Energiekonzerne klagen auf 35 Milliarden Euro Schadenersatz
Eine neue Studie der unternehmenskitischen NGO Corporate Europe Observatory zeigt den Einfluss, den der Energiecharta-Vertrag Investoren in fast 50 Ländern verleiht – und enthüllt seine drohende Ausweitung.
27.06.2018
Auf Basis eines kaum bekannten internationalen Vertrags, der droht, die Energiewende zu blockieren, verklagen Investoren Regierungen derzeit auf 35 Milliarden US-Dollar an Schadenersatz aus Steuergeldern – mehr als die geschätzten jährlichen Kosten für die Anpassung Afrikas an den Klimawandel. In der ersten detaillierten Studie ihrer Art haben Corporate Europe Observatory (CEO) und das Transnational Institute (TNI) alle bekannten Investor-Staat-Klagen aus 20 Jahren Energiecharta-Vertrag (ECT, Energy Charter Treaty) untersucht. Fast 50 Länder haben das Abkommen ratifiziert – viele weitere wollen unterzeichnen.
Auf Basis des ECT können ausländische Investoren Staaten für zahlreiche staatliche Maßnahmen verklagen, die ihre Profite schmälern. Selbst Schadenersatz für „entgangene zukünftige Profite“ kann eingeklagt werden – also Geld, das noch nicht investiert, aber möglicherweise in Zukunft eingenommen worden wäre.
Die 96-seitige englischsprachige Studie „One Treaty to Rule them all“ („Ein Vertrag, sie alle zu knechten“) zeigt, wie Öl-, Gas- und Kohle-Konzerne den ECT und andere internationale Investitionsverträge bereits genutzt haben, um den deutschen Atomausstieg, Verbote neuer Ölbohrungen, Steuern auf fossile Brennstoffe und Umweltschutzmaßnahmen anzufechten.
„Massives Hindernis für Klimawandel“
Pia Eberhardt von CEO, eine der Autorinnen, sagte: „Der ECT verleiht Konzernen, die schon heute den Planeten zerstören und oft schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen haben, noch mehr Macht. Es wäre vollkommener Wahnsinn, wenn weitere Länder dem Vertrag beitreten würden, obwohl sie dringend Druck auf Konzerne ausüben müssten, Umweltzerstörungen zu beheben und im Interesse der Menschen vor Ort zu wirtschaften.“
Cecilia Olivet von TNI, eine weitere Autorin der Studie, fügte hinzu: „Dieser Vertrag ist ein massives Hindernis für die Bekämpfung des Klimawandels. In einer Zeit, in der alle Anstrengung darauf gerichtet sein sollte, die Erderwärmung zu stoppen, ist kein Platz für ein Abkommen, auf Basis dessen Staaten verklagt werden können, wenn sie genau das versuchen. Jetzt ist der Moment gekommen, aus dem Vertrag auszusteigen.“
Klagen häufen sich
Insgesamt sind Staaten schon 114 Mal auf Grundlage des ECT verklagt worden – in den letzten vier Jahren vor allem westeuropäische Länder. In 16 Klagen haben Investoren eine Milliarde US-Dollar und mehr verlangt. In 61 Prozent der bereits entschiedenen Fälle begünstigte das Ergebnis den klagenden Investor.
Zu den problematischen Klagen zählt die des schwedischen Energieriesen Vattenfall, der Deutschland wegen des Atomausstiegs auf 4,3 Milliarden Euro verklagt; die Klage des britischen Ölkonzerns Rockhopper gegen ein Verbot von Offshore-Ölbohrungen an der italienischen Adriaküste; und Klagen gegen Bulgarien und Ungarn, die Energieprofite gedrosselt und auf eine Senkung der Strompreise gedrängt hatten. Die Schiedsindustrie erwägt ähnliche Klagen gegen Großbritannien, wo die Regierung eine Deckelung der Strompreise angekündigt hat.
Die Studie warnt vor zahlreichen weiteren ECT-Klagen, sollten Regierungen dringend notwendige weitergehende Maßnahmen gegen den Klimawandel und Energiearmut ergreifen. Dennoch soll er auf dutzende weitere Länder in Afrika, Asien, im Mittleren Osten und Lateinamerika erweitert werden – oft ohne öffentliche Debatte über die enormen politischen, rechtlichen und finanziellen Risiken des Vertrags.