Irina Detlefsen (HVB): „Verlust von Biodiversität wird unterschätzt“
Biodiversität ist ein wichtiges Thema. Darin besteht bei Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ein breiter Konsens. Doch bei der praktischen, täglichen Umsetzung gibt es viele Fragezeichen: Anders als bei Themen wie Emissionen oder Wasser gibt es hier nämlich keine akzeptierten Messinstrumente. Die beiden Finanzorganisationen UNEP-FI sowie VfU haben sich daher für ihre Branche mit dem Thema auseinander gesetzt. UmweltDialog sprach mit Irina Detlefsen von der HypoVereinsbank über Ergebnisse und Erkenntnisse der Tagung.
21.08.2009
Sehr geehrte Frau Detlefsen, in diesem Jahr stand der VfU/UNEP-FI Roundtable unter dem Thema „Finanzbranche und Biodiversität“. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Inputs & Erkenntnisse?
Irina Detlefsen: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass noch immer relative Unklarheit über die Relevanz herrscht, und dass es an konkreten Methoden und Vorgehensweisen fehlt. Vielen Geldinstituten ist auch noch nicht klar, wie man sich dem Thema Biodiversität im Tagesgeschäft nähern soll.
Was bedeutet das für die Arbeit im Alltag?
Detlefsen: Momentan fühlen sich viele Institute sehr unsicher. Was macht ein Mitarbeiter, wenn er einen konkreten Kreditantrag vor sich liegen hat und bis zur Entscheidung nur ein paar Tage Zeit bleiben? An welchen Empfehlungen, Richtlinien oder Indikatoren kann er sich dann orientieren? Bei Projektfinanzierungen ist das wesentlich einfacher, weil man mehrere Monate Zeit hat. Auch das Anlagegeschäft ist planbarer: Da kann ein Institut Positiv- und Negativkriterien festlegen, die dann entsprechend umgesetzt werden.
Wo sehen Sie als Bankhaus also Schalthebel und Umsetzungsmöglichkeiten?
Detlefsen: Für uns Banken ist das überall ein Thema: Angefangen auf der Aktivseite bei der Finanzierung. Die Industriesektoren sind unterschiedlich stark betroffen. Im Einzelfall ist immer eine Analyse und Bewertung der spezifischen Risiken notwendig. Beispielsweise spielen Biodiversitätsrisiken in der Forst- und Landwirtschaft eine wesentlich größere Rolle als in der Telekommunikationsbranche. In jedem Fall ist zu prüfen, ob diese Risiken - u.a. rechtliche Risiken, Ressourcenverknappung, Reputionsrisiken - auch zu einem Risiko für die geldgebende Bank werden können. Das richtige und rechtzeitige Managen von Biodiversitätsthemen beinhaltet aber auch Geschäftschancen. Banken bietet sich die Möglichkeit als Dienstleister ihre Kunden zu beraten und entsprechende Produkte anzubieten. Auf der Passiv-Seite, also dem Anlagengeschäft, gibt es noch nicht sehr viele Angebote. Hier besteht Handlungsbedarf, doch müssen wir erst einmal steigendes Kundeninteresse abwarten. Der dritte Bereich schließlich sind die eigenen Corporate Citizenship-Aktivitäten einer Bank, wo Biodiversität auch eine Rolle spielen sollte.
Anders als beim Thema Klimawandel gelingt es hier den Akteuren also nicht, die Bedeutung von Biodiversität aufzuzeigen. Jetzt hofft man auf die TEEB-Studie des Ökonomen Pavan Sukhdev. Teilen Sie die Erwartungen?
