Warum Menschen Klimaskeptiker sein müssen
Der Klimawandel ist eine wissenschaftlich beschriebene und beweisbare Sache. Dennoch richten wir unser Verhalten nicht danach aus. Wenn wir ehrlich sind, hat jeder von uns einen kleinen Klimaskeptiker in sich, der ihm oder ihr das tägliche emotionale Überleben sichert.
18.01.2018
Dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun verdanken wir das Bild des „inneren Teams“. Dahinter steht die hilfreiche Vorstellung von der Pluralität unserer Bedürfnisse, Meinungen, Einstellungen und Handlungsmotive. In diesem Team, das die Vielfalt unseres Seelenlebens widerspiegelt, gibt es Anführer, Unterdrückte, Intriganten, Ängstliche, Draufgänger, Mahner und weitere Rollen. Das Bild hilft uns, toleranter mit uns selbst umzugehen und aufmerksamer zu werden für die Diversität und Widersprüchlichkeit in unserem eigenen Inneren. Es soll uns auch skeptischer uns selbst gegenüber machen. Und das Modell löst den oft beklagten Widerspruch zwischen Denken und Handeln auf. Niemand ist konsistent!
Überspitzt hat man festgestellt, dass das bedeutet, dass auch in jedem von uns ein potenzieller Mörder steckt. Wie es aussieht, steckt aber auch in jedem von uns ein kleiner Klimaskeptiker. Wahrscheinlich gehört es zur psychischen Gesundheit, ihn nicht zu verleugnen. Zwei anekdotische Erlebnisse der letzten Wochen haben uns wieder einmal auf dieses Mitglied unseres inneren Teams aufmerksam gemacht.
In einem Gymnasium beteiligt sich eine Schulklasse über mehrere Jahre an einem Energie- und Klimaprojekt. Innerhalb der Schule unterstützt ein Physiklehrer die 13- bis 15-jährigen Schülerinnen und Schüler bei ihrem Engagement, den Energieverbrauch der Schule und damit die Klimabilanz des Gymnasiums zu verbessern. Im zweiten Jahr des Projekts geht es um das CO2 im Klassenraum ebenso wie das CO2 als Treibhausgas. Während die einen Schüler das richtige Lüften im Winter diskutieren, wollen die anderen durch Bäumepflanzen den CO2-Ausstoß ihrer Schule neutralisieren. Beide Themen hängen beim Kohlendioxid zusammen und geben Anlass zur Vermittlung allgemeinen chemisch-physikalischen Grundlagenwissens. In dieser Situation überrascht der Physiklehrer seine Schüler mit der Ansage, das mit dem Treibhauseffekt des CO2 könne nicht stimmen, denn CO2 sei doch schwerer als Luft und somit könne sich in größerer Höhe nicht eine Art „Glashaus“ entwickeln. Wer wisse also, ob es diesen Klimawandel wirklich gebe.
Die Balance in uns
An einer anderen Schule, die sich rühmt, „Umweltschule“ zu sein, und diesen Titel auch offiziell führt, nutzt die Schulleiterin den Wechsel beim zuständigen Hausmeister, um diesem eine Anweisung für den Betriebsfrieden zu geben: Er solle doch einfach alle Klassenräume den ganzen Schultag über auf 22 Grad Celsius beheizen, dann gebe es keine Probleme. Die in einem Energieprojekt an dieser Schule aktiven Fünft- und Sechstklässler kämpfen auf der anderen Seite jede Woche am Steuerungscomputer der Heizung darum, unnötige Heizzeiten einzusparen und die Warmtemperatur möglichst auf 20 Grad zu fixieren.
Was sagt uns das? Es gelingt dem kleinen Klimaskeptiker in uns immer wieder mal, sich in den Vordergrund zu drängen. Darf er das? Sollten ihm seine Teamkollegen denn nicht längst den Garaus gemacht haben? Wir finden, er darf das und er muss es sogar, weil er als Teil unseres inneren Teams für unsere psychische Balance mitverantwortlich ist. Wenn wir ehrlich sind, spielt er in unser aller innerem Team eine Rolle. Er ist es, der uns nicht verzweifeln lässt angesichts der Katastrophenmeldungen des IPCC und der schieren Unfähigkeit internationaler Konferenzen, einen weltweiten radikalen Kurswechsel in der Energiepolitik einzuleiten. Der uns dann doch Autofahren, fliegen und Fleisch essen lässt. Und Kinderkriegen. Der kleine Klimaskeptiker in uns ist ein verdammter Realist, der uns davor bewahrt, einzelne Wahrheiten, die wir – so wie die ungemein komplexen Klimamodelle – gar nicht selbst wirklich überprüfen können, zu verabsolutieren. Wir müssen ja weiterleben, auch wenn wir von katastrophalen Ereignissen umgeben zu sein scheinen. Geben wir ihm also seinen Raum. Denn er ist es, der uns trotz aller ökologischen Untergangsmeldungen eine gewisse innere Balance ermöglicht, ohne die wir weder handlungsfähig wären noch zukunftsoffen sein könnten.