Heizen und Kühlen mit künstlichen Muskeln
Er kann Raumluft und Flüssiges nach Bedarf kühlen oder erwärmen: Der Prototyp, den ein Forscherteam von der Universität des Saarlandes entwickelt hat, transportiert Wärme mit „Muskeln“ aus Nickel-Titan. Auf der Hannover Messe vom 1. bis 5. April werden die Wissenschaftler ihre Technologie am saarländischen Forschungsstand (Halle 2, Stand B 46) präsentieren.
27.03.2019
Dieses Formgedächtnismaterial, auch künstlicher Muskel genannt, gibt Wärme ab, wenn es im sogenannten superelastischen Zustand gezogen wird, und nimmt sie auf, wenn es entlastet wird. Den Effekt nutzen die Forscher für ihre umweltfreundliche Kühl- und Heiztechnik, die bereits doppelt bis dreifach so effizient ist wie übliche Heiz- und Kühlgeräte. Die EU-Kommission und das US Department of Energy bewerteten das Verfahren als zukunftsträchtigste Alternative zur etablierten Kältekompressionstechnologie.
Der Prototyp, den die Ingenieurinnen und Ingenieure der Universität des Saarlandes entwickelt haben, transportiert Wärme, und zwar mit einer völlig neuen Methode, die ohne die Nachteile der bisher üblichen Arten zu Kühlen und zu Heizen auskommt. „Klimaschädigende Kühl- oder Kältemittel etwa braucht man dafür nicht“, erklärt Messtechniker Professor Andreas Schütze.
Das Verfahren beruht darauf, dass Drähte aus einer besonderen Formgedächtnislegierung, in diesem Falle Nickel-Titan, kurz „NiTi“ genannt, gezogen und wieder entlastet werden. „Die Phasenumwandlungen, die dabei in der Kristallstruktur des Materials stattfinden, setzen sogenannte latente Wärmen frei, beziehungsweise absorbieren diese“, erläutert Stefan Seelecke, Professor für Intelligente Materialsysteme der Saar-Universität. Bei den Drähten aus Nickel-Titan ist dieser Effekt besonders stark: „Wenn zuvor gespannte Drähte bei Raumtemperatur wieder entlastet werden, kühlen sie sich dadurch um bis zu etwa 20 Grad ab“, sagt Felix Welsch, der gemeinsam mit Susanne-Marie Kirsch im Rahmen von Doktorarbeiten am Prototyp arbeitet. Das macht es möglich, Wärme abzutransportieren. „Beim Belasten findet eine ebenso große Erwärmung statt, so dass der Prozess auch als Wärmepumpe eingesetzt werden kann“, erklärt Welsch.
Der Prototyp, den die Forschergruppe auf der Hannover Messe vorstellt, ist die erste kontinuierlich laufende Maschine, die Luft mit dem neuen Verfahren kühlt. Ein speziell konstruierter, zum Patent angemeldeter Nockenantrieb sorgt dafür, dass während der Rotation fortwährend Bündel aus 200 Mikrometer dicken NiTi-Drähten gezogen und entlastet werden. In zwei separaten Kammern wird Luft durch die Bündel geblasen, die in der einen entsprechend erwärmt und in der anderen gekühlt wird. So lässt sich die Maschine wahlweise als Wärmepumpe oder Kühlmaschine betreiben.
Diese Grundlagenforschung könnte für die Industrie interessant werden. Denn die neue Heiz- und Kühltechnik ist effizient. Je nach Legierung kann sie bis zu dreißigmal mehr Wärme- oder Kühlleistung abgeben als sie mechanische Leistung beim Ziehen und Loslassen benötigt. Damit ist das System bislang bereits zweimal besser als eine Wärmepumpe und dreimal besser als ein bislang üblicher Kühlschrank. „Und dazu ist sie umwelt- und klimafreundlich, da die Kühlung oder Erwärmung unmittelbar erfolgt. So kann beispielsweise Luft in einer Klimaanlage ohne zwischengeschaltete Wärmetauscher gekühlt werden, und wir benötigen dazu keine hochdruckfesten und dichten Leitungssysteme“, erläutert Professor Seelecke.
Jetzt forschen die Saarbrücker Ingenieurinnen und Ingenieure daran, die Wärmeübertragung der Maschine weiter zu optimieren, um die Effizienz noch weiter zu steigern „Wir wollen erreichen, dass die gesamte Energie aus den Phasenumwandlungen möglichst vollständig zum Kühlen oder Heizen verwendet wird“, erklärt Doktorand Felix Welsch.