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Besser als Fairtrade ist die Fair-Chain

„Arbeit ist das halbe Leben“, „Arbeit macht das Leben süß“, „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, „Ora et labora“: Es gibt so viele schlaue Sprüche über das Arbeiten und mindestens genauso viele gegen die Faulheit, doch traurig muss man feststellen, dass in unserer Welt Arbeit nicht gleich Arbeit ist.

30.06.2022

Besser als Fairtrade ist die Fair-Chain

Wir alle schaffen mit unserer Beschäftigung Wert und zählen so zu etwas Größerem dazu. Jeder Beitrag wird einem Nächststehenden in die eine Hand gegeben. Die andere Hand gibt uns dafür etwas zurück – im Idealfall. Internationaler Handel, Kommunikationsprobleme, rechtliche Lücken und die Spuren des Kolonialismus bringen Knoten in diese Kette. Was, wenn im Wertschöpfungsablauf des Arbeitens und Schaffens nie die Hinteren angesehen werden und aus der zurückgebenden Hand der Lohn herausfällt?

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Eine Tasse Klasse für die Masse – das war einmal

Die Deutschen halten viel von ihrer Arbeit und generellen Geschäftigkeit. Gerne identifizieren sie sich mit fleißigen Arbeitsbienen, die mehr hasten als rasten. Aus dem Stolz über das eigene Abrackern folgt oft ein missgünstiges Diskreditieren der Arbeit anderer. Schreibtischhüter versus Kfz-Versteher, Kommunikations-Knobler gegen Schraub-Chirurgen, von internationalen Vorurteilen ganz zu schweigen. Wovon die einen zu wenig haben, haben andere zu viel, aber beides tut nicht gut und eigentlich versteht man nur sich selbst. Was hilft in der ganzen Aufregung, im tagtäglichen Berufsalltag, in Pausen wie in Konzentrationsphasen? Eine Tasse Kaffee. 

Das genießen wir alle. Wir trinken Kaffee, egal wo wir sind und was wir tun: Ob zur Belohnung oder Beruhigung; vor, während oder nach dem Essen; ob gemahlen oder ganz, gefiltert oder gepresst. Kaffee verbindet Menschen vor Ort und Gesellschaftsgruppen über Grenzen hinweg. Doch das Produkt hat längst nicht mehr Klasse für die Masse. Und ist den ganzen Kaffeeliebhabenden eigentlich klar, wie wahnsinnig viel Arbeit hinter jedem Tässchen steckt? Wir werfen einen tieferen Blick in die Herstellung der Aromabohnen.

Supermarktkaffee hat mit Genuss nichts zu tun

Seit Jahren passte sich Kaffee der Schnelllebigkeit unserer durchökonomisierten Welt an. Er soll uns beschleunigen und wurde dafür selbst beschleunigt. Dabei ist er eigentlich ein langsames Produkt, dass mit seinem Genuss auf sich warten lässt. „Üblicherweise dauern Anbau, Ernte und Verarbeitung neun bis zehn Monate. Erst dann verlassen die Bohnen die Anbauländer und werden zu 99 Prozent nach Europa verschifft.“ erklärt Marcel Lorenz, Gründer des Unternehmens Coffee Annan. Im nächsten Schritt braucht es wieder Geduld: „Um einen balancierten Kaffee zu entwickeln, muss dieser schonend geröstet werden. Eine geringe Temperatur (etwa 200 Grad Celsius) muss über einen längeren Zeitraum (zwölf bis 20 Minuten) gehalten werden. Bei industriell geröstetem Kaffee, also Supermarktkaffee, geht es immer um Produktivität. Das heißt, möglichst viel Kaffee in möglichst kurzer Zeit zu rösten. Das Ergebnis sind Kaffees ohne nennenswerte Struktur, die verbrannt oder bitter schmecken.“

Wissen Sie, wie ein guter Kaffee wirklich schmecken sollte?

