Das Pestizid von nebenan
Es mag auf den ersten Blick nicht zusammen passen: Während der Lebensmittelmarkt einerseits von Unternehmenskonzentration und starken Globalisierungseffekten geprägt ist, entwickelt sich andererseits – zumindest in Deutschland – der Griff zu regionalen Lebensmitteln zu einem Trend. Motivationen können dabei vielfältig aussehen, wie Umfragen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) oder der Stiftung Warentest (StiWa) herausgefunden haben. Viele Verbraucher greifen zu Produkten aus der Umgebung, weil sie die Wertschöpfung in der Region stärken wollen. Für andere ist es eine Vertrauensfrage, zu wissen, woher ihr Obst und Gemüse stammt. Nachhaltiger Umwelt- bzw. Klimaschutz sind ebenfalls oft genannte Beweggründe.
30.09.2015
Ein Ergebnis dieser „beispiellosen Renaissance des Regionalen“, so die ehemalige Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner im Januar 2013 auf der Internationalen Grünen Woche (IGW), ist das Regionalfenster. Es enthält Angaben über die Herkunft wichtiger Zutaten, über den Verarbeitungs- bzw. den Abpackungsort und Informationen über die Gesamtsumme aller regionalen Rohstoffe in Prozent. Doch genau hierin liegt auch ein Problem, das Kritiker des jungen Siegels umtreibt. Wenn die Prozentangabe regionaler Bestandteile nicht bei 100 Prozent liegt, bleibt Raum für Zutaten, die nicht regionalen Kriterien unterliegen.
Ein weiteres Manko, unter dem das Regionalfenster leidet, ist die sich nur zögerlich entwickelnde Akzeptanz bei Verbrauchern. So ergab die StiWa-Studie, dass sich gerade einmal acht Prozent auf ihrer Suche nach regionalen Produkten an Logos orientieren würden. Ein Verhalten, das in Anbetracht der vielen unterschiedlichen Regionalsiegel, nachvollziehbar erscheint: bereits vor Einführung des Regionalfensters gab es ein EU-Siegel für geschützte Spezialitäten, Gütezeichen der Bundesländer, Logos der Regionalmarken von Handelsketten und mehr. Die vielen Label erzeugen Verwirrung. 72 Prozent der Befragten setzen lieber auf die Vertrauenswürdigkeit von Herstellern.
Vertrauen setzt eine gewisse Beziehung zwischen Kundschaft und Herstellern bzw. Händlern voraus. Mit Werten wie Transparenz sowie Hersteller- und Verbrauchernähe sind in ihrer Tradition besonders die Unternehmen der Naturkostbranche verbunden. Ein gutes Beispiel ist die Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft (EVG) Landwege. „Die ökologische Lebensmittelwirtschaft hat sich aus regionalen Netzwerken heraus entwickelt und über Jahrzehnte authentische Beziehungen aufgebaut.“, erklärt der Landwege-Geschäftsführer Klaus Lorenzen. „Unsere besondere Geschäftsform ist ein Resultat dieser engen Partnerschaften. Aber von der Branche gehen immer wieder innovative Impulse aus, die zugleich der Tatsache Rechnung tragen, dass Regionalität ohne eine ökologische Grundausrichtung nicht automatisch Nachhaltigkeit bedeutet“.
Alles nachhaltig?
Viele Naturkosteinzelhändler pflegen enge Partnerschaften zu Bauern und Herstellern. Aber auch auf Großhandelsebene gibt es gute Beispiele, eines sind die Regionalen. Ein bundesweites Netzwerk von umgebungsbezogen agierenden Bio-Großhändlern, die neben transparenten Herkunftsangaben auch ihre Lieferlogistik regional gestalten. „Der größte Beitrag der Naturkostbranche“, ergänzt Klaus Lorenzen, der zugleich im Kuratorium des Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) e.V. engagiert ist, „liegt in seiner grundlegenden Ausrichtung Lebensmittel nach den Spielregeln der Natur zu produzieren“.
Die fehlende Verbindung zwischen Regionalität und umfassender Nachhaltigkeit wird offensichtlich, wenn man sich vorstellt, die Gemüsebeete und Getreidefelder, von den unsere Lebensmittel stammen, lägen in der eigenen Nachbarschaft. Die entscheidende Frage, die aufkommen sollte – egal ob die Motivation Gesundheit, Umweltschutz oder Wertschöpfung ist – lautet: Nach welcher Methode wird hier angebaut? Lebensmittel und ihre Zutaten können zwar aus der Region stammen, das sagt jedoch nichts aus über die Art ihrer Produktion, beispielsweise über den Einsatz von Pflanzen- und Insektengiften.
Das Pestizid Aktions-Netzwerk, der PAN Germany e.V., hat bereits 2012 eine global angelegte Studie „Pestizide und Gesundheitsgefahren. Daten und Fakten“ herausgebracht. Ergebnis: „Mangelhafte Dokumentation, hohe Dunkelziffern und dringender Handlungsbedarf“. Die Erkenntnisse der Studie beruhen auf der Auswertung von Daten über Rückstände in Lebensmitteln sowie in Grund- und Trinkwasser. Aktuell legte PAN eine Publikation nach, die sich mit dem Thema Abdrift, also der Verbreitung des Gift-Sprühnebels auf aneinander angrenzende Felder, beschäftigt. „Kopfschmerzen, Übelkeit und Taubheit, vergiftete Wildtiere oder Haustiere, …die nach einem Abdrift-Fall qualvoll sterben, … Spielgeräte von Kindern, eingehüllt in eine Wolke aus Pestiziden“ – sind nur einige der erschreckenden Meldungen, die das Netzwerk alarmiert hatten.
Bio und regional
Nicht das Pestizid von nebenan auf dem Teller wiederzufinden, aber eben auch nicht solche von weiter weg, ist Ziel und Arbeitsweise der ökologischen Lebensmittelwirtschaft. Anbau-, Hersteller- und Handelsverbände befolgen freiwillig Standards, die weit über gesetzliche Bestimmungen hinausgehen. Der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden ist strikt verboten. Darüber hinaus stützen Unternehmen und Verbände der Biobranche Initiativen und Kampagnen, sei es zur Sensibilisierung von Verbraucherinnen und Verbrauchern oder um direkte Appelle an die Politik zu richten. So beteiligen sich bereits Organisationen aus über 100 Ländern, darunter auch der Branchenverband von Klaus Lorenzen, an einem "Aufruf für ein Verbot hochgefährlicher Pestizide", den das Pestizid Aktions-Netzwerk gestartet hat.
Dass dieses vernetzte Vorgehen notwendig und sinnvoll ist, zeigt eine Erkenntnis der 2012er-Studie. „Weltweit sind vermutlich alle Bevölkerungsgruppen einer Belastung mit Pestiziden ausgesetzt“, heißt es dort. Landwirtschaft findet eben nicht unter der Glasglocke statt und in unserer Umwelt ist ein jeder Nachbar des Nächsten.