Corona und der Klimaschutz
Die Coronakrise hat uns derzeit noch fest im Griff. Michael Hauer, Geschäftsführer der Energieagentur Rheinland-Pfalz, erklärt im Interview welche Verbindung es zwischen der Corona- und Klimakrise gibt, welche Chancen und Herausforderungen sich aus der Corona-Krise für den aktiven Klimaschutz ergeben und wie sich diese Pandemie auf das Engagement der Energieagentur Rheinland-Pfalz für den Klimaschutz und die Energiewende auswirkt.
30.04.2020
Michael Hauer ist seit Juli 2019 Geschäftsführer der Energieagentur Rheinland-Pfalz und damit verantwortlich für mehr als 70 Mitarbeiter. Im Interview spricht er über die aktuelle Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen auf den Klimaschutz und die Energiewende.Vor seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Energieagentur Rheinland-Pfalz war Michael Hauer als Direktor bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) verantwortlich im Bereich Unternehmensberatung, Wirtschaftsförderung und nachhaltige Finanzierungen tätig.
Herr Hauer, seit Wochen beeinflusst die Corona-Pandemie das Leben in Deutschland. Wen, denken Sie, trifft es am Härtesten?
Michael Hauer: Dass die Corona-Pandemie eine ernstzunehmende Krise für die Gesundheit der Menschen, das Gesundheitssystem und auch für die Wirtschaft ist, erfahren wir täglich in den Medien aber auch selber direkt und sehr schmerzlich in allen Unternehmen, Organisationen und Vereinen. Besonders hart trifft es die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen im Land, die keine Liquiditätsreserven haben, um den Betrieb über mehrere Monate hinweg ohne substanzielle Aufträge und Erträge aufrechterhalten zu können und dies im Rahmen ihres Geschäftsmodelles nicht von heute auf morgen kompensieren können. In Deutschland sind bereits mehr als 130.000 Menschen am Coronavirus erkrankt. Als Reaktion auf die zügige Ausbreitung haben Bund und Länder beispiellose Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, die wir tagtäglich selbst mit unseren Familien und Arbeitskollegen umsetzen und erfahren. Sie haben aber auch Hilfspakte für das Gesundheitswesen, Unternehmen, Selbständige, Mieter und Familien geschnürt und stellen Milliarden Euro zur Verfügung. Das ist aus meiner Sicht absolut notwendig und richtig. Man wird sehen, ob diese Unterstützung ausreicht und wirklich alle Menschen und Unternehmen, die Hilfe benötigen, erreicht bzw. auch schnell genug erreicht. Ich fürchte, wir alle brauchen einen langen Atem zur Bewältigung dieser Krise.
Die Energieagentur Rheinland-Pfalz hat den Auftrag, die energiepolitischen Ziele der Landesregierung zu unterstützen, um Klimaschutz und Energiewende im Land voranzutreiben und die Kommunen beim Klimaschutz aktiv zu unterstützen. Durch die Corona-Krise hat das Thema Klimaschutz an Präsenz eingebüßt. Ist dadurch das Erreichen der Klimaziele in Gefahr geraten?
Hauer: Die Themen Klimaschutz und Energiewende sind in den letzten Wochen etwas aus dem Fokus geraten, wenngleich inzwischen vermehrt über die Parallelitäten und ‚lessons learned' in Medien und der Öffentlichkeit diskutiert wird. Denn es gibt in der Tat einen direkten Zusammenhang zwischen Corona- und Klimakrise: Durch die Einschränkungen, die die Corona-Krise uns aufzwingt, gehen die Treibhausgas-Emissionen zurück. Eine aktuelle Abschätzung der „Agora Energiewende" zeigt, dass Deutschland, entgegen aller Erwartungen, seine Klimaziele 2020 erreichen wird und die Treibhausgasemissionen um 40-45 Prozent im Vergleich zu 1990 senken kann.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Hauer: Das liegt zu einem großen Teil daran, dass durch die Corona-Krise das Verkehrsaufkommen zurückgegangen ist. Viele Arbeitnehmer befinden sich im Homeoffice und sparen dadurch den Weg zur Arbeit. Zum anderen hat der Konjunktureinbruch die industrielle Nachfrage nach Strom und Erdgas verringert, was natürlich die Treibhausgas-Emissionen ebenfalls senkt, jedoch unsere Wirtschaftsleistung nachhaltig beeinträchtigt. Darüber hinaus war der Winter mild, sodass der Strom- und Energiebedarf geringer war als in durchschnittlich kälteren Wintern.
Dass das Klimaziel 2020 erreicht wird, ist doch eine gute Nachricht. Macht das nicht Mut?
