Duin: CSR definiert Verhältnis von Staat und Wirtschaft
Unternehmen haben heutzutage eine größere Verantwortung. "Das bedeutet nicht nur Pflichten, sondern auch Chancen", sagt im Interview Garrelt Duin, Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk des Landes NRW. Bei der Vergabepolitik der öffentlichen Hand in NRW soll CSR ein Wettbewerbsvorteil werden, verspricht der SPD-Politiker.
01.04.2014
Herr Minister, wenn wir über unternehmerische Verantwortung reden, dann wird oft zur Erklärung das Bild des „Ehrbaren Kaufmanns“ herangezogen. Es suggeriert, dass es sich hier hauptsächlich um Fragen der persönlichen Ethik dreht und nicht um ganz konkrete Managementthemen, die alle Facetten des Kerngeschäfts betreffen. Was macht für Sie unternehmerische Verantwortung und Corporate Social Responsibility (CSR) aus?
Garrelt Duin: Für mich ist das Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns nach wie vor der zentrale Orientierungsrahmen für Unternehmen. Hier fallen persönliche Werte – wie Anstand, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Fairness – und Werte, die für das Geschäftsleben wichtig sind, zusammen.
Anders als in früheren Zeiten ist die Verantwortung des Ehrbaren Kaufmanns aber heute deutlich größer. Er ist kein Eigenwirtschaftler mehr, der nur für sein eigenes Handeln verantwortlich ist. Heute muss er auch Verantwortung für seine Mitarbeiter, seine Zulieferer und für alle Prozesse und Produkte seines Unternehmens übernehmen. Er muss dafür sorgen, dass gesellschaftliche Werte im gesamten Unternehmen ankommen und umgesetzt werden – trotz des härter gewordenen Wettbewerbs. Dabei bietet CSR nicht nur einen Bezugsrahmen, sondern auch konkrete Ansatzpunkte und Unterstützung, wie sich Verantwortung im Unternehmen strategisch verankern und kontrollieren lässt.
Sie setzen seit Beginn Ihrer Amtszeit immer wieder Akzente zu den Themen CSR und Nachhaltigkeit. Warum ist CSR für NRW ein wichtiges Thema?
Duin: Mit der freiwilligen Übernahme von Verantwortung können Unternehmen zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen und gleichzeitig ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit verbessern. CSR bringt gesellschaftlichen Mehrwert durch unternehmerische Mittel. Das Konzept ist gleichzeitig auch ein Hebel für ganzheitliche Innovation. Als Wirtschaftsminister des größten Bundeslandes, das über wichtige Leitmärkte wie den Maschinenbau, die Chemische Industrie oder die Biotechnologie verfügt, bin ich deshalb sehr daran interessiert, dass Unternehmen diese Chancen für die Gesellschaft wie auch für ihre eigene Positionierung im Wettbewerb nutzen.
Unterscheidet sich der Blickwinkel auf das Thema aufgrund der industriellen Historie zwischen Rhein und Ruhr von anderen Regionen in Deutschland?
Duin: Ich möchte hier für Nordrhein-Westfalen keine Sonderstellung beim Thema CSR reklamieren. Wir können aber bei diesem Thema in NRW an eine Kooperationskultur anknüpfen, die mit dem Begriff des Rheinischen Kapitalismus verbunden ist. Gemeint ist ein System korporatistischer, auf Konsens zielender Strukturen, die darauf gerichtet sind, die Wirtschaft voran zu bringen und zugleich breite Bevölkerungsschichten an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung teilhaben zu lassen. CSR weist deutliche Parallelen zu diesem Denkansatz auf.
Die Diskussion um CSR wird oft dominiert von großen multinationalen Konzernen, die hier längst mit eigenen CSR-Abteilungen und Nachhaltigkeitsberichten aktiv sind. Wo steht der nordrhein-westfälische Mittelstand?
Duin: Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit den meisten Familienunternehmen. Dazu gehören lokale Handwerksbetriebe ebenso wie international tätige Unternehmen, Dienstleister und High-Tech-Firmen. Gerade in den Familienunternehmen gibt es eine ausgeprägte und über Jahrzehnte gewachsene CSR-Kultur, auch wenn die Unternehmen ihr Engagement für Mitarbeiter, Kunden und Umwelt nicht so nennen. Es wäre aber sinnvoll, wenn sie CSR auch ganzheitlich als Managementinstrument nutzen und besser über ihre Aktivitäten kommunizieren würden.
Bei nicht wenigen kleinen und mittelständischen Unternehmen herrschen zum Teil massive Vorbehalte gegenüber CSR-Instrumenten und dem mutmaßlich damit verbundenen bürokratischen Aufwand. Was entgegnen Sie den Skeptikern und womit begeistern Sie für die CSR-Idee bei Ihren vielen Gesprächen mit Unternehmen?
Duin: Unternehmen kann man nur dann für eine Idee gewinnen, wenn man ihnen die damit verbundenen Chancen aufzeigt. Diese Chancen liegen in einer größeren Transparenz nach innen und außen, der Einsparung von Kosten, der Minimierung von Risiken und nicht zuletzt einer besseren Reputation beispielsweise beim Fachkräfte-Nachwuchs oder bei den Kunden. Die Implementierung von CSR in der Unternehmensstrategie macht Arbeit – das sollte auch nicht verschwiegen werden –, kann aber ein Vielfaches an Gewinn bringen.
Letztlich soll CSR neben Wettbewerbsvorteilen auch dazu beitragen, dass gesellschaftliche Herausforderungen gemeistert werden. Welche Rolle spielen hier intersektorale Netzwerke aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft?
