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Neuerscheinung: Wir schaffen das - aber so nicht

Wir schaffen das. Kaum ein Satz der Kanzlerin hat so viele Emotionen hervorgerufen wie ihre Einschätzung der Flüchtlingskrise. Der Münchner Journalist Gerd Pfitzenmaier nennt das eine Katastrophe mit Ansage: Wer die Welt aufmerksam beobachtete, wusste schon lange, was auf Europa und auf Deutschland zukommt. Die Vision von der Zukunft unseres Landes entwickeln wir am besten gemeinsam, sagt er und erläutert dies im Interview mit UmweltDialog.

11.05.2016

Hallo Herr Pfitzenmaier, Ihr neues Buch heißt „Wir schaffen das - aber so nicht“. Das klingt nach einer harschen Abfuhr der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. Was ist Ihre Kritik?

Gerd Pfitzenmaier: Ich kritisiere nicht die Willkommenskultur. Im Gegenteil: Sie ist ein Zeichen der Menschlichkeit und damit ein Hoffnungsschimmer. Mir fehlt jedoch eine Vision: eine Perspektive, wie sich die Gesellschaft entwickeln kann und soll. Wir hätten darüber nachdenken und die Vorschläge dazu breit und offen debattieren können und sollen. Die Zeichen, dass die Weltlage sich ändert, waren längst erkennbar. Wir - und ich meine damit nicht nur die Offiziellen - wähnten uns auf unserer Wohlstandsinsel aber "auf der sicheren Seite". Dieses Versäumnis war ein Fehler.

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Deutschland wird für seine Willkommenskultur im außereuropäischen Raum sehr gelobt. Ist das nicht gut, wenn wir ein anderes Image abgeben?

Pfitzenmaier: Sie ist in der Tat ein richtiges Signal, weil zum ersten Mal seit langem wieder einmal die Menschen mehr Gewicht bekommen als der Mammon. Genau darum sollte es uns gehen. Nicht um die Image-Politur. Die lenkt den Blick wieder aufs rein Ökonomische, auf die Absatzchancen für unsere Produkte, auf zusätzlichen Konsum und die Steigerung des Bruttosozialprodukts. Die können wichtig sein. Sie sind - das zeigt der Alternativansatz des Gross National Happiness aus Bhutan - aber nicht das Wichtigste.

Wir schaffen das - aber so nicht

Wir erleben derzeit eine unglaubliche Verrohung der Kommunikation, vor allem bei Kommentaren im Internet und Posts in sozialen Netzwerken. Was können wir tun?

Pfitzenmaier: Richtig, die Hassposts und manche Rede bei öffentlichen Veranstaltungen erinnern fatal an schon einmal praktizierte Propaganda. Ich bin kein Spezilist, der die Lösung dagegen kennt. Mit Argumenten ist dem oft nur schwer beizukommen, und ob es hilft, diese Szene tot zu schweigen, weiß ich leider nicht. Wir müssen uns aber auf alle Fälle damit auseinandersetzen und darüber aufklären. Vielleicht indem wir Menschen die Augen für die historischen Parallelen öffnen. Mir scheint ohnehin ein Blick in die Geschichte hilfreich, um viele Tendenzen unserer Gegenwart besser verstehen zu können und aus ihnen zu lernen.

Sie schreiben, dass die Politik den Menschen wieder in den Mittelpunkt rücken müsse. Machen wir das nicht mit der Willkommenskultur?

