Klimawandel

Wie realistisch ist das 1,5-Grad-Ziel noch?

Das Deutsche Klima-Konsortium, zu dem auch das Max-Planck-Institut für Meteorologie zählt, hat in einem neuen Positionspapier Vorschläge zum weiteren Umgang mit dem viel diskutierten 1,5-Grad-Ziel formuliert. Dieses Ziel gelte zwar als nicht mehr erreichbar, solle jedoch weiterhin angestrebt werden.

14.11.2024

Wie realistisch ist das 1,5-Grad-Ziel noch?

Angesichts der verheerenden Wetterextreme der letzten Zeit – darunter Starkregen in Mitteleuropa und Spanien sowie Tropenstürme in den USA und auf den Philippinen – findet vom 11. bis 22. November 2024 die 29. Weltklimakonferenz (COP) in Baku, Aserbaidschan, statt. Die Europäische Union möchte dieses internationale Forum nutzen, um für ehrgeizige Klimaschutzpläne zu werben, die das sogenannte 1,5-Grad-Ziel unterstützen: die Begrenzung der globalen Erwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau.

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Ob das 1,5-Grad-Ziel noch realistisch ist, wird zunehmend infrage gestellt. So prognostizierte der europäische Klimadienst Copernicus kürzlich, dass das Jahr 2024 erstmals eine durchschnittliche globale Temperatur erreichen könnte, die das Niveau von 1850 bis 1900 um mehr als 1,5 Grad Celsius übersteigt. Auch wenn das 1,5-Grad-Ziel als 20-Jahres-Durchschnitt definiert ist, wird erwartet, dass diese Marke Anfang der 2030er-Jahre überschritten wird. 

Vor diesem Hintergrund hat das Deutsche Klima-Konsortium (DKK), zu dessen Mitgliedern auch das Max-Planck-Institut für Meteorologie gehört, Empfehlungen zur weiteren Handhabung des 1,5-Grad-Ziels formuliert. Ein entsprechendes Positionspapier, wurde auf der Website des DKK veröffentlicht. Das DKK vereint 27 Institutionen, die sich in Deutschland der Klima- und Klimafolgenforschung widmen.

In sechs zentralen Aussagen legt das Positionspapier dar, dass das erwartete Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels transparent kommuniziert werden sollte. Darüber hinaus beleuchten die Autorinnen und Autoren dessen physikalische und politische Relevanz, benennen Hürden auf dem Weg zum Ziel und verweisen auf die Formulierung der Pariser Klimaziele, die eine Begrenzung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad und verstärkte Bemühungen zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze vorsehen. Außerdem verlangt das Pariser Abkommen, das völkerrechtlich bindend ist, die Treibhausgasneutralität in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts und steht daher nicht zur Debatte.

Die wesentlichen Aussagen im Überblick

  1. Das voraussichtliche Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze sollte transparent kommuniziert und in politische Entscheidungen einbezogen werden. Laut dem sechsten IPCC-Sachstandsbericht wird der 20-Jahresdurchschnitt der globalen Erwärmung wahrscheinlich Anfang der 2030er Jahre über die 1,5-Grad-Marke hinausgehen. Maßnahmen zur Klimaanpassung sollten daher auf realistischen Temperaturprognosen basieren. Dennoch bleibt es entscheidend, weiterhin alle Anstrengungen gemäß den Vorgaben des Pariser Abkommens zu unternehmen, um den Temperaturanstieg zu begrenzen.

  2. Die 1,5-Grad-Marke ist keine eindeutige physikalische Schwelle für den Klimawandel. Es gibt keinen klaren Übergang von einem sicheren zu einem riskanten Klimazustand. Der Klimawandel verursacht bereits heute weltweit erhebliche und teilweise irreversible Schäden. Lokale Durchschnittstemperaturen können dabei stark vom globalen Durchschnitt abweichen und zeigen sowohl höhere als auch niedrigere Abweichungen.

  3. Mit jedem weiteren Anstieg der globalen Temperaturen verstärken sich auch extreme Wetterereignisse zunehmend. Der Weltklimarat IPCC hat in seinem Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel die Unterschiede in den erwarteten Klimafolgen zwischen einer Erwärmung von 1,5 Grad Celsius und zwei Grad Celsius analysiert. Dabei zeigt sich, dass bei zwei Grad Celsius erheblich mehr Schäden durch den Klimawandel zu erwarten sind als bei 1,5 Grad Celsius. Der sechste Sachstandsbericht des IPCC bestätigt zudem, dass jede weitere Erhöhung der Temperatur um ein halbes Grad Celsius die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen, Starkregen und Überschwemmungen deutlich verstärkt.

  4. Das Pariser Abkommen ist völkerrechtlich verbindlich und daher nicht verhandelbar. Es formuliert das Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu beschränken und konkretisiert dieses Ziel, indem es die 1,5-Grad-Grenze als Orientierung nennt. Artikel 2 hebt hervor, dass die „Bedrohung durch Klimaveränderungen“ reduziert werden soll, indem „der Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2°C über dem vorindustriellen Niveau gehalten wird und Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, da erkannt wurde, dass dies die Risiken und Auswirkungen der Klimaänderungen erheblich verringern würde“. Artikel 4 legt das Ziel der Treibhausgasneutralität fest und gibt einen zeitlichen Rahmen vor. Der Artikel führt aus, „so bald wie möglich den weltweiten Scheitelpunkt der Emissionen von Treibhausgasen zu erreichen [...], um in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken [...] herzustellen“. Durch das Pariser Abkommen, das von 195 Staaten und der EU ratifiziert wurde, wird somit politisch festgelegt, welche Formen des Klimawandels als gefährlich gelten und welche durch gezielte Maßnahmen verhindert werden sollten.

  5. Das Pariser Abkommen definiert für das Temperaturziel keinen exakten Zeitpunkt. Jedoch lässt der Wortlaut „deutlich unter 2°C...gehalten wird“ (Pariser Abkommen, Art. 2, Betonung hinzugefügt) erkennen, dass der globale Temperaturanstieg dauerhaft deutlich unter zwei Grad Celsius bleiben soll. In der Klimadiskussion entstand das Konzept des „Overshoot“, das ein vorübergehendes Überschreiten des 1,5-Grad-Ziels beschreibt. Selbst ein temporärer Anstieg über 1,5 Grad Celsius birgt jedoch die Gefahr irreversibler Schäden, wie etwa das Absterben von Korallenriffen, das Schmelzen von Gletschern, den Verlust von Biodiversität oder das Absterben des Amazonas-Regenwaldes.

  6. Vor allem soziale Faktoren wie Konsumverhalten und Unternehmensstrategien stehen der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels im Weg. Gesellschaftswissenschaftliche Erkenntnisse liefern wichtige Anhaltspunkte für politische Maßnahmen, die ein Umsteuern unterstützen könnten. Die bisher getroffenen politischen Entscheidungen reichen jedoch nicht aus, um die Klimaziele, insbesondere das Ziel einer umfassenden Dekarbonisierung, zu erreichen. Eine der größten Hürden bleibt die soziale Ungleichheit, die in vielen Regionen der Welt eine Dekarbonisierung bis 2050 erschwert. Dennoch gibt es positive Entwicklungen, die stärker betont werden sollten: Weltweit fließen heute nahezu doppelt so viele Investitionen in erneuerbare Energien wie in fossile Energiequellen, und die Kosten für Solarenergie sind in den letzten 20 Jahren um etwa 90 Prozent gesunken.
Quelle: UD/fo
 

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