Duin: Die gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels, die notwendige Einsparung von Ressourcen, aber auch die Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft werden wir nur durch Innovationen meistern können. Und Innovationen entstehen an Schnittstellen - zwischen Branchen und Sektoren, zwischen öffentlichen und privaten Institutionen. Deshalb spielen übergreifende Netzwerke und die damit verbundenen unterschiedlichen Blickwinkel und Herangehensweisen bei der Lösung von Zukunftsaufgaben eine Hauptrolle.
Wir haben in den letzten Jahren auf Bundesebene z.B. über das Programm "CSR im Mittelstand" aktive Unterstützung für die Etablierung von CSR in den Betrieben und auch den Kompetenzaufbau bei öffentlichen Einrichtungen und Institutionen gesehen. Wird sich dieses Bemühen auch auf der Landesebene fortsetzen. Welche Rolle sehen Sie für Ihr Ministerium, aber auch für die Organisationen der Wirtschaft wie die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern oder auch Wirtschaftsförderungen bei der weiteren Etablierung von CSR?
Duin: CSR ist ein Konzept, das letztlich auch die Rolle der Wirtschaft in der Gesellschaft und das Verhältnis von Staat und Wirtschaft neu definiert. Anders als hierarchische Formen der Steuerung bietet CSR die Chance einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Deshalb ist es für die Landesregierung Nordrhein-Westfalen ebenso wie für die Organisationen der Wirtschaft wichtig, sich am CSR-Dialog zu beteiligen.
Die Rolle meines Ministeriums sehe ich dabei vor allem in Aufklärung und Information und in der Sichtbarmachung des CSR- Engagements von Unternehmen oder der Bereitstellung von Plattformen und Foren. Darüber hinaus schaffen wir Anreize für verantwortlich wirtschaftende Unternehmen durch das neue Vergabegesetz. Wir werden CSR auch dort, wo es sinnvoll ist, in Leitmarkt-Wettbewerbe integrieren, so dass verantwortlich wirtschaftende Unternehmen im Wettbewerb um Fördermittel zusätzlich punkten können.
Kammern und Wirtschaftsförderungen sollten sich m.E. zum Beispiel in der Erstberatung von Unternehmen und dem Aufbau regionaler CSR-Netzwerke engagieren.
CSR lebte bisher von Freiwilligkeit. Das dreht sich. So sprechen sich z. B. die EU-Kommission und der Nachhaltigkeitsrat dafür aus, dass Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern einen Nachhaltigkeitsbericht herausgeben sollen. In Konsequenz könnte dies bedeuten, dass CSR zu einem Gegenstand der Legislative auf EU-, Bundes- und Landesebene wird, wo verbindlich festgelegt wird, was CSR bzw. Nachhaltigkeit ist und was nicht. Was ist die Position der Landesregierung dazu?
Duin: Das Wirtschaftsministerium NRW hat sich – ähnlich wie die Bundesregierung – immer für die Freiwilligkeit von CSR eingesetzt, in großen wie auch in kleinen Unternehmen. Die Unternehmen sind bei diesem Thema bereits auf einem guten Weg, weil CSR ihnen Vorteile bringt und weil der Markt es von ihnen fordert. CSR – das war bisher immer die Kür. Wenn es zur Pflicht wird, geht hier möglicherweise ein Großteil der Motivation in den Unternehmen verloren. Ich fürchte aber, dass wir die Europäische Kommission und das Europäische Parlament mit dieser Argumentation nicht überzeugen werden.
Immerhin ist es uns durch gemeinsame Bemühungen im Vorfeld gelungen, kleine und mittlere Unternehmen aus der Berichterstattungspflicht herauszuhalten. Es gab durchaus Stimmen in Brüssel, die die Berichterstattungspflicht bereits auf Unternehmen mit 200 Beschäftigten ausdehnen wollten.
Wie schätzen Sie die Verankerung und Relevanz des Themas in der neuen Bundesregierung ein? Vor allem: Welchen Akzent setzt die SPD aus Ihrer Sicht?
Duin: Ich hoffe sehr, dass die neue Bundesregierung den Nationalen CSR-Aktionsplan fortführen und sich dabei eng mit den Ländern abstimmen wird. Ich werde jedenfalls das mir Mögliche tun, um die künftige Bundesregierung und auch die SPD-Bundestagsfraktion von der Relevanz des Themas insbesondere auch für die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zu überzeugen.
Wir erleben auf internationaler Ebene, vor allem bei den Vereinten Nationen, dass Multilateralismus derzeit nicht funktioniert. Daran scheiterte die Rio+20 Konferenz und auch um die Klimaverhandlungen steht es nicht besser. Sehen Sie reelle Chancen, die globale Stagnation zu durchbrechen? Oder müssen dann Bundesländer und -staaten im Alleingang mit gutem Beispiel vorangehen, wenn die Weltgemeinschaft sich nicht einig wird?
Duin: Wir müssen weiterhin am Ziel festhalten, zu multilateralen Vereinbarungen beim Klimaschutz zu kommen. Gleichwohl sollten Deutschland und die Europäische Union beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle einnehmen. Dabei müssen wir zeigen, dass Klimaschutz nicht nur Kosten verursacht, sondern wirtschaftliche Chancen durch Entwicklung und Einsatz innovativer Technologien bietet. Nur so werden wir andere Länder überzeugen können.
In den Verhandlungen ging es fast immer um die Abwehr von Risiken für die jeweils eigene Wirtschaft. Wir müssen endlich auch die Chancen stärker herausstellen.
Wir danken Ihnen herzlich für das Gespräch
Über die Autoren: Riccardo Wagner und Marcus Eichhorn sind Inhaber der CSR-Agentur BetterRelations in Brühl bei Bonn.
Der Beitrag erschien im Original im Jahrbuch Global Compact Deutschland 2013