Energiewende

Was der „Digitale Zwilling“ über die Heizung der Zukunft verrät

Wie können Gebäude in der Zukunft klimafreundlicher beheizt werden? Das hat E.ON gemeinsam mit den Stadtwerken Essen analysiert. Dazu wurde eigens ein „Digitaler Zwilling“ der Stadt Essen erstellt, und es wurden verschiedene Szenarien durchgespielt. Das Ergebnis: Vorhandene Gasbrenner sollten mit grünem Gas weiterbetrieben werden. Sonst wird es für die Verbraucher zu teuer.

04.08.2021

Was der „Digitale Zwilling“ über die Heizung der Zukunft verrät

Bereits 2045 – und damit fünf Jahre früher als bislang geplant – soll Deutschland treibhausgasneutral werden. Das sieht das im Juni durch den Bundestag verabschiedete, überarbeitete Klimaschutzgesetz vor. Gerade für den Gebäudebestand, der laut Bundesregierung für immerhin bis zu 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich gemacht wird, setzt das Klimaschutzgesetz ambitionierte Reduktionsziele. Bis 2030 sollen sich die Emissionen nahezu halbieren und auf 67 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sinken.

Um die Klimaziele im Gebäudebestand zu erreichen, geht es in den nächsten Jahrzehnten vor allem alten Öl- und Gas-Heizungen an den Kragen. Allein Gas-Brennwert-Thermen haben laut WELT einen Marktanteil von etwa 60 Prozent. Die „fossilen“ Anlagen müssen auf Systeme umgerüstet werden, die mit Erneuerbaren Energien betrieben werden. Die Bundesregierung spricht sich dabei vor allem für den Ausbau von Niedertemperaturwärmenetzen und die Wärmepumpentechnologie aus. „Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, müssen bis 2030 sechs Millionen und bis 2045 vierzehn Millionen Wärmepumpen eingebaut sein. Die übrigen gut 40 Prozent der Häuser müssen an grüne Nah- und Fernwärmenetze angeschlossen werden“, konkretisiert der Thinktank „Agora Energiewende“ den Bedarf. Um das Ziel zu erreichen, solle das Fördervolumen für energetische Gebäudesanierungen verfünffacht werden. Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität, fordert außerdem, bis 2024 den Einbau neuer Öl- und Gaskessel in Ein- und Zweifamilienhäusern gesetzlich zu verbieten.

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Fünf Szenarien für die Energiewende in Essen

Nach Ansicht des Energieversorgers E.ON führt die ausschließliche Fokussierung auf Wärmepumpen in die falsche Richtung. Statt der damit verbundenen aufwendigen und teuren energetischen Sanierungsmaßnahmen sei ein Technologiemix, der auch grüne Gase wie Wasserstoff oder Bio-Methan berücksichtigt, günstiger und sozialverträglicher. Zu diesem Ergebnis kam E.ON im gemeinsamen Projekt „Essener Digital Energy Twin“ mit den Stadtwerken Essen.

Das Ziel des Projektes: Die Folgen von fünf verschiedenen Energiewende-Szenarien sollten detailliert für jeden Essener Haushalt analysiert werden. Für das Projekt wurde eigens ein „Digitaler Zwilling“ der Stadt Essen, wo überwiegend noch mit Öl, Gas und Fernwärme geheizt wird, erstellt. Darin wurde jedes einzelne Gebäude mit bis zu 150 Parametern erfasst – Baujahr, Wohnungsgröße, Einkommen der Einwohner, Heizungstechnik, Modernisierungsaufwand und vieles mehr. Die Software für das Stadtmodell stammt von der zur E.ON-Tochter Westenergie gehörenden DigiKoo GmbH. Im virtualisierten Essen wurde dann durchgespielt, was passiert, wenn die Wärmeversorgung bis 2050 auf Wärmepumpen umgestellt wird, Erdgas-Thermen mit grünem Gas weiterbetrieben, Fernwärmenetze verdichtet, direkte elektrische Raumheizungen eingesetzt und Hybridwärmepumpen installiert werden.

Die Studie zeigt, dass in allen fünf Szenarien die CO2-Emissionen deutlich um jeweils über 90 Prozent sinken. Starke Unterschiede gibt es aber beim „Share of wallet“, dem Anteil der Wärmekosten am Gesamteinkommen der jeweiligen Haushalte. Laut E.ON würden Lösungen, die auf den Energieträger Gas verzichten, für die Verbraucher zu teuer. Dies sei „nicht realistisch und verlagert die Kosten für die Energiewende in vielen Fällen in einkommensschwache Stadtteile.“ Nur durch die Weiternutzung bestehender Gasnetze können laut E.ON-Vorstand Leonhard Birnbaum „aufwendige Renovierungen und damit verbundene Mietsteigerungen“ vermieden werden.

