Freizeit

Tourismus in Krisenstaaten - Im Gespräch mit Roger Willemsen

Als Autor und Journalist hat Roger Willemsen die halbe Welt bereist. Dabei trifft er auf Gastfreundschaft und Großherzigkeit, muss sich aber auch häufig der Frage stellen, ob er mit seiner Anwesenheit tatsächlich die Menschen oder das herrschende Regime unterstützt. Im Interview mit dem "Enter-Magazin" spricht der Weltenbummler darüber, wie man auch in Diktaturen Tourismus betreiben kann, die „Scheißliberalität“ mancher Mitbürger und die doppelte Moral beim Umgang mit Menschenrechtsverletzungen und Zwangsregimen.

17.06.2011

Foto: qnibert00/flickr.com
Foto: qnibert00/flickr.com

Es gibt unterschiedliche Wege, ein Land kennenzulernen. Mit welcher Haltung nähern Sie sich fremden Ländern und Menschen?

Meine Herangehensform ist insofern keine touristische, da ich nicht punktuelle Bodenberührungen suche, bei denen ich Trophäen in Form von Schnappschüssen mitbringen kann, sondern ich versuche, eher zu verschwinden, unter den Radarschirm der allgemeinen Wahrnehmung zu gelangen. Ich beobachte, was den Ort immer auszeichnet, auch ohne dass ich da bin, ohne dass mein Blick verändert, was es zu sehen gibt. Das ist natürlich eine Illusion, aber den Versuch kann man unternehmen. Insofern ist es weit mehr das Unscheinbare, das meine Aufmerksamkeit bindet, und meine Reiseziele sind eher ein Duft, eine Umarmung, eine Situation oder ein Konflikt, irgendetwas, das mir wirklich erscheint.

Als Autor befinden Sie sich beim Reisen in einer Sonderrolle. Wie sieht es mit dem ganz normalen Reisenden aus? Darf der heute nach Syrien reisen oder nach China?

Das ist eine zweischneidige Sache. Zuerst einmal gibt es die Regel, dass man sich überlegen muss, ob man primär das politische Regime damit stützt oder ob man den Leuten dient, die man mit der Großherzigkeit des Interesses beschenkt. Wenn ich diese Frage geklärt habe, kann ich sagen, ja ich reise nach Burma, auch wenn ich weiß, wie die politischen Verhältnisse sind. Aber ich habe da die Möglichkeit, mit Menschen zu reden, ihre Lebensbedingungen kennenzulernen. Diese Diskussion ist meistens bigott, weil sie beispielsweise die USA nicht treffen. Warum reise ich in die USA, die die Todesstrafe vollstrecken, ein Guantanamo unterhalten oder einen Irakkrieg unter manipulierten Voraussetzungen beginnen. Das ist eine merkwürdige Unterscheidung, die meist partikulare Zwergregime trifft, die wir Diktaturen nennen. Das kommt ja relativ unvorbereitet nach Jahrzehnten des Zusammenarbeitens. Man muss die doppelte Moral, die mit diesen Anweisungen verbunden ist, immer mitdenken.

Und man muss sich immer die Praxis des Touristen angucken. Ein Tourist, der ins Land kommt und nicht bereit ist, einen bestimmten Teil seines Geldes für die Bevölkerung aufzuwenden, der nicht bereit ist, eine gewisse Form von Großherzigkeit an den Tag zu legen, der in Konkurrenz zu allen anderen Touristen so reist, als ginge es darum, wer am billigsten reist, der ist deplatziert in diesem Land. Vor allem in dem Land, das Gastfreundschaft und Mitmenschlichkeit auf eine viel profundere Art definiert, als wir das tun.

Sie haben einmal davon gesprochen, dass man manchmal aufhören müsse, so „scheißliberal“ zu sein. Wo ist Ihnen so eine Situation begegnet?

Als ich in Minsk war, fühlte ich, wie attrappenartig diese Stadt ist - auch weil es eine Diktatur ist und weil die Leute verängstigt sind und niemand einem die Wahrheit sagt. Die Stadt ist irgendwann so unwirklich, dass ich denke: ‚Ich gehe jetzt in dieses Gebäude rein und gehe solange weiter, bis mich jemand aufhält.‘ Und wenn dich jemand aufhält, dann ist eine Situation da. Das „Scheißliberale“ bezieht sich, glaube ich, eher auf meinen eigenen Kulturraum, in dem diese Ausgewogenheit, diese Feigheit im Umgang mit Meinungen mir manchmal klaustrophobisch vorkommt.

Können solche Erregungen auch entstehen, wenn man Fernsehbilder sieht, wie ein Gaddafi seine Leute zusammenschießen lässt?

Bei der Frage, was Gaddafi betrifft, bin ich zurückhaltend, weil ich die Situation in Libyen viel schlechter kenne. Aber es gibt natürlich eine ganze Reihe von Räumen, in denen ich mich gut auskenne. Der Erste wäre Afghanistan, und natürlich kann ich unmöglich durch Afghanistan reisen und ohne Empathie zurückkommen. Dann fange ich an, mich zu engagieren, zum Beispiel indem ich Schirmherr des Afghanischen Frauen Vereins geworden bin. Und ich mache mich sachkundig. Dann beginnt eine Reibung zu jenen, die in Talkshows sitzen und Kriegsrhetorik pflegen, die keinen Schimmer haben - inklusive unserem Entwicklungshilfeminister, der ein Verbot aufstellt, überhaupt mit den Taliban zu reden, selbst aber weder weiß, was ein Taliban ist, noch je einen getroffen hat, noch verhindern kann, dass eine Lösung in Afghanistan nur denkbar ist, indem man bereit ist, auch mit den Taliban zu sprechen. Also dieses Dilettieren auf machtpolitischem Niveau und gleichzeitig dieses sich starkmachen für militärische Lösungen ohne die geringste detailscharfe Kenntnis, von dem, was an einem Ort politische Wirklichkeit ist.

Quelle: UD / pm
 

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