Aus Energiesparen wird Energieeffizienz wird Lebensqualität
Dass Energie gespart werden müsse, das ist ein Mantra, das wir Zeitgenossen der Nachhaltigkeit im Schlaf aufsagen können. Zumal im pädagogischen Bereich wird es täglich tiefer in den Gehirnen verankert, Energie nicht verschwenden, Wasser sparen und den Müll trennen, das bringen wir jedem nachwachsenden Schülerjahrgang schon in der Grundschule bei. Wir leben ja insgesamt über das Maß dessen, was uns global gesehen zusteht, so dass das Bild vom übergroßen Fußabdruck inzwischen auch den Zehnjährigen geläufig zu werden verspricht.
09.06.2017
Das Paradigma vom Sparen löst sich allerdings zunehmend auf, je mehr sich zum Beispiel auch Schüler mit der Realität der Energieverwendung in ihrem schulischen Umfeld beschäftigen. Wir betreuen eine Vielzahl von Projekten, die in Schulen mit dem Auftrag gestartet sind, mehr Energie im Gebäude einzusparen. Manche dieser Projekte werben um Mitarbeit sogar mit der Aussicht, die Hälfte der eingesparten Energiekosten in Euro an die jeweilige Schule auszuschütten. Doch siehe da, immer mehr dieser Projekte stoßen darauf, dass das Schielen nach den „Energielecks“ und Einsparpotenzialen den Blick verengt und nur eine begrenzte Vernunft für sich hat. Drei Beispiele:
- Licht: Braucht man zum Lernen in der Schule. Es gibt dafür auch Arbeitsplatznormen, die anzuwenden sind. Gehen nun engagierte Schüler durch die Klassenräume und messen die Beleuchtungsstärken an den Schülerarbeitsplätzen, stellt sich regelmäßig heraus, dass ein Drittel bis die Hälfte der Arbeitsplätze teilweise weit unter der Norm von 500 Lux liegt. Also lautet die Forderung der jungen Energiebeauftragten: Gebt uns mehr Licht! An der Beleuchtungsstärke zu sparen, um das Klima zu schützen, wäre ja auch so widersinnig, dass das niemand fordert. Mehr Licht ohne mehr Strom zu verbrauchen, ist nicht einfach. Ob das mit LED statt Leuchtstoffröhren gelingt, wird ansatzweise in den Energiesparprojekten jetzt diskutiert. Meist sind es die hohen Investitionen, die einer praktischen Überprüfung erst einmal Grenzen setzen.
- Luft: Auch das ist im Winter ein sehr oft knappes Gut in unseren Schulen, wenn die CO2-Werte im Klassenzimmer munter in Richtung 3000 ppm gehen. Ab 1000 ppm sollte aktiv gelüftet werden, heißt es in diversen Empfehlungen und Richtlinien. Da wir die Gebäude immer besser abdichten und die Fenster in den Schulen aus Sicherheitsgründen immer häufiger verschlossen bleiben, leidet die Konzentrations- und Lernfähigkeit der Schüler und wird zum Opfer der Energiespar- und Klimaschutzidee. Solange wir die Klassen nicht alle mit CO2-Messanzeigen ausstatten, effektive Lüftungspausen in den Unterrichtstag integrieren und durch intelligente Steuerungen dafür sorgen, dass die Heizungsthermostate während des Lüftens schließen, müssen wir uns entscheiden: Lernqualität oder Energiesparen.
- Wärme: In vielen Schulen bekommen wir das Thema „Wärme“ nicht wirklich in den Griff. So dass es effektiv ist – also ausreichend warm – und gleichzeitig effizient, also so wenig Energie wie nötig eingesetzt wird. Denn an den meisten Schulen wurde kein sauberer hydraulischer Abgleich der Heizung vorgenommen. Die Folge sind ungünstige Druckverhältnisse im Heizsystem, was in Teilen der Schule überhitzte und in anderen Teilen zu kalte Räume zur Folge hat. Kein Wunder, dass so mancher Schulhausmeister durch manuelle Eingriffe in die Systeme trickst und lieber so viel heizt als möglich, damit sich niemand beschwert. Denn die Temperaturregelung durch das dauerhafte gekippte Fenster stört uns sehr viel weniger als wenn es im Raum zu kühl ist. Auch ein Bürgermeister erzählte uns jüngst von seinem Hausmeister im Rathaus, der das Problem dadurch löst, dass er ein Zehn-Cent-Stück in den Thermostatkopf einbaut, damit der Ventilstift nicht mehr schließt.
Schülerinnen und Schüler, die wir mit dem Auftrag durch die Schulgebäude schicken, Energie zu sparen, lernen schnell, dass es nicht einfach ums Sparen gehen kann. Und wenn sie dann beginnen, sich mit der Effizienz des Energieverbrauchs auseinanderzusetzen, relativiert sich alles noch einmal. Denn ohne die Frage, welche Lebensqualität wir an unseren Schulen haben wollen, lässt sich keine Effizienzdebatte führen. Und wenn wir weiterhin an der sauberen technischen Anpassung der vorhandenen Systeme an die Gebäudeverhältnisse und die Nutzerbedürfnisse sparen, dürften die Schüler den Glauben an die Rationalität unserer Nachhaltigkeitsappelle allmählich verlieren.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im stratum-Blog.