Stahlindustrie muss für CO2-Ziele über 100 Milliarden Euro investieren
Die Stahlindustrie emittiert momentan rund 22 Prozent der industriellen CO2-Emissionen in der Europäischen Union. Technologische Umstellung sollte in den nächsten fünf bis zehn Jahren beginnen, um europäische Klimaziele bis 2050 einzuhalten. Die Finanzierbarkeit hängt aber ab von staatlicher Unterstützung.
18.05.2020
Die europäische Stahlindustrie ist unter Zugzwang: Im Augenblick ist das stahlproduzierende Gewerbe mit 22 Prozent der größte industrielle CO2-Emittent in Europa. Gleichzeitig hat die Europäische Union zur Erfüllung des Pariser Klimaabkommens beschlossen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Mit den derzeit angewandten Methoden zur Herstellung von Roheisen und Stahl, wird dieses Ziel verfehlt werden. Deshalb müssen die Unternehmen ihre Produktion auf eine neue, großflächig einsetzbare und vor allem klimaneutrale Technologie umstellen. Ein weiteres Problem: Die Zeit drängt. Denn es bleiben nur noch fünf bis zehn Jahre, um die technologische Neuausrichtung einzuleiten, die dann in 30 Jahren vollendet sein soll. Die neue Studie von Roland Berger „The future of steelmaking - How the European steel industry can achieve carbon neutrality“bewertet mögliche Technologien und zeigt auf, wie eine Transformation gelingen kann.
„Wenn die europäische Stahlindustrie die Klimaziele der EU erreichen soll, muss kräftig investiert werden. Wir rechnen mit rund 100 Milliarden Euro, um allein die Rohstahlproduktion aus Eisenerz auf Klimaneutralität umzustellen“, sagt Akio Ito, Partner von Roland Berger. Allerdings könnte selbst diese Summe zu niedrig angesetzt sein, da die weltweite Rohstahlproduktion wächst, bis 2050 mit einem Plus zwischen 30 bis 50 Prozent. „Wenn die Unternehmen die Investitionen alleine tragen müssen, werden sie den Stahl auf einem eh schon stark umkämpften Markt nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen anbieten können, sofern sie die Transformation überhaupt finanzieren können“, warnt Akio Ito.
Wasserstoffbasierte Verfahren technologisch weit fortgeschritten
Für die Stahlindustrie ist die Frage nach der richtigen technologischen Lösung für eine umfassende CO2-Reduktion noch nicht abschließend beantwortet. So könnte der CO2-Ausstoß durch eine Kombination von CO2-Speicherung und teilweisem Einsatz von Biomasse im Hochofen zwar reduziert, allerdings nicht auf null gesenkt werden. Andere Optionen wie die Plasma-Direktstahlerzeugung oder die elektrolytische Reduktionsverfahren befinden sich in einem sehr frühen Entwicklungsstand. Das bringt große Unsicherheiten für einen industriellen Einsatz mit sich. „Wir haben verschiedene Verfahren auf ihre technologische Verfügbarkeit, Realisierbarkeit in Großanlagen sowie die wirtschaftliche Tragfähigkeit hin untersucht“, sagt Bernhard Langefeld, Partner von Roland Berger. „Wasserstoffbasierte Direktreduktion ist unserer Ansicht nach am weitesten entwickelt und - sobald es denn genügend grüne Energie gibt - für das Klima am sinnvollsten.“
Allerdings sind wasserstoffbasierte Reduktionsverfahren zur Stahlerzeugung nicht von heute auf morgen einsetzbar. So benötigt die Wasserstofferzeugung sehr große Mengen an Energie. „Der Gesamtenergiebedarf für eine klimaneutrale Stahlproduktion beläuft sich auf circa 120 Terrawattstunden pro Jahr“, sagt Bernhard Langefeld. Zum Vergleich: Momentan ist die weltweit größte Anlage zur Wasserstoff-Elektrolyse in Hamburg geplant. Sie kann bei einer optimalen Laufleistung nicht ganz eine Terrawattstunde pro Jahr erzeugen.
Politische Unterstützung notwendig
Den Aufbau dieser Kapazitäten an Wasserstoffelektrolyse aus erneuerbaren Energien sowie entsprechender Direktreduktionsöfen kann die Stahlindustrie nicht umsetzen, ohne die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Endprodukte zu riskieren. Dabei ist der Anteil der europäischen Stahlproduktion am Weltmarkt bereits in den letzten Jahrzehnten deutlich gesunken. „Ohne eine politische Unterstützung ist es sehr wahrscheinlich, dass große Teile der Wertschöpfungskette aus Europa in Länder mit billiger Energie und weniger Regulierung verlagert werden“ warnt Akio Ito. Neben den zu befürchtenden negativen Konsequenzen für die europäische Stahlindustrie würde das bedeuten, dass die weltweite Stahlproduktion weiterhin sehr CO2-intensiv und damit klimaschädlich bliebe.
Die EU sollte also selbst aktiv werden und unter anderem sicherstellen, dass importierter Stahl und importierte Stahlprodukte in Zukunft die gleichen regulatorischen Anforderungen erfüllen wie inländische Produkte oder entsprechend besteuert werden. Außerdem müssen klare Rahmenbedingungen vereinbart werden, die die notwendigen Investitionen langfristig absichern. „Die EU oder die einzelnen Regierungen sollten zusätzlich notwendige Steuererleichterungen, Subventionen und Finanzierungen anbieten, um den Stahlproduzenten den Umstieg zu ermöglichen. Die finanziellen Folgen von Covid-19 können die Stahlunternehmen auf Jahre belasten, daher wären Konjunkturpakete für Grünen Stahl sinnvoll“, rät Akio Ito.
Die vollständige Studie können Sie hier herunterladen.