Detlefsen: Viele hoffen auf diese Studie, aber ich bin mir unsicher, ob das ausreichen wird: Noch ist es bei uns schön, die Bäume sind grün, und daher erkennen viele Leute gar nicht die tiefere Bedeutung des Verlustes von Biodiversität. Fakt ist trotzdem: Biodiversität birgt neue Risiken in sich, die man noch nicht genau abschätzen kann und deshalb auch nicht genau weiß, wie man diese steuern kann. Das Thema bietet aber auch Chancen, um neue Geschäftsfelder aufzubauen und sich darauf zu spezialisieren. Die Sukhdev-Studie kann genau diese volkswirtschaftlichen Fakten liefern. Das wiederum ist wichtig, um der Wirtschaft einen Impuls zu geben. Die Wirtschaft wird nämlich letztendlich nur dann handeln, wenn sie die unmittelbare Relevanz erkennt. Schauen Sie zurück in die Jahre 2006 und 2007: Damals wurden neben dem volkswirtschaftlichen Stern-Report auch die wissenschaftlichen Berichte des UN-Weltklimarates IPCC beinahe zeitgleich publiziert. Hinzu kamen der Oskar-prämierte Film von Al Gore "An Inconvinient Truth" in die Kinos sowie einige Wetterextreme, die den Klimawandel veranschaulichten. Mit diesem Zusammenkommen der Ereignisse war damals für viele Menschen und nicht zuletzt auch die Medien nachvollziehbar, dass hier etwas passiert.
Ist das der Fluch der Biodiversitätsdebatte? Dass es an spektakulären Ereignissen wie einem Hurrikan fehlt?
Detlefsen: Es ist noch schlimmer: Es verschwinden Arten, von denen wir nicht einmal wussten, dass es sie gab. Wenn interessiert schon irgendein Nacktmulch oder eine Milbe? Diese Arten sind aber für bestimmte Ökosysteme relevant. Dadurch können ganze Ökosystemketten zusammenbrechen, weil ein wichtiges Bindeglied fehlt. Uns fehlt schlicht das Abstraktionsvermögen, um uns vorzustellen, was passiert, wenn manche Arten nicht mehr da sind und somit bestimmte Ökosystemdienstleistungen nicht mehr erbracht werden. Man hat es hier also mit systemischen Risiken zu tun, welche sich nur extrem schwer kalkulieren und bewerten lassen.
Manche kritisieren, dass die Kommerzialisierung aller Lebensräume und damit - salopp gesagt - ein Preisschild an jede Tier- und Pflanzenart zu hängen, dem Thema nicht gerecht wird.
Detlefsen: Stimmt. Das kann man nicht in Euro und Cent ausdrücken. Manche Arten haben ja zusätzlich eine kulturelle oder religiöse Bedeutung. Wie soll das monetär bewertet werden?
Schauen wir in die Bankenpraxis: „Biodiversity Offsets“ gelten als Weg, das Thema in die Finanzwelt einzubinden. Können Sie uns erläutern, was das heißt und ob es auch für die HypoVereinsbank relevant ist?
Detlefsen: Nein, das ist für uns noch nicht relevant. Offset-Projekte, also Kompensationsmaßnahmen bei Bauprojekten etwa, sind noch keine erprobte Praxis und sind nicht zuletzt wissenschaftlich sehr umstritten. Offene Fragen sind nämlich: Schafft man etwa mit einem Ausgleich wirklich Vergleichbares, und hat es an anderen Stelle überhaupt den gleichen Effekt? Bei einer Wiederaufforstungsmaßnahme müssen sie zudem klären, wie lange die Bäume dort stehen bleiben dürfen. All das muss überwacht werden, damit es ernsthaft und glaubwürdig erfolgt.
Bisher gibt es keine nennenswerten Themenfonds zu Biodiversität wie sie etwa bei Klima oder Wasser existieren. Lässt sich das nicht darstellen, oder ist das nicht der richtige Weg?
Detlefsen: Die gibt es deshalb nicht, weil die Indikatoren fehlen. Bei Wasser kann man je Liter Frischwasser Berechnungen anstellen, und beim Klimawandel hat man sich auf die „Währung“ CO2 geeinigt. Bei Biodiversität hat man so einen Kernindikator nicht, und es gibt erhebliche Schwierigkeiten auf dem Weg, diesen zu entwickeln. Eines Tages wird man sich aber darauf verständigen, weil es einfach eine bittere Notwendigkeit ist.
Was kann und muss hier der Gesetzgeber tun?
Detlefsen: Von staatlicher Seite könnte ganz konkret sehr viel mehr getan werden! So müsste etwa der öffentliche Sektor selbst mit Vorbild vorangehen - sei es beim Thema Beschaffung oder beim Thema Pensionsfonds.
Vielen Dank für das Gespräch!
Irina Detlefsen ist Abteilungsdirektorin im Bereich Corporate Sustainability bei der HypoVereinsbank.