Pfitzenmaier: Ich glaube, dass wir in der Euphorie über den Wegfall der Ost-West-Konkurrenz vor nunmehr 25 Jahren unseren Blick zu sehr durch die "Dollar-Zeichen in unseren Augen" trübten. Der Siegestaumel der Kapitalismus-Verfechter in Zeiten der Globalisierung ließ zwar die Renditen und Profite steigen. Er hat jedoch die Menschen - und die Menschlichkeit - verdrängt. Deshalb spreizt die Schere zwischen Reichen, die immer mehr haben und Armen, die immer weniger bekommen, auseinander, deshalb können Frust und Perspektivlosigkeit bei jenen keimen, die sich abgehängt fühlen - oder es tatsächlich sind. Die Willkommenskultur ist daher bestimmt ein richtiges Korrektiv: Ihr muss aber nun dringend und zwingend eine Politik folgen, die nicht schon wieder auf Ausgrenzung und Abschiebung, Bestrafung und Leistungskontrolle setzt, sondern lebt, was die Willkommenskultur verspricht - eine echte Aufnahme und Teilhabe an der Gesellschaft, ein Mit- statt Gegeneinander. Und ehrlich gesagt: Solange wir weiter mit Staaten kooperieren, die Menschenrechte mit Füßen treten, bleibt die Willkommenskultur ein Lippenbekenntnis.

Was können Unternehmen zu besserer Integration beitragen?

Pfitzenmaier: Sie können leben, was das Wort verspricht. Sie können den Migranten eine Zukunft bieten und in ihnen nicht bloß wieder den Produktionsfaktor sehen. Mir gingen die ersten Kommentare, die davon schwärmten, dass mit der Zuwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen unser Generationenproblem und der Fachkräftemangel bekämpft werden könne, gleich wieder in die falsche Richtung. Die sahen nicht die Menschen, sondern nur die eigene Betriebsbilanz. Gefragt sind jetzt die Menschen unter den Unternehmern, die ihr Vermögen - monetär wie ideell - dafür einsetzen, tatsächlich die Bedingungen zum Guten zu wenden.

Was wären drei Sofortmaßnahmen, die Sie umsetzen würden?

Pfitzenmaier: 1. Ich glaube, ich würde als allererstes zum Brainstorming einladen, an dem sich möglichst alle beteiligen könnten und/oder sollten. Es muss Ideen für die neue Gesellschaft sammeln und bewerten. Dabei wäre Transparenz und ein offener Prozess wichtig. Nur so finden wir Lösungsvorschläge, die auf eine möglichst breite Akzeptanz stoßen. Es darf nur kein Alibi-Event werden, bei dem Publizität im Vordergrund steht. Das schürt nur Enttäuschung. Wer das wie und wo organisiert, weiß ich spontan nicht. Ich fände einen solchen Prozess aber nicht nur spannend, er wäre vor allem hilfreich.

2. Ich würde versuchen, die Abhängigkeiten von jenen, die von Instabilitäten profitieren, zu verringern - am besten zu kappen. Ich weiß, das klingt naiv. Aber so lange wir darauf gieren, möglichst viele Waffen zu verkaufen oder Diktatoren brauchen, weil sie unsere Probleme gegen Zugeständnisse "lösen" helfen, bleiben alle Erfolge bloß Scheinlösungen. Sie mindern das Leid der Menschen keinesfalls wirklich.

3. Ich würde eine Debatte anzetteln, ob unsere Fixierung aufs Ökonomische wirklich so wichtig ist, wie dies viele immer noch propagieren. Ich bin kein Maschinenstürmer, aber ich sehe, dass dies in die Sackgasse führt, an deren "dead-end" die dort "Gefangenen" zu Gewalt neigen - das ist keine Perspektive, die wir uns wünschen. Es gibt - inzwischen ja auch von der UNO zum offiziellen Entwicklungsziel erklärte - Alternativen, wie etwa GNH, die Gemeinwohlökonomie und Ansätze der Commons. Darauf sollten wir setzen. Vielleicht haben kluge Köpfe ja auch noch weitere Ideen, die es zu finden und zu stärken gilt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Gerd Pfitzenmaier, Lukas Diringshoff:
Wir schaffen das - aber so nicht
Wie Deutschland und seine Gesellschaft durch die Flüchtlingskrise gespalten wird
München 2016: CBX Verlag, 288 S.
ISBN-13: 978-3954714797
€ 16,95,-
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Quelle: UmweltDialog
 

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