Umrüstung auf Wärmepumpen kommt Verbraucher besonders teuer

Vor allem die Wärmepumpentechnologie schnitt bezogen auf den Share of Wallet schlecht ab. Die Modellierung ergab: Wenn zwei Drittel aller Heizungsanlagen bis 2050 auf Wärmepumpen umgestellt werden, steigt er von derzeit durchschnittlich 2,3 Prozent auf 4,6 Prozent. Wobei beachtet werden muss, dass Durchschnittswerte einen falschen Eindruck vermitteln können, weil sich die Situation je nach Stadtviertel oder Nachbarschaft unterschiedlich darstellen kann. Im digitalen Essener Zwilling zeigte sich dann auch deutlich, dass durch den hohen Modernisierungsbedarf im Gebäudebestand gerade die einkommensschwächeren Viertel im Osten und Nordwesten der Stadt besonders betroffen wären und nach der Heizungsmodernisierung einen Share of Wallet von mehr als fünf Prozent zu gewärtigen hätten. Das liegt auch am stark steigenden Stromverbrauch. Der derzeitige Gesamt-Stromverbrauch von Essen von gut 1,1 Terawattstunden pro Jahr würde im Wärmepumpen-Szenario bis 2050 um 77 Prozent auf knapp zwei Terawattstunden steigen.

Gasspeicherung bei E.ON.
Gasspeicherung bei E.ON.

Besser schnitten in dieser Hinsicht die beiden Varianten ab, die auf den Weiterbetrieb von Gasthermen mit grünen Gasen setzen. In diesen Modellen geht E.ON laut WELT davon aus, dass dem Erdgas in den Verteilnetzen bis 2030 zunächst 20 Prozent klimaneutrale Gase beigemengt werden, bis 2040 dann 50 Prozent und 100 Prozent im Jahr 2050.

Beim Thema Sozialverträglichkeit erhielt das Modell „Hybridwärmepumpen“ eine besonders gute Bewertung. Darin werden die Gasthermen mit dekarbonisierten Gasen weiterbetrieben. Zugleich werden aber Wärmepumpen zu Abdeckung der Grundlast installiert. Lastspitzen werden dann durch den Gasbrenner abgefedert. Weil keine weitergehenden energetischen Sanierungen notwendig sind, werden die Verbraucher nur mir geringen Modernisierungskosten belastet. Allerdings steigt der Stromverbrauch deutlich um 66 Prozent. Trotzdem erreicht diese Lösung mit 3,3 Prozent den besten durchschnittlichen Wert beim Share of Wallet. In den einkommensschwachen Bezirken Essens liegt er sogar unter drei Prozent, während er im sozial privilegierteren Süden der Stadt höher ausfällt.

Ähnlich niedrig, nämlich bei durchschnittlich 3,5 Prozent, liegt der Share of Wallet beim Szenario „Grünes Gas“, das ebenfalls auf die allmähliche Dekarbonisierung des Erdgasnetzes setzt. Nicht modernisierte Gebäude sollen hier mit vorhandenen Anlagen mit klimaneutralem Gas beheizt werden. Die E.ON-Studie geht davon aus, dass etwa ein Drittel des Essener Gebäudebestands dafür in Frage käme. Für den Rest sieht das Szenario zu ungefähr gleichen Teilen die Beheizung mit Fernwärme und Wärmepumpenanlagen vor. Diese Lösung hat mit 39 Prozent den geringsten Anstieg des Strombedarfs zur Folge.

Kommunen sollten individuelle Dekarbonisierungsstrategien formulieren

Die dekarbonisierte Wärmeversorgung der Zukunft kann also, fasst E.ON seine Studienergebnisse zusammen, nur mit einem Technologiemix erreicht werden. Welche Kombination die beste ist, unterscheidet sich von Region zu Region. Deswegen wirbt E.ON dafür, dass auch andere Kommunen Dekarbonisierungsstrategien aufstellen und dafür verschiedene Szenarien in digitalen Zwillingen durchspielen. E.ON selbst analysiert damit gerade in Lüneburg mögliche Energiewende-Szenarien.

Welche Modelle auch realisiert werden, auf jeden Fall müssen dafür die Strom- und Gasnetze ausgebaut und wesentlich mehr Strom aus regenerativen Quellen sowie grünes Gas erzeugt werden. In diesem Zusammenhang widerspricht E.ON Einwänden wie etwa von der Deutschen Umwelthilfe, dass Wasserstoff absehbar nicht ausreichend verfügbar sein werde, zu teuer und gerade wegen seiner geringeren Energiedichte als Brennstoff für Gasheizungen ungeeignet sei. Die steigende Nachfrage werde das Angebot von Wasserstoff steigern und zu sinkenden Preisen führen. Außerdem könnten weder Deutschland noch Europa den steigenden Strombedarf aus Erneuerbaren Energien allein decken. Sie blieben auf Energieimporte angewiesen. Dabei sei es dann deutlich effizienter, Gase über weite Strecken zu transportieren als Strom.

Quelle: UmweltDialog
 

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