Deutschlands Zukunft hängt am grünen Wasserstoff
Die deutsche Industrie benötigt massiv steigende Mengen an klimaneutralem Wasserstoff. Bis 2045 wird der Bedarf auf über 350 TWh steigen, wobei Deutschland den Großteil importieren muss. Sinkende Kosten für Elektrolyseure könnten helfen, günstige Preise zu erreichen, um die Dekarbonisierungsziele zu erreichen. Internationale Zusammenarbeit wird entscheidend. Das geht aus der EY-Studie „Wasserstoff: Energieträger der Zukunft“ hervor.
11.11.2024
Im Rahmen der Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft benötigt die Industrie in Deutschland erhebliche Mengen an grünem Wasserstoff, der auf klimaneutrale Weise erzeugt wird. Aktuelle Schätzungen deuten darauf hin, dass der Bedarf an grünem Wasserstoff von 55 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2023 auf 95 bis 130 Terawattstunden bis 2030 steigen wird. Für das Jahr 2045 wird sogar ein Anstieg auf über 350 Terawattstunden erwartet. In den nächsten zwei Jahrzehnten wird sich demnach der Bedarf an grünem Wasserstoff etwa vervielfachen.
Deutschland wird jedoch nur einen geringen Teil dieses Bedarfs selbst decken können – Schätzungen zufolge müssen in Zukunft bis zu 70 Prozent des benötigten grünen Wasserstoffs importiert werden. Für das Jahr 2045 wird prognostiziert, dass Deutschland etwa 245 Terawattstunden importieren muss. Berechnungen von EY zeigen, dass die Kosten (ohne Berücksichtigung von Transport- und Logistikkosten) bei etwa 8,5 Milliarden Euro liegen werden.
Diese Erkenntnisse stammen aus der EY-Studie „Wasserstoff: Energieträger der Zukunft“. Die Untersuchung analysiert, wie sich in den kommenden Jahrzehnten eine globale Wasserstoffwirtschaft entwickeln könnte und welche Investitionen dafür erforderlich sind.
Der Grund, warum in Deutschland vergleichsweise wenig grüner Wasserstoff produziert werden kann, liegt vor allem in den begrenzten Ressourcen und Raumkapazitäten für den Ausbau zusätzlicher Windkraft- und Solaranlagen im Land. Im Gegensatz dazu bieten andere Länder – wie die USA, Indien, Namibia, Ägypten und auch die Vereinigten Arabischen Emirate – hervorragende Bedingungen, um sich als führende Produktionsstandorte für grünen Wasserstoff zu positionieren. Diese Nationen dürften in den kommenden Jahrzehnten auch zu den wichtigsten Wasserstoff-Lieferanten für Deutschland avancieren. „Deutschland als Industriestandort hat einen enormen Bedarf an grünem Wasserstoff, der in den kommenden Jahrzehnten massiv steigen wird“, sagt Daniel Eisenhuth, Partner bei EY. „Letztlich hängt das Gelingen unserer Dekarbonisierungsanstrengungen davon ab, ob wir ausreichend grünen Wasserstoff zu möglichst günstigen Preisen importieren können.“
Deutschland bezieht bereits jetzt Wasserstoff aus anderen Ländern. Im vergangenen Jahr wurden rund 44 TWh Wasserstoff importiert – jedoch handelt es sich derzeit größtenteils um grauen Wasserstoff, der nicht klimaneutral ist und aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas, Kohle oder Öl gewonnen wird. In den nächsten Jahren sollen die Importe von Wasserstoff erheblich zunehmen und verstärkt auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Eisenhuth betont: „Für Deutschlands Versorgung mit Wasserstoff ist der Austausch und die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit potenziellen Lieferländern essenziell – das wird eine wichtige Aufgabe für die deutsche Politik in den kommenden Jahren: In gewisser Hinsicht wird Wasserstoff das neue Öl“.
Preisverfall bei Elektrolyseuren ermöglicht niedrigere Preise für grünen Wasserstoff
Aktuell ist grauer Wasserstoff erheblich preisgünstiger als der in Deutschland bislang unbedeutende grüne Wasserstoff: Die klimaneutrale Variante kostet gegenwärtig rund das Vierfache des Preises von grauem Wasserstoff. Langfristig wird sich jedoch dieses Verhältnis ändern. Laut Prognosen von EY wird der Preis für grünen Wasserstoff in den nächsten Jahrzehnten erheblich fallen, was auch die Importkosten der erforderlichen Mengen nach Deutschland senken wird. Es wird erwartet, dass der Preis von 160 US-Dollar pro Megawattstunde im Jahr 2020 bis zum Jahr 2050 auf etwa 35 US-Dollar pro Megawattstunde sinken wird. Bereits zwischen 2033 und 2035 wird grüner Wasserstoff günstiger sein als der derzeit hierzulande verwendete graue Wasserstoff. Während der Preis für grünen Wasserstoff stetig abnimmt, wird der Preis für grauen Wasserstoff gleichzeitig von aktuell durchschnittlich 45 bis 50 US-Dollar pro Megawattstunde auf 200 US-Dollar pro Megawattstunde im Jahr 2050 ansteigen.
Der bevorstehende Preisanstieg bei grauem Wasserstoff hat mehrere Ursachen – insbesondere höhere Produktionskosten und eine abnehmende Nachfrage. Im Gegensatz dazu werden die Kosten für die sehr energieintensive Produktion von grünem Wasserstoff signifikant sinken. Dies geschieht zum einen aufgrund fallender Preise für erneuerbare Energien und zum anderen durch die Realisierung deutlich größerer Projekte (Skaleneffekte). Zudem werden die Anschaffungskosten und der Betrieb von Elektrolyseuren erheblich günstiger. EY schätzt, dass im Jahr 2030 die Investitionskosten für diese Anlagen, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen, zwischen 620 und 1.024 US-Dollar pro erzeugtem Kilowatt liegen werden und bis 2050 auf 462 bis 767 US-Dollar/Kilowatt sinken könnten – im Durchschnitt wird also ein Rückgang um etwa ein Viertel erwartet, wobei noch deutlich stärkere Rückgänge möglich sind.
Eisenhuth: „Die Zahl der Elektrolyseure muss sowohl im In- als auch im Ausland in den kommenden Jahren stark steigen, um den massiv steigenden Bedarf an grünem Wasserstoff zu decken.“ Damit verbunden seien allerdings erhebliche Investitionen: „Die Dekarbonisierung der Wirtschaft ist ein gigantisches weltweites Investitionsprogramm. Neben den nationalen und internationalen Verteilnetzen müssen auch die entsprechenden Produktionsanlagen im Schnelltempo errichtet werden.“ Es wird davon ausgegangen, dass bis 2050 weltweit ein Investitionsbedarf in Höhe von fast 4 Billionen US-Dollar für die globale Wasserstoffproduktion und die Infrastruktur besteht. Eisenhuth betont: „Wir müssen trotz knapper öffentlicher Kassen in Verteilnetze, Pipelines aus dem europäischen Ausland nach Deutschland und – bei Überseetransporten – den Umwandlungsprozess von Ammoniak in Wasserstoff investieren.“