Hauer: Ja, den Mut sollten wir grundsätzlich nicht verlieren. Allerdings sehe ich das Positive mitnichten in den vermiedenen Treibhausgasemissionen durch den Einbruch unserer Wirtschaft.
Was ist dann für Sie das Positive?
Nachhaltigkeit bedeutet für mich dabei auch, uns langfristig und regional unabhängiger von solchen Krisen wie der Corona-Pandemie zu machen.
Hauer: Mut macht vor allem die offensichtliche Fähigkeit unserer Gesellschaft, sich von heute auf morgen sehr konstruktiv und solidarisch für unser Gemeinwesen und unsere jeweiligen Nachbarn im eigenen Verhalten auf diese neue Situation einzustellen. Es zeigt mir – als jemand der Gott sei Dank nie einen Krieg und einen Wiederaufbau vor der eigenen Haustür miterleben musste – dass Solidarität, ein ‚füreinander einstehen' im Sinne des Allgemeinwohls auf breiter gesellschaftlicher Ebene möglich ist, wenn das konkrete Ziel und der Sinn dahinter verstanden sind. Das Erreichen der Klimaziele – zum Beispiel durch die erzwungene Vermeidung von Reisen, Flügen oder das Ermöglichen von ‚Homeoffice' in Unternehmen, die dies vor drei Monaten noch kategorisch abgelehnt haben, ist dabei vorerst nur ein ungeplanter positiver Nebeneffekt. Die entscheidenden Fragen aus meiner Sicht lauten daher: wie schaffen wir es, die Wirtschaftsprozesse wieder möglichst schnell zu reaktivieren und dabei unsere positiven Erfahrungen und Effekte aus der Krise im Sinne des Klimaschutzes weiter zu nutzen? Wie können wir diese Erfahrungen für einen nachhaltigen Ausbau der Wirtschaft einsetzen? Wie schaffen wir es, den Zielen und dem Sinn des Klimaschutzes in der Breite der Gesellschaft zur Glaubwürdigkeit zu verhelfen und die ideologischen Abwehrreflexe bei möglichst jedem Einzelnen von uns konstruktiv abzubauen? Nachhaltigkeit bedeutet für mich dabei auch, uns langfristig und regional unabhängiger von solchen Krisen wie der Corona-Pandemie zu machen.
Dazu treffend ein Zitat der Philosophen Richard David Precht in der ZEIT (Ausgabe vom 02.April 2020): „...Corona bedroht den eigenen Vater oder die eigene Großmutter, die Klimakatastrophe den Enkel. In der Corona-Krise setzt die Regierung konsequent das um, was die Experten aus der Wissenschaft sagen, beim Klima nimmt man es gelassen als nicht umsetzbare Empfehlung. Beim Corona ist der Notstand konkret und unmittelbar, beim Klima abstrakt und diffus....“
Das Zitat von Precht zeigt, dass die Gefahr, die vom Klimawandel ausgeht scheinbar noch nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist, oder?
Wenn es uns hingegen nicht gelingt die Klimakrise zu meistern, wird das existenzielle Auswirkungen für uns vor Ort und auf die ganze Menschheit haben.
Hauer: Richtig! Machen wir uns nichts vor: Die Corona-Krise – so schlimm sie sich momentan darstellt – ist eine Krise, die gelöst wird, wenn es ein Medikament beziehungsweise eine Impfung gegen das Virus gibt. Das wird in wenigen Monaten oder ein, zwei Jahren der Fall sein. Wenn es uns hingegen nicht gelingt die Klimakrise zu meistern, wird das existenzielle Auswirkungen für uns vor Ort und auf die ganze Menschheit haben. Über 99 Prozent der Wissenschaftler warnen schon seit längerem davor, dass, wenn die so genannten Kipppunkte überschritten werden, die katastrophalen Folgen des Klimawandels nicht mehr aufzuhalten sind. Deshalb ist es so wichtig, den Klimawandel, wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart, auf maximal zwei Grad Celsius, besser noch 1,5 Grad Celsius, zu begrenzen und einen noch größeren Fokus auf die Erreichung unserer Klimaziele zu legen.
Sie begreifen die Corona-Krise als Chance zu lernen. Wie meinen Sie das?
Hauer: Die Corona-Krise zeigt, wie Politik und Gesellschaft in einen engen konstruktiven Austausch mit der Wissenschaft treten können und wie die wissenschaftlichen Empfehlungen – im Corona-Fall die der Mediziner - auf offene Ohren stoßen. Daraus können wir praktisch für die Bekämpfung des Klimawandels lernen. Die in Windeseile beschlossenen Maßnahmen von Bund und Ländern sowie die geschnürten Hilfspakete zeigen, dass in Krisenzeiten entschlossenes und schnelles Handeln möglich ist und vor allem in der Gesellschaft breit akzeptiert wird. Wie die Pandemie erfordert auch die Klimakrise ein schnelles und konsequentes Handeln, um nichts Geringeres als die Zukunft der Menschheit zu sichern.