Damit wir produktiver werden, musste die Kaffeeindustrie es auch. Es kann gut sein, dass all diejenigen, die sich als leidenschaftliche Kaffeetrinkende bezeichnen, jedoch ihren Kaffee stets in den bekannten Supermärkten und Discountern kaufen, noch nie einen wirklich guten Kaffee getrunken haben. Trotz 168 Litern Kaffee pro Kopf in Deutschland wissen die meisten nicht, wie er wirklich schmecken sollte. Eine bedauerliche Entwicklung. Damit einhergeht, dass der Preis für das Endprodukt unvertretbar niedrig ist. Vor allem beim Favoriten, der 500-Gramm-Vakuumverpackung, sorgte die hohe Nachfrage zum geringen Preis dafür, dass per se nicht viel Aufwand in die Röstung bzw. Veredlung der Bohnen investiert werden kann.

Gleiches Geld für gleiche Arbeit? – Kolonialistische Zustände im 21. Jahrhundert

Doch auch am Anfang der mittlerweile üblichen Wertschöpfungskette sind die Kosten gering. Die Arbeitenden, Familien und sogar Kinder, die auf den Plantagen die Kaffeekirschen pflücken und erlesen, bekommen teilweise einen so geringen Lohn, dass er rund 25 Prozent unter der Existenzsicherung ihres jeweiligen Landes liegt. Wenn dann eine Packung Kaffee im deutschen Supermarkt für sieben bis acht Euro verkauft wird, machen deutsche Exporteure ein Plus von über hundert Prozent. In den Äquatorialländern des sogenannten Kaffeegürtels, allen voran Brasilien, findet die härteste Arbeit im Herstellungsprozess statt. Gleichzeitig ist die Bezahlung der Angestellten dort am geringsten. So viel zum Thema „Arbeit macht das Leben süß.“ – eine derartige Lage in Europa wäre unvorstellbar.

Erst bei der Röstung kassieren Herstellende richtig – und die findet in den allermeisten Fällen nicht im Ursprungsland statt. Ein Grund dafür, dass die Bohnen erst im Verbraucherland veredelt werden, liegt an den Einfuhrzöllen. Gerösteter Kaffee muss versteuert werden, Rohkaffee hingegen nicht. Ist das nun wirtschaftlicher Protektionismus oder moderner Kolonialismus? Innerhalb der Wertschöpfungskette von Kaffee hat eine Verschiebung stattgefunden, die bei tagtäglichen hart arbeitenden Menschen zu Nachteilen führt. Und bei der Qualität: Letztendlich leidet der Geschmack darunter, der bitter und verbrannt wirkt.

Der Kaffeemarkt kennt keine Mitte

Ein Gegentrend zum Schnellschlürfen und günstig-Kaufen lässt sich in Café-Boutiquen und im elitären Konsumverhalten beobachten. Die Baristi kleiner Cafés in großen Städten unterhalten sich über Aromabilder und Bohnenqualitäten, zeichnen Latte-Art und bringen Ruhe in den Alltag ihrer Gäste. Andere Liebhabende haben sich das Kaffeeparadies nach Hause geholt. Maschinen im Wert von tausenden Euro, gefüllt mit Espressobohnen à 35 Euro pro Kilo ersetzen das ehemalige Statussymbol „Auto“ mit ernstem Kaffeegenuss in deutschen Haushalten. Es ist ein Markt ohne Mitte.
Auch gilt dies für Fairtrade-Siegel. Diese bieten kein Abbild der Realität, wie vermehrt festgestellt wurde. Denn ein systematisches Problem lässt sich nur mit Umstrukturierung lösen, nicht, indem Geld darauf geschüttet wird. So handelt es sich bei Fairtrade-Produkten oftmals nur um wenige Cent mehr pro Tasse Kaffee, die im Anbauland ankommen. Es bleibt zu beobachten, inwiefern das Lieferkettengesetz nun zu fairer Produktion beiträgt.

