Wir brauchen eine globale Klimaschutzbewegung
„Reden wir vom Klimawandel, so wird immer der Verzicht in den Vordergrund gestellt. Tatsächlich ist es aber so, dass wir für uns und die nachfolgenden Generationen viel mehr unseren blauen Planten, unser Zuhause, erhalten. Wir müssen umdenken und vor allem lösungsorientiert denken; die Destruktivität ablegen“, so Prof. Mojib Latif, einer der führenden Klimaforscher weltweit
25.06.2019
Für die künftigen Herausforderungen wird insbesondere auch die Fachexpertise von kompetenten Experten gefordert sein. Ein Grund, warum Prof. Latif auf dem Deutschen Sachverständigentag vom 21. bis zum 22. November 2019 in Leipzig sprechen wird.
Klimaschwankungen sind normal; die Erderwärmung ist „hausgemacht“
„Dass das Klima schwankt, ist erstmal nicht neu“, erklärt Latif. Bereits vor 100 Jahren haben Naturwissenschaftler und Klimaforscher berechnet, dass sich das Klima der Erde erwärmt, wenn die Menschen im Kontext der Industrialisierung vermehrt Treibhausgase in die Atmosphäre emittieren. „Erwiesen ist, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts der CO2-Gehalt und die Erdtemperatur steigen. Deswegen müssen wir wissen, innerhalb welcher Grenzen das System auf natürliche Weise schwankt. Hierzu gibt es komplexe Klimamodelle und weltweite Messungen. Generell sind zwei entscheidende Fragen zu stellen: Erstens, ist die gemessene Erderwärmung außergewöhnlich im Lichte der natürlichen Schwankungsbreite? Diese Frage können wir mit Ja beantworten. Zweitens: Was ist die Ursache der Erderwärmung? Die Antwort lautet: hauptsächlich die Menschen“, so der Naturwissenschaftler.
Klimawandel – neutrales Wort mit großen Folgen
Das Wort Klimawandel ist zunächst neutral. Ein Wandel wird mit Hilfe von 30-Jahres-Zeiträumen definiert. „Schauen wir uns also die letzten drei Jahrzehnte an, und vergleichen sie mit den drei Jahrzehnten davor. Da haben wir einen signifikanten Wandel des Klimas in Form der Erderwärmung. Dies ist zunächst die wissenschaftliche Beobachtung. Die bewertenden Attribute ergeben sich aus den Folgen“ erläutert Prof. Latif.
Der Klimawandel ist negativ assoziiert, weil die Auswirkungen für die Menschen und die Umwelt negativ sind: Nach Ansicht des Wissenschaftlers werden sich sehr heiße Perioden, Dürre- und Hitze-Phasen einerseits und extreme Niederschläge andererseits künftig abwechseln. Ein Worst-Case-Szenario will sich der Klimaforscher nicht ausmalen. Trotz aller Fortschritte in der Klimaforschung gibt es Unwägbarkeiten. „Wir wissen nicht, wie es mit der Antarktis oder Grönland und seinen großen Eismassen aussieht – der Meeresspiel kann um einen halben Meter oder einen Meter bis Ende des Jahrhunderts steigen. In den Jahrhunderten danach um sehr viel mehr. Wenn man nicht genau weiß, was passieren wird, sollte man es nicht rausfinden wollen. Es gilt, die extremen Szenarien zu vermeiden“, warnt Latif. Wenn die Erderwärmung zwei Grad übersteigt, spielen wir Russisch Roulette.
Aus naturwissenschaftlicher Sicht gibt es de facto keinen Klimaschutz – Deutschland verfehlt die Klimaschutzziele
„Ich bin ein Mann der Zahlen – und die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache“, sagt Latif. Das Ergebnis ist ebenso bekannt wie ernüchternd: Die weltweiten Treibhausgasemissionen steigen immer noch. Es braucht dringend Sofortmaßnahmen, diese sind bekannt, nur die konsequente Umsetzung lässt auf sich warten. Dafür werden wir nach Ansicht von Prof. Latif einen hohen Preis zahlen. Daher heißt das Gebot der Stunde, auf internationaler Ebene schnell gemeinsame Lösungen zu finden.
Die Klimaschutzbewegung Friday for Future um die Initiatorin und Leitfigur Greta Thunberg hält Prof. Latif für extrem wichtig. „Die Energiewende muss schneller vonstattengehen. Der Kohleausstieg 2038 ist viel zu spät. Das Argument Erhaltung der Arbeitsplätze ist irreführend. Es wäre besser, diese Arbeitsplätze finanziell aufzufangen und Arbeitsplätze in Zukunftstechnologien zu schaffen“, so der Wissenschaftler. „Kohle und Autos sind nicht zukunftsfähig. Es braucht moderne Energie- und Verkehrskonzepte. Wir müssen die erneuerbaren Energien schneller voranbringen und Abschied vom Individualverkehr nehmen, um unsere langfristigen Klimaschutzziele zu erreichen, sonst gefährdet Deutschland auf lange Sicht auch seinen Wohlstand – davon ist der Klimaforscher überzeugt. „Im Zeitalter des wachsenden „Nationalismus-Denken“ sind internationale Lösungen schwerer zu finden“. Um gemeinschaftlich dem Klimawandel und seinen Folgen zu begegnen, braucht es nach Ansicht des Wissenschaftlers gemeinsame Lösungen, die alle Länder miteinander verabreden, meint Latif. Hierfür ist der Diskurs auf Augenhöhe mit den Entwicklungs- und Schwellenländern ebenso wichtig wie ein fairer Lastenausgleich.