Wie können wir in der Klimakrise schnell und konsequent handeln?
Während gegen das Virus noch Medikamente entwickelt werden müssen, haben wir zur Lösung der Klimakrise bereits zahlreiche Instrumente zur Hand.
Hauer: Während gegen das Virus noch Medikamente entwickelt werden müssen, haben wir zur Lösung der Klimakrise bereits zahlreiche Instrumente zur Hand.
Was sind das für Instrumente, von denen Sie sprechen?
Hauer: Mit alternativen Mobilitätsformen, beispielsweise einem besseren ÖPNV, der Elektromobilität oder der Wasserstofftechnologie im Logistikbereich, können wir die Verkehrswende hinbekommen. Der Verkehrssektor verursacht heute immerhin rund 20 Prozent aller Treibhausgasemissionen in Deutschland. Ein weitestgehend klimaneutraler Energiebedarf ist durch die konsequente Nutzung erneuerbarer Energiepotenziale möglich. Allerdings müssen uns dann der weitere Ausbau vor allem von Windkraft und Photovoltaik, die Umsetzung der Sektorkopplung sowie der Ausbau der Stromnetze unter Nutzung von Speichertechnologien und gasgeführter Ausgleichskapazitäten gelingen. Vor allem auch dezentrale Maßnahmen, wie der Ausbau KWK (Kraft-Wärme-Kopplung) geführter Wärmenetze zur Versorgung von Altbauten oder das Auffangen des besonders schädlichen Klimagases Methan aus landwirtschaftlichen Güllelagern in kleinen Biogasinfrastrukturen helfen nachhaltig und stärken die lokale Wirtschafskraft auf viele Jahre.
Muss auch jetzt, in Zeiten von Corona, das Engagement für den Klimaschutz weitergehen?
Hauer: In der Tat muss es weitergehen. Wir dürfen in unseren Anstrengungen für Klimaschutz und Energiewende jetzt nicht nachlassen, denn der Klimawandel wartet auch nicht! Allerdings ist für unsere Partner, die Kommunen und Unternehmen im Land, die derzeitige Situation schwierig. Die Kommunen müssen all die Maßnahmen, die Bund und Länder in der Corona-Krise beschlossen haben, umsetzen. Dabei kommt so manche Kommune an ihre Belastungsgrenze. Die Gesundheitsämter der Städte und Landkreise arbeiten oft am Limit. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten nicht nur transparente Informationen, sondern auch, dass die heimische Wirtschaft pragmatisch unterstützt wird. Insbesondere für Selbständige, Freiberufler sowie kleine und mittelständische Unternehmen, bei denen Lieferketten und Absätze zusammengebrochen sind, ist es oft von existenzieller Bedeutung wie schnell die Mittel aus den verschiedenen Hilfspaketen bei ihnen ankommen.
Unsere Arbeit ist nicht so ‚systemrelevant' wie die Versorgung von Patienten und Senioren oder die Versorgung unserer Haushalte mit Lebensmitteln, Strom oder Wasser. Auch Krisenstäbe auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene arbeiten Tag und Nacht für unser Wohl. Den in diesen Bereichen tätigen Menschen sind wir mehr als zu Dank verpflichtet.
Abschließende Frage, Herr Hauer: Man sagt, dass Menschen an Krisen wachsen. Ist das Ihrer Meinung nach richtig und falls ja, weshalb?
Ich bin davon überzeugt, dass wir an dieser Krise wachsen, vorausgesetzt, dass wir uns eingehend mit der Krise und unserem Umgang mit ihr auseinandersetzen.
Hauer: Ich bin davon überzeugt, dass wir an dieser Krise wachsen, vorausgesetzt, dass wir uns eingehend mit der Krise und unserem Umgang mit ihr auseinandersetzen. Wir werden genau analysieren, welche Maßnahmen andere und wir in der Corona-Krise getroffen haben und wie diese – auch auf unser Verhalten – gewirkt haben.
Eines hat mir die Corona-Krise bereits jetzt gezeigt: Das Team der Energieagentur Rheinland-Pfalz ist durch diese Krise noch enger zusammengewachsen und treibt auch in diesen, für uns alle schwierigen Zeiten, Klimaschutz und Energiewende weiter mit viel Engagement, Kompetenz und Freude voran. Das macht mich stolz.
Das Interview führte die Energieagentur Rheinland-Pfalz.