Luxus und Nachhaltigkeit
Sind Luxus und Nachhaltigkeit ein Widerspruch? Brauchen wir in einer Welt knapper werdender Ressourcen Dinge, die zwar schön, aber nicht notwendig sind? Oder hat vielleicht gerade das Luxussegment die Mittel für umwelt- und sozialverträgliche Produkte? Sind dann also Luxus und Nachhaltigkeit doch kein Gegensatz?
29.11.2021
Karl Lagerfeld hat einmal gesagt: Wer Luxus mit Reichtum verwechselt, besitzt keine Kultur. Damit sind wir schon beim Kern der Frage. Unsere Vorstellung von Luxus ist nämlich eng mit unserer Kulturgeschichte verwoben: Es gab Zeiten, in denen hanseatische Kaufleute ihren Reichtum in Pfeffersäcken maßen. In den Niederlanden herrschte in den 1630-er Jahren ein wahrer Tulpenrausch, sodass die Zwiebeln bis zum Hundertfachen des Goldgewichts gehandelt wurden. Und das Teemonopol der britischen Krone führte 1773 bekanntlich zum Beginn des Unabhängigkeitskrieges in Nordamerika.
Heute sind Pfeffer, Tee, Tulpen und so viele andere Raritäten früherer Tage hierzulande Alltagsgüter. Jeder kann sie sich leisten, weil sie sich auch jeder leisten will. Die Geschichte des Luxus ist nämlich eng mit der Geschichte des Konsums verknüpft. Luxusgüter lösen Begehrlichkeiten aus, und das führt zu einer Art „Demokratisierung“ des Konsums. Er wird für jedermann erschwinglich. Dafür entstehen an anderer Stelle immer neue Luxusbedürfnisse, sodass der Strom am Ende nie versiegt.
Luxus braucht Bewunderer und Mitwisser
Luxus kommt aus dem Lateinischen und steht laut Langenscheidt-Lexikon für Prunk, Verschwendung und Ausschweifung. Und Letzteres hat bekanntlich eine moralische Note: Ein Leben in Luxus kann und soll sich nicht alle leisten. Luxusgüter dienen der Distinktion und dem Prestige. „Luxus braucht Bewunderer und Mitwisser“, wusste bereits der römische Philosoph Seneca. Zu viel davon ist aber nicht gut: Zu viel Luxus, zu viel Konsum, zu viel Protz empfinden wir als Dekadenz. Dabei schwingt dann immer auch der Untergang mit. Für viele hat Luxus daher einen negativen Beigeschmack. Es ist dekadent, es hat keine Zukunft. Luxusgüter definieren sich allermeist aber auch über hohe Qualität. Und das „gut Gemachte“ bezieht sich heute nicht mehr nur auf das Material, sondern auch den Herstellungsprozess. Nachhaltigkeit ist für immer mehr Menschen heute ein Qualitätsmerkmal und damit auch ein Luxusattribut. Bei „New Luxury“, wie es die Expert:innen nennen, ist Nachhaltigkeit das neue Unterscheidungsmerkmal. Die nachhaltige Jeans. Das grüne Smartphone. Die faire Schokolade. Alles schön und gut und ohne „aber“.
Wirklich? In der Nachhaltigkeitsdiskussion kennen wir zwei Lesarten, die sich nicht auflösen lassen. In der einen Narration wird Nachhaltigkeit meistens mit Verzicht in Verbindung gebracht. Planetare Grenzen, Überbevölkerung, Klimawandel verlangen von uns Suffizienz, Postwachstum und Bescheidenheit. Für vieles Nicht-Notwendige ist da kein Platz. Die Schriftstellerin Juli Zeh sagte kürzlich im Spiegel-Interview über diese Sichtweise: „Da gilt, dass es früher besser war, nämlich vorindustriell, dann wurde es schlechter und schlechter, und je näher wir der Gegenwart kommen, desto schlimmer ist es. In dieser Betrachtungsweise liegt das Positive hinter uns.“
In der anderen Lesart ist Nachhaltigkeit eine Idee von einer Gesellschaft, zu der wir wachsen können. Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx beobachtet „eine Verschmelzung von Lebensstilen, die früher getrennt waren“. Nachhaltige Transformation als Evolution in die richtige Richtung. In dieser Narration nehmen Luxusgüter eine wichtige Funktion ein: Hochpreisig und exklusiv lassen sich hier Nachhaltigkeitsattribute testen, egal ob sie teuer sind. Und wenn sie marktfähig sind, dann sorgt der Neid der Vielen auf die Wenigen auf Dauer für die Demokratisierung und den Rollout in der Masse.
