„Wie bei allen Betrügereien steht der finanzielle Vorteil im Vordergrund“
Lebensmittelfälschungen sind ein lukratives Geschäft. Sie schaden nicht nur der europäischen Wirtschaft, sondern können auch Menschen gefährlich werden. Beispielsweise bei unzureichender Kennzeichnung der Inhaltsstoffe. DNV GL setzt sich für eine lückenlose Rückverfolgbarkeit und Transparenz der Produkte ein, um Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Wie, das erklärt uns Dr. Barbara Hase, Country Sales Manager Germany von DNV GL Business Assurance, im Interview.
23.05.2019
UmweltDialog (UD): Bei Markenfälschungen denkt man gerne an Uhren, Sonnenbrillen oder T-Shirts, die man im Urlaub am Strand kaufen kann. Laut EU-Kommission machen aber falsche Lebensmittel mit 24 Prozent den größten Teil der Markenfälschungen aus. Angeführt wird die Hitliste von Produkten wie Olivenöl, Milch und Honig. Warum ist das Geschäft mit gefälschter Nahrung so lukrativ?
Dr. Barbara Hase: Wie bei allen Betrügereien steht dabei der finanzielle Vorteil im Vordergrund. Und der ist laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit inzwischen vergleichbar groß - ähnlich wie bei Drogendealern und Menschenhändlern. Für den Verbraucher ist es fast unmöglich zu erkennen, ob sie getäuscht werden oder nicht. Die zunehmende Globalisierung ist ein weiterer Faktor, der die Aufdeckung erschwert: Je mehr Ländergrenzen ein Produkt überquert, desto schwerer haben es die Kontrollbehörden. Auch große Konzerne haben Schwierigkeiten ihre Lieferketten lückenlos zurückzuverfolgen.
UD: Ab Ende 2019 gilt die neue EU-Kontrollverordnung. Sie legt die Anforderungen an die amtlichen Lebensmittelkontrollen innerhalb Europas für alle Mitgliedsstaaten verbindlich fest; die unterschiedlichen Rechtsvorschriften sollen gebündelt und angeglichen werden. Trägt die neue Verordnung dazu bei, den europäischen Verbraucher besser vor Lebensmittelbetrug zu schützen?
Hase: Die neue Verordnung verstärkt die Bekämpfung von Lebensmittelbetrug. Zum einen wird der Ansatz der „risikoorientierten Kontrolle“ nicht mehr ausschließlich auf die Lebensmittelsicherheit beschränkt, sondern zukünftig auch verstärkt auf das Risiko von Lebensmittelbetrug ausgerichtet. Des Weiteren sollen europäische Referenzzentren für die Echtheit und Integrität der Lebensmittelkette eingerichtet werden, die den Mitgliedsstaaten durch wissenschaftliche Expertise bei der Prävention und Bekämpfung von betrügerischen Praktiken Unterstützung bieten. Eine weitere Verbesserung ist der stärkere Schutz von Whistleblowern vor Diskriminierung und Benachteiligung. Wie sich diese Neuerungen in der Praxis bewähren, wird sich zeigen. Die Unternehmen stehen hier aber auch selbst in der Pflicht, ihre Lebensmittelsicherheit umfassend zu managen, eine möglichst lückenlose Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte zu gewährleisten und so das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen.
UD: Um Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten, setzen Sie sich bei DNV GL für eine lückenlose Rückverfolgbarkeit und Transparenz der Produkte über die gesamte Lieferkette hinweg ein. Sie haben mit „My Story“ eine digitale Lösung auf Blockchain-Technologie entwickelt, die das gewährleisten soll. Bitte erklären Sie Ihre Lösung.
