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Demokratie und Nachhaltigkeit beeinflussen sich gegenseitig

Was hat Demokratie mit Nachhaltigkeit zu tun? Welche Kompetenzen brauchen zukünftige Manager, um gesellschaftlich verantwortlich zu handeln? Über diese und andere Fragen sprach Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie, mit dem Inhaber des Henkel-Stiftungslehrstuhls für Sustainability Management an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Prof. Dr. Rüdiger Hahn (42).

27.10.2020

Demokratie und Nachhaltigkeit beeinflussen sich gegenseitig

Von Sven Lilienström, Gründer der Initiative Gesichter der Demokratie

Herr Prof. Dr. Hahn, Sie lehren Sustainability Management - also nachhaltige Unternehmensführung. Was bedeuten Demokratie und demokratische Werte für Sie ganz persönlich und was macht eigentlich eine Demokratie nachhaltig?

Prof. Dr. Rüdiger Hahn: Demokratie bedeutet für mich Freiheit. Eine Demokratie ist für mich dann nachhaltig, wenn sie diese Freiheit für jeden Einzelnen sicherstellt. Damit meine ich auch für alle diejenigen, die aktuell noch keine offizielle Stimme haben, weil sie entweder zu jung sind oder noch nicht geboren wurden. „Freiheit“ ist für mich in diesem Zusammenhang jedoch ein großer Begriff, der über Themen wie „Meinungsäußerung“ oder „Wahlrecht“ hinausgeht und auch ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben umfasst - und über diese Aspekte kommen dann sehr komplexe Themen wie Umweltschutz oder soziale Gerechtigkeit ins Spiel.

Prof. Dr. Rüdiger Hahn, Inhaber des Henkel-Stiftungslehrstuhls für Sustainability Management an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Prof. Dr. Rüdiger Hahn, Inhaber des Henkel-Stiftungslehrstuhls für Sustainability Management an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek machte bereits 2018 darauf aufmerksam, dass die Spannungen im Verhältnis zwischen Demokratie und Nachhaltigkeit „immer sichtbarer werden“. Teilen Sie diese Ansicht? Wenn ja, was können wir tun?

Hahn: Demokratie und Nachhaltigkeit beeinflussen sich gegenseitig. Wenn wir nicht nachhaltig handeln, werden früher oder später Menschen zurückgelassen - schlechter gestellt. Und zwar durch soziale Ungerechtigkeiten und Chancenungleichheiten oder durch eklatante Umweltschädigungen. Für Demokratien ist so etwas gefährlich, da solche nicht nachhaltigen Tendenzen Unzufriedenheit und Unfrieden schüren und extremistischen Akteuren den Weg ebnen. Das führt dann womöglich zu einem Teufelskreis: Demokratien, in denen zu Extremismus neigende Akteure an der Macht sind, legen meist wenig Fokus auf Nachhaltigkeit. Ich halte eine nachhaltige Entwicklung daher für einen wichtigen Garanten für Demokratie.

Bestimmte Aspekte demokratischer Gesellschaften erschweren jedoch auch oftmals nachhaltiges Handeln; kurze Wahlzyklen zum Beispiel oder Klientelpolitik. Ich denke jedoch auch, dass es keine realistischen Alternativen zur Demokratie gibt, wenn man echte Nachhaltigkeit erreichen will. Manch einer mag an eine öko-soziale Diktatur denken, welche sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Selbst wenn so etwas denkbar wäre, würden solche Systeme wohl zum einen nicht lange Bestand haben und zum anderen kann man dann darüber diskutieren, ob die dafür nötigen Freiheitseinschränkungen an sich nachhaltig sind oder nicht.

Künftige Managerinnen und Manager müssen erkennen, dass Management mehr ist als Profitstreben.

Stichwort CSR: Sie sind Inhaber des Henkel-Stiftungslehrstuhls für Sustainability Management. Welche Kompetenzen brauchen zukünftige Manager, um gesellschaftlich verantwortlich zu handeln? Welche Rolle spielen die Stakeholder?

Hahn: Künftige Managerinnen und Manager müssen erkennen, dass Management mehr ist als Profitstreben. Aber das braucht man vielen Studierenden eigentlich gar nicht mehr beibringen, wichtiger ist es, dass diese Erkenntnis dann auch im Berufsleben Bestand hat. Generell muss es in der Managementausbildung meiner Ansicht nach darum gehen, nicht nur das reine Handwerkszeug zu lehren, sondern die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft zu thematisieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Unternehmen und Unternehmertum kein Selbstzweck sind, sondern der Gesellschaft dienen.

Das „Drei-Säulen-Modell“ unterscheidet drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Wirtschaft und Soziales. Warum werden die sozialen Aspekte so wenig wahrgenommen? Muss der Nachhaltigkeitsbegriff besser erklärt werden?

Hahn: Ich finde eigentlich gar nicht, dass soziale Aspekte wenig wahrgenommen werden. Themen wie Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und so weiter sind durchaus auf der Agenda und werden intensiv diskutiert. Aber Klimawandel oder auch Biodiversitätsverlust sind eben Begriffe, die viele Menschen für sich, ihre Kinder und die Gesellschaft als Bedrohung wahrnehmen. Und somit rücken sie immer wieder in den Mittelpunkt.

