Die Volkswirtschaft als Kuchen
„Ich möchte heute über Wirtschaftssysteme und nachhaltige Entwicklung sprechen – und über Kuchen“, sagte Prof. Dr. Nina Michaelis und sorgte damit nicht nur für einen kleinen Lacher, sondern auch für volle Aufmerksamkeit. Das Publikum: eine bunte Mischung aus Fachleuten, Laien und Studierenden. Die Aufgabe: Wirtschaftsgeschehen verständlich und kompakt zu vermitteln. Und was hat das mit Kuchen zu tun? Die VWL-Professorin klärte auf.
13.01.2020
Alternativen zum gängigen Wirtschaftsmodell
„Die Volkswirtschaft ist wie ein Kuchen“, sagte sie, „je effizienter wir sind, desto mehr produzieren wir, die Volkswirtschaft wächst, und der Wohlstand steigt.“ In der Praxis bedeutet das: Die Wirtschaftsakteure finden Wirtschaftswachstum gut, und jedes Jahr steigt das Bruttoinlandsprodukt weltweit um mindestens drei Prozent. Das führe zu vielen Erfolgen – Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung, Erhöhung des Wohlstandes, Reduzierung der Armut –, aber auch zu Herausforderungen. Und die sind besonders ökologischer Art. „Damit meine ich Aspekte wie Klimawandel, Übernutzung der natürlichen Ressourcen, Flächenversiegelung“, sagte Michaelis. „Das alles sind Folgen unseres Wirtschaftens. Wir verursachen damit nicht nur erhebliche Schäden, sondern auch Kosten“, so die Wissenschaftlerin und forderte auf, das gängige Wirtschaftsmodell zu überdenken. Zwei Alternativen stellte sie vor: qualitatives Wachstum – man backt einen größeren Kuchen, nimmt aber nur biologische und faire Zutaten – und weniger Wachstum – der Kuchen bleibt gleich groß, ist aber genau so lecker und besteht ebenfalls aus fairen und biologischen Zutaten.
Ein Ansatz für qualitatives Wachstum ist grünes Wachstum, „Green Growth“. Dabei geht es um die Steigerung der Ressourceneffizienz durch grüne Investitionen, also zum Beispiel in nachhaltige Energien und Transportmöglichkeiten. Doch die Länder machen das zu wenig. „2009, als ohnehin viel Geld vom Staat zur Belebung der Konjunktur ausgegeben wurde, flossen in Deutschland nur 13 Prozent in solche grünen Investitionen, in Südkorea waren es 79 Prozent.“ Erfolgreich war man dort aber auch nicht. „Die Effizienz der Energieerzeugung ist zwar gestiegen, aber das reichte nicht aus. Durch zu schnelles Wirtschaftswachstum und einem zu geringen Anteil von erneuerbaren Energien stiegen die CO2-Emmissionen schnell wieder an.“ Die Lehren, die man daraus ziehen sollte: das Wohlstandsverständnis überdenken, im Energiemix schneller auf erneuerbare Energien setzen, die CO2-Emissionen im Verkehr reduzieren, den Dienstleistungssektor stärken. „Stattdessen aber steht weltweit das Bruttoinlandsprodukt zu sehr im Fokus, und nachhaltiges Wirtschaften vernachlässigen wir.“
Moderates Wachstum durch "Steady State Econmy"
Eigentlich müssten Volkswirtschaften weniger wachsen. Ein Modell dafür ist „Steady State Economy“. Die Theorie: Das Wirtschaftssystem ist von einem Ökosystem umgeben. Solange die Wirtschaft nicht so sehr wächst, dass sie an die Grenzen des ökologischen Systems stößt, ist alles in Ordnung. Um das zu erreichen, müssen Kapitalbestand und Materialfluss konstant sein und die Grenzen des Ökosystems eingehalten werden. „Es gibt Volkswirtschaften, die einer ‚Steady State Economy‘ nahekommen, es sind aber weltweit nur 20 von rund 181, die man daraufhin untersucht hat“, sagte Michaelis, die an der FH Münster am Fachbereich Wirtschaft lehrt, der Münster School of Business (MSB). Relativ stabil bei Beständen und Materialflüssen seien Japan, Frankreich, Polen, Dänemark und die Schweiz. „Aber nicht nur das ist wichtig, sondern eben auch die Einhaltung der Grenzen des ökologischen Systems. Gemessen wird das durch den fairen Anteil beim ökologischen Fußabdruck pro Kopf im Verhältnis zur globalen Gleichverteilung. Der liegt bei 1,7 globalem Hektar pro Kopf. Deutschland verbraucht 4,9, und auch die genannten Länder halten das nicht ein!“
Zahlen, die frustrieren können. Ganz so ratlos wollte Michaelis ihre Zuhörer aber nicht nach Hause verabschieden. „Es gibt Bemühungen, in der EU gerade zum Beispiel durch den ‚New Green Deal‘, der ganz oben auf der To-do-Liste der neuen EU-Kommission steht. Doch es müsse mehr passieren, und dafür sei vor allem eins ganz wichtig: mehr Geld. „Es ist teuer und nicht einfach, nachhaltig zu wirtschaften. Doch irgendwann stoßen wir an unsere Grenzen und habe keine andere Wahl, auch weil es in einer längeren Perspektive unwirtschaftlicher wäre, das Geld nicht zu investieren.
Die VWL-Ringvorlesung
Wer neugierig auf die VWL-Ringvorlesung geworden ist, kann am Mittwoch (22. Januar) die letzte Veranstaltung der Reihe besuchen. Dann spricht Dr. Andreas Schweinberg, EnBW Energie Baden-Württemberg über „Energiewende: Quo vadis? Energiesicherheit zwischen Regulierung und Wettbewerb“ um 18 Uhr im FHZ, Raum A004. Wer teilnehmen will, sollte sich vorab hier anmelden.