Hase: Vollständig werden sich Lebensmittelfälschungen auch mithilfe der Blockchain-Technologie nicht vermeiden lassen, aber sie liefern einen wichtigen Beitrag dazu, die Messlatte immer höher zu setzen und vorsätzlichem Betrug auf Schrittlänge zu folgen. „My Story“ erzählt die ganze Geschichte eines Produktes. Wichtige Produktmerkmale, wie zum Beispiel Qualität, Zertifikate, Authentizität, Herkunft, Inhaltsstoffe, Wasser- und Energieverbrauch und so weiter , werden in einer fälschungssicheren Blockchain hinterlegt und können im Regal mittels Scannen eines QR-Codes auf der jeweiligen Verpackung vom Verbraucher abgerufen werden. So eröffnen sich dem Kunden auf einen Blick alle Informationen zum Produkt. Uneingeschränkte Transparenz verringert zudem die Anfälligkeit gegenüber Fälschungen oder Betrügereien.
Marken, Einzelhändler und verarbeitende Unternehmen haben die Möglichkeit, auf verifizierte Daten zurückzugreifen, um ihre Lieferkette besser zu verstehen und gleichzeitig jeden Aspekt der Produkte hinsichtlich wirtschaftlicher, qualitativer, sicherheitstechnischer, ökologischer und ethischer Kriterien zu verbessern. Einzelhändler und Marken sind in der Lage, Verbrauchern transparente Produkte mit von DNV GL überprüften, wichtigen Produkteigenschaften anzubieten.
UD: DNV GL hat Ende Februar 2019 an der internationalen Konferenz der „Global Food Safety Initiative“ (GFSI) teilgenommen. Welche Ziele verfolgt die GFSI?
Hase: Die GFSI bringt Schlüsselakteure der Lebensmittelindustrie zusammen, um gemeinsam die kontinuierliche Verbesserung der Managementsysteme für Lebensmittelsicherheit auf der ganzen Welt voranzutreiben. Mit der Vision von sicheren Lebensmitteln für Verbraucher überall auf der Welt gründeten die führenden Vertreter der Lebensmittelindustrie im Jahr 2000 die GFSI, um gemeinsam Lösungen für kollektive Anliegen zu finden, insbesondere um Risiken für die Lebensmittelsicherheit zu verringern, Doppelarbeit und Kosten zu vermeiden und gleichzeitig Vertrauen in der gesamten Lieferkette aufzubauen. Die GFSI-Experten setzen sich aus weltweit führenden Experten für Lebensmittelsicherheit aus Handel, Produktion und Gastronomie sowie aus internationalen Organisationen, Regierungen, Hochschulen und Dienstleistern der globalen Lebensmittelindustrie zusammen. Standards wie IFS Food oder BRC Food sind von der GFSI anerkannt.
UD:Welche neuen Erkenntnisse konnten Sie zum Thema Lebensmittelsicherheit auf der Konferenz gewinnen?
Hase: Das Motto der diesjährigen GFSI Konferenz in Nizza lautete "Neue Herausforderungen und die Zukunft der Lebensmittelsicherheit", bei der sich die Teilnehmer mit bestehenden und neuen Herausforderungen aus der gesamten Lebensmittelversorgungskette sowie mit Innovationen und Lösungen für die Lebensmittelsicherheit der Zukunft befassten.
Das beliebteste Thema waren innovative Lösungen, die anhand von Fallstudien aus der Praxis Anwendungen der Lebensmittelsicherheit für ein breites Spektrum von Technologien veranschaulichten: von der vollständigen Genom-Sequenzierung über Social Media und Big Data zur Minderung von Krisen und Vorfällen. Die Referenten betonten jedoch, dass bei diesen Beispielen eine ausgereifte Technologie unverzichtbar ist, und sie die eigentliche Lösung in der öffentlich-privaten Zusammenarbeit sehen. Dies soll einen Rechtsrahmen gewährleisten, der den Bedürfnissen des sich wandelnden Ernährungssystems nachkommt.
UD: Können Sie das ausführen?