Besser als Fairtrade ist die Fair-Chain

Darauf wollte Marcel Lorenz nicht warten. Der Name seiner Firma ist Statement und Maßstab zugleich. Humorvoll angelehnt an den ehemaligen UN-Präsidenten und Nobelpreisträger für seinen Einsatz „für eine besser organisierte und friedlichere Welt“ hat der junge Geschäftsführer in diesem Sinne ein gerechtes Kaffeeunternehmen aufgebaut. Was macht er bei Coffee Annan anders? Er hat Fairtrade konsequent weitergedacht. Anstatt ein auf kolonialistischen Raubbau aufbauendes System mit finanziellen Mitteln etwas zu verschönern, hat er die Wertschöpfungskette wieder entknotet und geradegebogen. Bei Coffee Annan wird der Kaffee direkt im Anbauland veredelt. Die Bohnen, die die Mitarbeitenden auf den äthiopischen Plantagen ernten, rösten sie im Anschluss auch dort. Erst dann wird der Kaffee nach Deutschland gebracht. 

Damit bleibt nicht nur mehr Geld im Erzeugerland, sondern auch die Wertschöpfung, Know-how und Arbeitsplätze. Es ist eine Fair-Chain. „Wir besuchen die Farmen, von denen wir unsere Kaffees beziehen. Wir verfolgen dabei ein Direkthandelsmodell. Das bedeutet, Gelder kommen direkt bei den Bauerngewerkschaften an ohne unnötige Mittelmänner. Unser Kontakt in den jeweiligen Ländern ist der Röster. Mit den Röstern stehen wir wöchentlich im Kontakt. Sie arbeiten eng mit den Bauern zusammen und stehen fast im täglichen Austausch, um die einzelnen Prozessschritt zu verfolgen und zu verbessern.“ In den Ländern, in denen die Früchte für unsere liebsten Luxusgüter wachsen, muss auch der Wert und die Qualität verankert sein. Viele Bäuerinnen und Bauern haben nie einen fertigen Kaffee oder auch ein Stück Schokolade probiert, da die Rohfrüchte ungenießbar sind und nach dem Abtransport erst zum Genussmittel werden. Durch Direkthandel und Fair-Chains können in diesen Gebieten faire, wirtschaftlich-starke Unternehmen entstehen, die gleichermaßen Qualität, Erfahrung und Kenntnis hervorbringen.

Gerade Linien in einer entknoteten Wertschöpfungskette

Für die Kaffeeliebhabenden ergeben sich weitere Vorteile. Dadurch, dass bisher ein so großer Sprung auf der Landkarte zwischen dem Rohkaffee und dem Röstkaffee gemacht wurde, ließen sich Produktionsschritte schlecht nachvollziehen. Wie kommt der deutlich höhere Endpreis zustande? Wann wurde geröstet? Wie beeinflusst der schwankende Weltmarkt für Rohkaffee den Prozess? Mit der Bepreisung von Endprodukten vor Ort, zusammen mit dem Lieferkettengesetz, wird das für Produzierende und Konsumierende stabiler und transparenter.

So schmeckt Kaffee wirklich gut

Das Fazit kommt von Marcel Lorenz: „Wer also hochqualitativen Kaffee kauft, macht schon sehr viel richtig, da diese Kaffees oftmals direkt gehandelt wurden. Aber wer richtig guten Kaffee trinken möchte, kauft frisch vom Röster. Gute Röster kennen ihre Produkte, haben oftmals selbst Beziehungen zu den Bauern und können erklären, wie der Kaffee richtig zubereitet wird. Neben der Qualität spielt das ethische Sourcing eine tragende Rolle. Wenn man Kaffees kauft, die auch im Erzeugerland geröstet wurden, trägt man auch als Konsument direkt dazu bei, die Wirtschaft der Kaffeeanbauländer zu fördern.“

Ein Produkt, was uns so wichtig ist, darf ruhig diese Ansprüche stellen. Wer seinen Kaffee liebt, der verschiebt – und zwar die Wertschöpfungskette. Denn wie sehr kann man die Tasse Kaffee auf der Arbeit wirklich genießen, wenn man weiß, wie unfair andere dafür arbeiten mussten?

Einen kleinen Tipp gab uns der Gründer von Coffee Annan noch auf den Weg: „Beim Kauf von Kaffee sollte man auch unbedingt auf das Röstdatum achten. Hier gilt es, ihn nicht sofort nach der Röstung zu genießen. Üblicherweise braucht er sieben bis 21 Tage, je nach Röstgrad, bis er sein Aromaprofil voll entwickelt hat.“ Wir warten gerne.

Quelle: UD/cp
 

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