Wertschätzung und Bewusstsein sind, neben Mut und Bereitschaft, die benötigten Soft Skills. Insbesondere braucht es aber den unbedingten politischen Willen. Schwierige Voraussetzungen, bedenkt man, dass die USA aus dem Klimaabkommen aussteigen wollen. Und auch Deutschland verfehlt seine Ziele deutlich. „Ich wünsche mir eine globale Klima-Bewegung. Wir alle würden uns eine intakte Umwelt erhalten“. Es gibt Lösungen. Es gibt Hoffnung, meint der Klimaforscher. „Wir müssen nicht den Verzicht in den Vordergrund stellen, sondern den Gewinn. Es lohnt sich, für eine gute Umwelt zu kämpfen. Das bringt uns auch als Gesellschaft weiter. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass die innerdeutsche Mauer einmal friedlich fallen wird. Ebenso hat die Anti-Atomkraft-Bewegung gezeigt, dass Menschen, die sich mit einem gemeinsamen Ziel vereinen, eine Wende herbeiführen können. Wir brauchen eine weltweite Klima-Bewegung; die eine Lawine ins Rollen bringt. Wir müssen die vielen Vorteile des Klimaschutzes sehen, für uns und die nachfolgenden Generationen“ so das Fazit des Klimaforschers.
Politik, Wirtschaft, Individuen müssen erkennen, dass wir durch Klimaschutz nur gewinnen können; Deutschland läuft Gefahr, gigantische Strafzahlungen leisten zu müssen, weil wir die Klimaschutzziele nicht einhalten. Dazu kommen die klimabedingten Schäden, die beglichen werden müssen. Wir können es uns nicht leisten, nichts zu tun.„Die Vergangenheit hat gezeigt, dass extrem schnelle technologische Entwicklungen möglich sind“, meint der Wissenschaftler. „Allein der Sprung zu den Smartphones oder Tablets zeigt, wie schnell die technische Revolution in den letzten 20 Jahren vorangeschritten ist. Marktführer für Mobilfunkgeräte war einst Nokia, heute ist der Konzern kaum noch marktrelevant. Wer nicht vorne auf der Lokomotive sitzt, wird ganz schnell abgehängt, heißt es. Ich möchte zum Beispiel nicht erleben, dass Deutschland zum Nokia der Automobilindustrie wird.“
Schnelles Handeln ist nach Meinung aller Klimaforscher jetzt gefragt: Erneuerbare Energien wären konkurrenzlos billig, wenn die Politik die Subventionen für konventionelle Energieproduktionen stoppen würde. „Ich kann es nur betonen“, sagt Latif. „Es gibt im Klimasystem sogenannte Kipp-Punkte, die eine Kettenreaktion auslösen, die man nicht stoppen kann. Wir müssen den Klimawandel begrenzen. Handeln ist unabdingbar – auch für die Wirtschaft.“
Experten der Zukunft – qualifiziertes Sachverständigenwesen kann Zukunftsbeitrag leisten.
Der Klimawandel betrifft alle Bereiche unseres Lebens und wird auch in der Sachverständigentätigkeit Einfluss nehmen, hier ebenfalls in allen Bereichen. Wie werden Immobilien künftig bewertet? Hat das Ferienhaus auf Sylt in zehn Jahren im Kontext von steigendem Meeresspiegel noch den gleichen Wert? Worauf müssen Objektkäufer jetzt achten? Ebenso geht es um die Bewertung und Einschätzung von Schäden, verursacht durch extreme Wetterlagen. Es wird sich die Frage nach der energetischen Sanierung von Häusern stellen, dem nachhaltigen Wohnungsbau oder der Stadtplanung. Die technische Gebäudeausrüstung wird sich verändern. Hier wird es Fachleute und Experten brauchen, auf deren Expertise man setzen kann. „Sicherlich ist das autonome Fahren auch nicht mehr in allzu ferner Zukunft. Was würde das für die Verkehrssicherheit bedeuten? Das alles sind Themen, die auch die Sachverständigen beschäftigen werden“, meint Latif, der auf dem 20. Deutschen Sachverständigentag in Leipzig sprechen wird. Prof. Mojib Latif: „Wir haben nur diesen einen Planeten, dessen Klima wir gerade durch unser Verhalten verändern. Wir haben die Verpflichtung und besitzen die technischen Möglichkeiten, die lebensfreundlichen Bedingungen auf der Erde zu erhalten.“