Hase: Zusammenarbeit und der Dialog zwischen allen Interessengruppen waren themenübergreifend entscheidende Kriterien, um eine bessere Lebensmittelsicherheit zu gewährleisten. Lebensmittelsicherheit ist ein Ziel, das nicht vom Wettbewerb umkämpft sein sollte. Kunden, Lieferanten und sogar Wettbewerber können wertvoll in der Zusammenarbeit sein. Auch im Umgang mit Vorfällen und Krisen wurde die notwendige Zusammenarbeit von Industrie und Regierung betont, um Vorfälle im Bereich der Lebensmittelsicherheit effizienter zu verhindern und zu mildern. Unternehmen sollten ihre Daten den Akteuren des öffentlichen Sektors zur Lebensmittelsicherheit zur Verfügung stellen. Und nicht zuletzt sollte es einen Verantwortlichen im Unternehmen geben, der im Krisenfall die Verbraucher entsprechend informiert und mit ihnen in Dialog tritt.
Was das Thema Zertifizierung durch unparteiliche Dritte wie DNV GL betrifft, waren sich die Teilnehmer einig, dass es in einem sich rasant beschleunigenden Bereich für die Zukunft der Lebensmittelsicherheit noch wichtiger werden dürfte. Des Weiteren wurde die Verantwortung von Unternehmen betont, die Verbraucher mit den Fakten zu versorgen, die sie benötigen, um fundierte Entscheidungen beim Kauf und Verzehr von Lebensmitteln zu treffen. Auch dabei steht der Austausch mit Verbrauchern im Fokus, um Transparenz und Vertrauen zu gewährleisten.
UD: Auf der Konferenz wurde außerdem die neue Studie von DNV GL und GFSI „Lebensmittelsicherheit: Was kommt als nächstes, um die Zukunft zu sichern?“ vorgestellt. Können Sie bitte die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammenfassen?
Hase: Die Studie wurde im November und Dezember 2018 mit über 1.600 Experten aus Lebensmittel- und Getränkeunternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette durchgeführt. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich diese Akteure der allgemeinen Bedeutung der Lebensmittelsicherheit sehr bewusst sind. Diese zu gewährleisten, ist die Kernaufgabe ihrer Geschäftstätigkeit. Der wichtigste Aspekt ist dabei die Gesundheit der Verbraucher, gefolgt von der Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften und den Bedürfnissen und Anforderungen der Kunden.
Des Weiteren ergab die Studie, dass eine klare Mehrheit der Unternehmen (79 Prozent) Zertifizierung für eine Notwendigkeit und ein "Ticket to Trade" in der Wirtschaft hält. Für mehr als die Hälfte (53 Prozent) ist die Zertifizierung außerdem ein Mittel zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit in der gesamten Branche. Der größte Nutzen einer Zertifizierung liegt für 86 Prozent der Befragten bei der besseren Einhaltung von Gesetzen und Vorschriften.
UD:Was besagt die Studie zum Thema „Digitalisierung?“
Hase: Mit Blick auf die Zukunft bieten die Lebensmittelsicherheitskultur und die Digitalisierung immer mehr Möglichkeiten. Lebensmittelsicherheitskultur wird ein zunehmend wichtiges Thema und stellt die menschliche Komponente in den Vordergrund. Von der neuen Welle der digitalen Technologien sind Sensoren und Beacons (44 Prozent heute, 56 Prozent in drei Jahren) die am weitesten verbreiteten Lösungen, gefolgt von Blockchain (15 Prozent heute, 40 Prozent in drei Jahren). Mangelnde Klarheit wirkt sich allerdings auf die Investitionsentscheidungen aus. Mehr als ein Viertel der Unternehmen wisse demzufolge noch nicht, wie viel sie in den nächsten 12 bis 18 Monaten in digitale Lösungen investieren werden. 14 Prozent planen sogar, in diesem Bereich überhaupt nichts auszugeben. Digitale Technologien wie die Blockchain werden mit Sicherheit viele Branchen verändern, insbesondere den Handelssektor. Die Umfrage zeigt aber auch, dass bei vielen Lebensmittel- und Getränkeunternehmen diese Technologie-Schlagwörter noch nicht durch echte Anwendungen abgelöst wurden.
UD: Vielen Dank für das Gespräch!
Die gesamten Studienergebnisse stehen kostenlos auf der Internetseite von DNV GL zur Verfügung.