfer erzielen, welchen Migranten von ihren neuen Standorten aus veranlassen. Im Jahr 2015 betrug der Wert von Rücküberweisungen in Entwicklungsländer 432 Milliarden US-Dollar. Außerdem spielen Rücküberweisungen eine große Rolle für die Privathaushalte in den Herkunftsländern, eröffnen neue Bildungschancen, verringern die Armut und führen zu Verbesserungen in der  Gesundheitsversorgung. Migration bietet somit Potenziale für die Herkunftsländer der Migranten und fördert dort die lokale Wirtschaft und Infrastruktur.

Der Zusammenhang zwischen Rücküberweisungen und sogenanntem „brain drain“  (Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften) kann jedoch auch negative Auswirkungen auf die Herkunftsländer haben. Qualifizierte Arbeitskräfte verlassen ihre Herkunftsländer im Globalen Süden und hinterlassen eine entscheidende Lücke, die sich negativ auf den Transformationsprozess dieser Länder auswirkt.

Bisher sind die Rücküberweisungen von Industrieländern in die Herkunftsländer der Migranten recht kostspielig. Durchschnittlich acht Prozent des Transferbetrags wird von der Bank einbehalten. Möchte man Geld in die Subsahara-Region verschicken, kann das sogar bis zu zwölf Prozent des Betrags kosten. Die Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable  Development Goals, SDG) und der im November 2015 von der EU verabschiedete Notfall-Treuhandfonds für Afrika sehen vor, die Kosten für Rücküberweisungen bis 2030 auf mindestens drei Prozent und maximal fünf Prozent zu senken.

Im Original ist der Text im Jahrbuch "Global Compact Deutschland 2016" erschienen.

Weitere und vertiefende Informationen finden Sie in der Südwind-Studie „Migration und Flucht in Zeiten der Globalisierung. Die Zusammenhänge zwischen Migration, globaler Ungleichheit und Entwicklung“, Bonn 2016.

Quelle: UmweltDialog
 

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