Luxusprodukte: Soziales Engagement zahlt sich nicht immer aus
Soziale Verantwortung zu übernehmen, wird auch von Unternehmen erwartet, die Luxusartikel verkaufen. Aktuelle Marktanalysen haben jedoch sehr unterschiedliche Effekte eines solchen Engagements auf die Konsument:innen gezeigt. Gerade wenn eine Marke Dominanz und Exklusivität symbolisiert, kann es als Gegensatz erscheinen, wenn sich das entsprechende Unternehmen für soziale Projekte einsetzt. Denn dies wird normalerweise eher mit Gleichheit und Fürsorge assoziiert. Was Firmen beachten sollten, damit ihre sozialen Bemühungen positiv von Verbraucher:innen angenommen werden, fand ein Team um Prof. Dr. Sascha Alavi der Ruhr-Universität Bochum (RUB) heraus. Dafür analysierte die Gruppe bekannte Luxus- Marken wie Bulgari, Burberry Group und Christian Dior.
Dabei fanden sie heraus, dass bei den meisten Kunden der Eindruck vorherrscht, das soziale Engagement der Firmen geschehe nur aus egoistischen Gründen, zum Beispiel um neue Käuferschichten zu gewinnen. „Das heißt aber keinesfalls, dass Luxusmarken sich nicht sozial engagieren sollen. Sie müssen dabei nur einiges beachten“, erläutert Alavi. Statt externe philanthropische Projekte durchzuführen, sollten sich die Unternehmen auf ihr eigenes Personal fokussieren. Investitionen in deren Gesundheit, Wohlbefinden, Entwicklung, eine konkurrenzfähige Vergütung sowie Mentorenprogramme können die negativen Reaktionen der Konsumentinnen und Konsumenten reduzieren und ihre Loyalitätsabsichten steigern.
Firmen, die sich extern sozial engagieren möchten, rät Alavi, ihre Marke lieber nachhaltig anstatt exklusiv zu gestalten. Das könne sogar helfen, die negativen Folgen eines schon bestehenden philanthropischen Engagements zu überwinden, ohne es aufzugeben. „Damit die Kunden Nachhaltigkeitsversprechen als positiv wahrnehmen, müssen die Firmen ihnen aber auch wirklich gerecht werden“, betont Alavi. Dies könne zum Beispiel gelingen, wenn sie nachhaltige Rohmaterialien verwenden und diese Nachhaltigkeit dann auch in der gesamten Lieferkette sicherstellen.
Postmaterialismus und das Aufkommen von „New Luxury“
Diese neue Sichtweise hängt eng mit dem Aufkommen des Postmaterialismus zusammen, wo die Erfüllung immaterieller Bedürfnisse zunehmend wichtiger wird. Dazu zählen insbesondere die Präferenz lokaler Produzenten oder das Bedürfnis nach Authentizität. Folgerichtig hat sich die Definition von Luxus gewandelt: Tradierte, nach außen gerichtete Luxuswerte wie Prestige, demonstrativer Konsum und Zeigen, was man hat, treten immer öfter in den Hintergrund vor innengerichteten, persönlichkeitsbezogenen Luxusattributen wie Selbstverwirklichung und nachhaltige Verantwortung. Die neuen Statussymbole heißen Achtsamkeit, Zeit oder Sinn – Purpose statt Profit.
