„Interkulturelles Verständnis bereichert die Gemeinschaften“
Nicht der Konflikt, sondern die Solidarität zwischen den Kulturen macht uns stark. Deshalb wurden im Mai 2023 zehn vorbildliche Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Welt im Rahmen des hoch angesehenen Intercultural Innovation Hub ausgezeichnet. Der Intercultural Innovation Hub ist eine Partnerschaft zwischen der United Nations Alliance of Civilizations (UNAOC) und der BMW Group, die Basisinitiativen zur Förderung des interkulturellen Dialogs und der Vielfalt anerkennt und unterstützt. Die zehn Organisationen des Intercultural Innovation Hub 2023 haben sich im Oktober desselben Jahres zum ersten von zwei individuell gestalteten Capacity Building Workshops in München zusammengefunden. UmweltDialog sprach aus diesem Anlass mit Ilka Horstmeier, Mitglied des Vorstands der BMW AG, und Miguel Ángel Moratinos, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen und Hoher Repräsentant der UN Alliance of Civilizations (UNAOC).
20.10.2023
Herr Moratinos, Sie haben den Festakt des Intercultural Innovation Hub als Ihren glücklichsten Tag des Jahres bezeichnet. Was hat Sie so glücklich gemacht?
S.E. Miguel Ángel Moratinos: In der Tat, denn in der turbulenten und gespaltenen Welt von heute kann man leicht in Zynismus verfallen, wenn es darum geht, sich die Vielfalt zu eigen zu machen und als eine Menschheit zusammenzustehen. Aber am Tag der Preisverleihung des Intercultural Innovation Hub sahen wir diese ehrgeizigen Menschen an der Basis und waren von ihrer Leidenschaft inspiriert. Deshalb würdigen wir die erstaunlichen Leistungen von Menschen, die die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht aufgegeben haben. Jedes Jahr, wenn ich von den positiven Veränderungen erfahre, die unsere ausgezeichneten Organisationen erreicht haben, spornt mich das an, die Mission der UNAOC mit einem neuen Gefühl von Optimismus und Entschlossenheit weiter zu verfolgen. Das macht die IIH-Zeremonie zu einem ganz besonderen Tag.
Frau Horstmeier, in Ihrem Statement bei der Feierstunde haben Sie erwähnt, dass kulturelle Vielfalt der Motor für Entwicklung ist. Warum ist das so?
Ilka Horstmeier: Wir leben in einer globalen Gesellschaft – und wollen sie in ihrer ganzen Vielfalt widerspiegeln. Das müssen wir auch. Nur so können wir innovativ und kreativ sein. Vier Teilnehmer, aber nur eine Meinung? Das schafft keine Reibung, keinen Antrieb. Ich bin stolz auf unsere Haltung, Menschen zu integrieren. Inklusion ist sogar noch wichtiger als Vielfalt. Vielfalt bedeutet, andere zur Party einzuladen. Inklusion bedeutet, gemeinsam zu tanzen – im Sinne einer engen Zusammenarbeit über kulturelle Grenzen hinweg. Beim Intercultural Innovation Hub habe ich so viele inspirierende Initiativen gesehen – von Menschen, die sich engagieren und nicht nur sagen: „Das sollten wir tun“ oder „Jemand sollte es tun“.
Komplexe Welten
Herr Moratinos, wir leben in einer komplexen Welt, die durch mindestens zwei Merkmale gekennzeichnet ist. Erstens gibt es keine einfachen Lösungen, und zweitens müssen wir neue Antworten finden, weil die alten Antworten zu eben diesen Problemen geführt haben. Wie kann der Intercultural Innovation Hub dabei helfen?
S.E. Miguel Ángel Moratinos: Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Unsere Welt hat heute mit komplexen Herausforderungen in einer sich schnell verändernden globalen Landschaft zu kämpfen. Um sie zu bewältigen, müssen wir zunächst erkennen, dass viele dieser Herausforderungen miteinander verknüpft sind, und dass wir einen ganzheitlichen Ansatz brauchen, um sie angemessen anzugehen. Ein Ansatz, der alle Teile der Gesellschaft einbezieht. Dies bringt mich zu der wichtigen Rolle, die die Organisationen der Zivilgesellschaft spielen. Wie der Name schon sagt, ist es der Zweck des Intercultural Innovation Hub, die Wirkung von Organisationen, die neue Wege zur Überwindung aller Formen von Vorurteilen, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit durch die Förderung von Frieden und Vielfalt entwickeln, anzuerkennen und zu verstärken.
Frau Ilka Horstmeier, Ende 2021 haben wir bereits ein Interview geführt, in dem Sie von Ihrer Hoffnung sprachen, dass nach Corona der persönliche interkulturelle Austausch wieder in den Vordergrund treten würde. Der Virus scheint überwunden zu sein, aber die weltpolitischen Ereignisse sorgen für Einschränkungen. Wirkt sich das auch auf die interkulturelle Kompetenz und die Arbeit des Intercultural Innovation Hub aus?
Ilka Horstmeier: Unsere Arbeit und unsere Perspektive sind global, so dass ein Krieg wie der in der Ukraine und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen immer auch Auswirkungen auf uns haben. Das Paradoxe ist: Auf der einen Seite ist die Welt stärker und schneller vernetzt als je zuvor. Auf der anderen Seite gibt es Entwicklungen und Kräfte, die die Gesellschaft immer weiter auseinandertreiben. Als Unternehmen, das multinationale Mitarbeiter auf fünf Kontinenten beschäftigt, ist die BMW Group ein Teil der Gesellschaft und trägt damit eine besondere Verantwortung, zu einer Lösung beizutragen. Interkulturelles Verständnis bereichert die Gemeinschaften, in denen wir tätig sind. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht nur zu stärken, sondern ihn nachhaltig zu verbessern. Mit Initiativen wie dem Intercultural Innovation Hub wollen wir die bemerkenswerte interkulturelle Arbeit, die von den ausgewählten Organisationen weltweit geleistet wird, hervorheben und langfristig unterstützen. Wir bei der BMW Group wollen ein Innovationsführer und Teil der Lösung sein.