Hinzu kommt, dass soziale Aspekte oft etwas losgelöst vom Thema „Nachhaltigkeit“ diskutiert und hiermit weniger in Verbindung gebracht werden. Das liegt sicherlich auch in der Historie des Nachhaltigkeitsbegriffs, der früher eher in der Umweltdebatte genutzt wurde. Insofern würde ich in jedem Fall zustimmen: Der Nachhaltigkeitsbegriff ist erklärungsbedürftig und eine breite Nachhaltigkeitsbildung ist absolut wünschenswert. Ich selbst nutze auch viel eher zwei als drei Säulen, um Nachhaltigkeit zu erklären: Zum einen das Streben nach intragenerativer Gerechtigkeit innerhalb der aktuell lebenden Generation - und zwar weltweit betrachtet - und zum anderen das Streben nach intergenerativer Gerechtigkeit vor allem mit Blick auf die künftigen Generationen. Beides sind zentrale Bausteine nachhaltiger Entwicklung.

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Deutschland soll noch in dieser Legislaturperiode ein „Lieferkettengesetz“ bekommen. Was halten Sie davon? Ist eine Kontrolle entlang des Produktlebenszyklus - insbesondere bei globalen Wertschöpfungsketten - nicht reine Illusion?

Hahn: Nein, ich halte das ganz und gar nicht für eine Illusion. Keine Frage, Kontrolle oder auch nur Transparenz sind in globalen und zumeist extrem komplexen Wertschöpfungsketten große Herausforderungen. Möglich ist das aber durchaus. Allerdings bedarf es einiger Anstrengungen, den Willen etwas zum Teil vielleicht sogar sehr grundlegend zu ändern und auch die Erkenntnis, dass dies nicht ohne gewisse Kosten zu erreichen ist. Dabei sollte man aber bedenken, dass auch das aktuelle Vorgehen und die aktuellen Wirtschaftsweisen Kosten verursachen. Diese sind jedoch aktuell häufig sogenannte externe Kosten, also Kosten, die nicht von den Unternehmen oder von den Verbraucherinnen und Verbrauchern getragen werden, sondern von den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft - zum Beispiel am Anfang der Wertschöpfungskette im produzierenden Gewerbe im globalen Süden. Nachhaltiges Wirtschaften in Lieferketten muss versuchen, solche externen Kosten zu vermeiden. Echte Verantwortungsübernahme in Wertschöpfungsketten ist dabei ein wichtiges Thema. Hier muss ein Bewusstseinswandel stattfinden und neue Technologien wie Blockchain verbessern aktuell auch deutlich die Möglichkeiten der Nachverfolgbarkeit in komplexen Wertschöpfungsketten - ich rechne hier mit einer hoffentlich dynamischen Entwicklung.

Nicht selten bewerten Nachhaltigkeitssiegel nur die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards. Die Kriterien: teils intransparent. Woran erkennen Verbraucher, ob Unternehmen wirklich nachhaltig sind oder nur „Greenwashing“ betreiben?

Hahn: Nachhaltigkeit ist ein extrem komplexes Thema und eine Bewertung, die alle Facetten gleichberechtigt und womöglich noch in einer einzigen Kennzahl erfasst, halte ich für unmöglich. Genau deshalb gibt es entsprechende Siegel und Standards - als Orientierung für die Konsumierenden, die eine fundierte Einschätzung zur Nachhaltigkeit von Produkten oder Unternehmen meist nicht selbst vornehmen können. Viele Siegel und Standards machen für bestimmte Aspekte der Nachhaltigkeit einen guten Job und generell können Siegel Kaufentscheidungen in der Tat beeinflussen. Da Konsumierende aber oftmals nicht wissen, wie gut oder schlecht ein Siegel tatsächlich ist, wollen manche Unternehmen und Siegel eine entsprechende Signalwirkung durchaus auch bei geringeren Standards und damit auch zu potenziell geringeren Kosten erreichen. Solche qualitativ reduzierten Standards verunsichern dann allerdings wiederum die Konsumierenden, die oft nicht mehr wissen, wem sie trauen können. Leider unterwandert dies gerade die gute Arbeit von ehrlich nachhaltig agierenden Akteuren.

Ich sehe hier zwei Möglichkeiten: Zum einen gegebenenfalls höhere gesetzliche Standards für die Themen, die uns als Gesellschaft besonders wichtig erscheinen. Zum anderen Bildung und Information auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger, damit diese die Komplexität besser bewältigen können und Greenwashing besser erkennen. Ganz konkret halte ich Initiativen wie „Siegelklarheit“ für sehr hilfreich, um sich im Siegeldschungel besser zu orientieren.

Herr Prof. Dr. Hahn, gerne möchten wir noch etwas Persönliches über Sie erfahren: Was machen Sie, wenn Sie sich nicht gerade mit Nachhaltigkeit beschäftigen oder Fragen für die „Gesichter der Demokratie“ beantworten?

Hahn: Da kann ich mich ganz kurz halten und jeder wird wissen, was ich meine: Ich habe zwei Kinder, es wird also nie langweilig!

Vielen Dank für das Interview Herr Prof. Dr. Hahn!

Quelle: UD/pm
 

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