Das ist ein harter Bruch mit der Vergangenheit. Wir erinnern uns: Die Yuppies der achtziger Jahre begannen – mangels politischer und gesellschaftlicher Vorbilder – Porsche, Rolex und Boss / Armani / Chanel zu ihren Idolen zu machen. Davon ist heute wenig geblieben. „Wir leben in einer Gesellschaft des materiellen Überflusses, in der Handwerkskunst, die ja in vielen Fällen Luxusgüter auszeichnet, nicht mehr wertgeschätzt wird“, sagt Christian Hugo Hoffmann im Interview mit Business Insider. Die Gegenströmung kennzeichnet sich durch eine konsumkritische Komponente.
Hannes Gurzki von der TU Braunschweig referiert dazu in einem Sympsium zum Thema: „Wir kaufen nicht nur Produkte, wir kaufen Emotionen und ein Lebensgefühl! Die Basis bildet Vertrauen. Konsumenten suchen Produkte und Marken, mit denen sie sich identifizieren können, Unternehmen, die eine einzigartige, authentische Geschichte erzählen können. Die Kombination der verschiedenen Elemente erzeugt eine wahrgenommene Knappheit, die zur Exklusivität und Begehrlichkeit der Produkte beiträgt.“ Was diese Märkte aus Unternehmenssicht so attraktiv macht, ist ihre Exklusivität und die damit verbundenen attraktiven Margen. Vor allem die Food-Branche hat das früh erkannt. Hier noch einmal Hannes Gurzki dazu: „Die traditionellen Lebensmittelhersteller und Händler haben die Attraktivität des Luxus-Wertversprechens für sich entdeckt und versuchen, durch neue ‚Prestige‘-Produkte das Unternehmensimage aufzuwerten und ihre Margen zu steigern. Beispiele hierfür finden sich von Rewe mit der Linie ‚Feine Welt‘ bis hin zum Discounter Lidl, die mit einer ihrer Kampagnen in Deutschland auf selbstdefinierten Luxus setzen.“
Ohne den chinesischen Markt geht nichts
Doch der Trend ist nicht nur im Supermarkt erkennbar. Die IKB Bank hat unlängst dazu die weltweite Entwicklung analysiert. Ihr Fazit: Der globale Markt für Luxuskonsumgüter zeigt seit zwanzig Jahren eine beeindruckende Wachstumsstory, die nur während der letzten Finanzkrise temporär unterbrochen wurde. So ist der Umsatz zwischen den Jahren 2000 und 2019 um 4,8 Prozent jährlich gewachsen und hat sich damit absolut betrachtet mehr als verdoppelt. Alleine im vergangenen Jahr konnte die Branche nach Zahlen des Beratungsunternehmens Bain & Company auf rund 281 Milliarden Euro zulegen. Inklusive der übrigen Segmente des Luxusgütermarktes, zu denen unter anderem Autos, Yachten oder Luxusreisen zählen, stieg der weltweite Umsatz im vergangenen Jahr um vier Prozent auf circa 1,3 Billionen Euro.
Umso deutlicher ist der Corona-bedingte Einbruch: Bain & Company schätzt den Umsatzrückgang auf rund 35 Prozent. Wohl und Wehe der Branche entscheiden sich dabei einzig in einem Land: Im Jahr 2019 waren 90 Prozent des globalen Marktwachstums auf Einkäufe chinesischer Konsument:innen zurückzuführen. Zu Beginn 2020 stotterte der Wachstumsmotor China jedoch erheblich. Das Land war von der Pandemie zuerst betroffen und begegnete dieser mit strikten Ausgangssperren, Geschäftsschließungen und Reiseverboten. So brach nicht nur der Umsatz mit Luxusgütern in China selbst ein, sondern auch in vielen anderen Regionen der Welt. Inzwischen hat sich die Lage in China und in vielen Ländern Asiens deutlich beruhigt. Davon angetrieben verzeichnen einzelne Luxusmarken wie Hermès sogar ein Umsatzwachstum gegenüber dem Vorjahr