Herr Moratinos, Sie sprachen bei der Feierstunde in Berlin davon, dass wir auch unsere Sprache ändern müssen. Unsere Wortwahl ist oft zu negativ, wie Sie argumentiert haben. Zum Beispiel Begriffe wie Toleranz oder Koexistenz. Das müssen Sie mir erklären, denn ich habe diese Begriffe immer als emphatisch empfunden.
S.E. Miguel Ángel Moratinos: Worte wie „Toleranz“ und „Koexistenz“ sind sicherlich besser als „Intoleranz“ und „Konflikt“. Aber das ultimative Ziel der Menschheit kann nicht einfach darin bestehen, Vielfalt zu tolerieren oder mit „dem Anderen“ zu koexistieren. Vielmehr sollte das Endziel darin bestehen, gegenseitigen Respekt und Verständnis für diejenigen mit einer anderen Kultur, Identität, einem anderen Glauben oder anderen Ansichten, zu haben. Wenn ich sage, dass diese Begriffe negativ sind, meine ich damit, dass sie die Vision der UNAOC von der Welt nicht ausreichend erfassen: eine Welt, in der kulturelle und religiöse Vielfalt als Reichtum gefeiert und nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Es gibt keine Alternative dazu, in Einheit und Solidarität in inklusiven Gesellschaften, die auf den Menschenrechten beruhen, zusammenzustehen.
Interkulturalität und internationale Konflikte
Frau Horstmeier, am Abend des Festakts haben Sie einen bemerkenswerten Satz gesagt: In Zukunft wird unternehmerische Exzellenz nicht mehr nur daran gemessen werden, der Beste in der Welt zu sein, sondern der Beste für die Welt. Was meinen Sie damit?
Ilka Horstmeier: Führung ist keine Position, sondern eine Geisteshaltung. Früher mussten Führungskräfte die Besten sein; heute geht es darum, das Beste für andere zu wollen: für unsere Kunden, für die Mitarbeiter und auch für die Gesellschaft. Heute und erst recht in Zukunft werden Unternehmen nicht nur am wirtschaftlichen Erfolg gemessen, sondern daran, wie sie wirtschaftlichen Erfolg mit nachhaltigem Handeln und sozialer Verantwortung verbinden. Es geht um Einfühlungsvermögen, Vertrauen und Zusammenarbeit, und diese Werte beschränken sich definitiv nicht auf die Grenzen unserer Fabriken oder Arbeitsbereiche. Das ist es, was wir unter verantwortungsvoller Führung verstehen. Das ist es, wofür wir ein Vorbild sein wollen.
Dabei spielt sicherlich auch eine Rolle, dass sich das Vertrauen der Bevölkerung verändert. Das aktuelle Edelmann-Vertrauensbarometer misst eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft. Die Wirtschaft hat einen Führungsauftrag, sagen die Befragten: Unternehmen müssen ihr soziales Engagement verstärken und der gesellschaftlichen Spaltung entgegenwirken. Können Sie das im Tagesgeschäft überhaupt leisten, oder brauchen Sie Veranstaltungen wie den Intercultural Innovation Hub?
Ilka Horstmeier: Ganz sicher nicht. Diese Einstellung muss Teil unseres täglichen Lebens, unserer Unternehmenskultur sein. Dennoch sind wir der Meinung, dass Initiativen wie der Intercultural Innovation Hub eine großartige Möglichkeit sind, soziales Engagement zu zeigen und anzuerkennen. Das Gleiche gilt für unser Engagement in den Bereichen verantwortungsvolle Führung, Bildung, Kultur und Sport. Angesichts des mangelnden Vertrauens in die Unternehmensführung spielen Unternehmen eine wichtige Rolle, indem sie einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen. Das sind die Beiträge, die wir leisten können, denn wir brauchen mehr Zusammenarbeit, mehr Einbeziehung, um die Welt zu verbessern.
Herr Moratinos, Deutschland will die Vereinten Nationen als Ordnungssystem erhalten und sie grundsätzlich gegen Kritik verteidigen. Wir fördern die Vereinten Nationen und erwarten gleichzeitig, dass sie politische Konflikte in der Welt lösen. Aber sie haben unter Umständen weder das Personal noch die Macht, dies zu tun. Entziehen sich die Nationalstaaten ihrer eigenen Verantwortung, indem sie sie delegieren?
S.E. Miguel Ángel Moratinos: Es stimmt, dass der Multilateralismus, den wir zur Lösung globaler Herausforderungen und politischer Konflikte anstreben, durch eine zunehmend zersplitterte Welt in Frage gestellt wird. Aber die Antwort ist nicht, dass die Mitgliedstaaten im Alleingang handeln. Vielmehr müssen wir gerade jetzt alle Anstrengungen bündeln, um den politischen Willen für einen funktionierenden Multilateralismus wieder zu stärken. Die Vereinten Nationen sind das Herzstück des Multilateralismus und müssen es auch bleiben. Viele der großen Herausforderungen unserer Zeit können nur durch ein gemeinsames globales Vorgehen gelöst werden.
Vielen Dank an Sie beide für dieses Interview!