Auf dem Bau tut sich was
Bauen verschlingt viele Ressourcen und verursacht viel Abfall. Auf der Suche nach umweltschonenderen Baustoffen und Verfahren entwickeln Forschung und Praxis ungewöhnliche Lösungen. UmweltDialog hat sich umgeschaut und Häuser aus dem 3D-Drucker, Wände aus Autoreifen, Steine aus Pilzen und Spanplatten aus Popcorn gefunden.
24.08.2021
Mehr als die Hälfte aller Abfälle in Deutschland stammen vom Bau. Darauf weist das Bundesumweltministerium hin und ruft die Bauwirtschaft dazu auf, stärker auf die Recycelbarkeit der Baustoffe zu achten und mehr gebrauchte Baumaterialien wiederzuverwerten.
Wie nachhaltigeres Bauen gelingen kann, wird in Modellprojekten wie „UMAR“ oder „RE4“ erprobt, über die UmweltDialog bereits berichtete. Aber auch viele andere Beispiele zeigen: Der Hausbau der Zukunft wird anders aussehen. Es wird mit Materialien gebaut werden, die heutzutage niemand auf einer Baustelle vermuten würde.
Diese Häuser sind von Pappe
Voll recycelbare Häuser aus Pappe preist beispielsweise der niederländische Anbieter Wikkelhouse an. Tatsächlich werden Wikkelhouses aus vorgefertigten, 1,20 Meter tiefen Modulen zusammengesetzt, deren Wände aus Pappschichten bestehen, die um eine Form herumgewickelt werden. Die Außenverkleidung ist wiederum aus Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft, als Dämmmaterial wird Flachs eingesetzt. Weil die Häuser sehr leicht sind, können sie sehr schnell ohne Fundament errichtet werden. Mehr als 100 Wikkelhouses soll es in Europa bereits geben.
Mit Erde gefüllte alte Autoreifen sind ein ausgezeichneter Baustoff. Auch alte Weißblechdosen und weitere Abfälle verbauen sich gut. Das hat bereits vor 50 Jahren der US-Amerikaner Michael Reynolds herausgefunden, als er das Konzept seiner „Earthship“-Häuser entwickelte. Nicht nur, dass er Abfall als Baumaterial einsetzt: Reynolds’ Earthships sind auch nachhaltig und autark. WELT schreibt dazu: „Sie brauchen kein Stromnetz, keine Wasserversorgung, keine Heizung, keine Klimaanlage. Sie versorgen sich selber, sie recyceln ihr Abwasser selbst.“ Das erreichte ihr Erfinder durch eine spezielle Bauweise. Earthships werden in einen künstlichen Erdwall hinein gebaut. Die Rückwand besteht dann aus den bereits genannten Autoreifen. Die Süd-Front wiederum ist vollverglast. Damit wird unter anderem ein ausgeklügeltes Heiz- und Kühlsystem möglich. „Wir nutzen einfach die bereits bestehenden Aktivitäten des Planeten – Sonne, Thermik, Wind und Regen – zu unserem Gunsten“, beschreibt der Anbieter selbst das Grundprinzip der Earthships.
Stroh ist ein altbekannter Baustoff. Dass Strohballen als Bausteine verwendbar sind, ist hingegen weniger bekannt. Dabei darf in Deutschland bereits seit 2006 mit den gepressten Trocken-Halm-Quadern gebaut werden, weiß bauen.de. In der einfachsten Form schichten Bauherren die Ballen selbst zu Wänden auf. Bis zu 1,5 stabile Stockwerke sind so möglich. Bei höheren Bauwerken sichert ein Holzständerwerk die Statik, und das im Falle des Abrisses kompostierbare Stroh dient dann als Dämmmaterial. Zum Schutz vor Feuchtigkeit und Ungeziefer wird die Strohwand schließlich verputzt. Strohballenbau ist ökologisch vorteilhaft, für Bauherren, die viel Eigenleistung investieren wollen, vor allem aber sehr günstig, meint bauen.de.
Wände, die voller Pilze sind
Pilze im Bau? Das muss nicht unbedingt etwas mit Schimmel zu tun haben. Aus Pilzen können auch Bausteine werden. Das haben das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die ETH Zürich vor einigen Jahren gezeigt. Die Forschenden mischten Gewebe des Glänzenden Lackporlings mit Holzspänen und anderen pflanzlichen Abfällen. Dabei nutzten sie den Effekt, dass die Pilze sich von Cellulose ernähren und diese in Chitin umwandeln. Auf diese Weise bildete sich nach einigen Tagen ein dichtes, schwammähnliches Wurzelgeflecht aus fadenförmigen Zellen. Dieses füllten sie in Formen und verdichteten es weiter – natürlich erst nach der Abtötung des Pilzes, um das weitere Wachstum zu stoppen. Fertig war der leichte, aber hochstabile Pilz-Baustein, der nach Ansicht des KIT auch besonders gut isoliert. „Unsere Vision ist, Häuser künftig sozusagen wachsen zu lassen und nach Ende ihrer Nutzung die Baustoffe wiederzuverwerten“, erklärt Professor Dirk E. Hebel vom KIT.
Dass Sand ein neuartiger Baustoff sein soll, klingt unglaubwürdig. Gemeint ist allerdings Wüstensand. Anders als der oft bereits knapp werdende Betonsand gibt es ihn reichlich. Allerdings weist er anders als der eckige und kantige Betonsand eine runde Kornstruktur auf. Das Suhler Unternehmen Polycare hat laut mdr.de über die Beimengung von Harz und Polymeren aus recyceltem Kunststoff den Wüstensand gebunden und zu legoartigen Bausteinen verarbeitet. Entstanden ist ein besonders leichtes Material, das einfach zusammengesteckt wird. Damit errichtete Häuser sind später leicht demontierbar. Polycare hat bereits ein fünf Jahre altes Musterhaus ab- und anderswo wieder aufgebaut. Die Herstellung der Wüstensandsteine verbrauche weniger Energie als die Produktion von Beton, hebt Polycare hervor.
Popcorn erobert den Innenausbau
Auch für den Innenausbau finden Bauherren ein immer größer werdendes Angebot an nachhaltigen, natürlichen Baustoffen vor. So könnte Popcorn eine Karriere auf dem Bau bevorstehen, wie T-Online berichtet. Bereits seit zehn Jahren gibt es nämlich den Spanplatten-Ersatz „Balance Board“. Die Leichtbauelemente bestehen zu zwei Dritteln aus Holzspänen und zu einem Drittel aus Popcorn-Granulat. Selbst Platten komplett aus zermahlenem Popcorn werden bereits entwickelt. Mineralwolle-Dämmmatten können wiederum durch genauso leistungsfähige und marktreife Produkte aus Seegras ersetzt werden. Und anstatt Leichtbauwände aus gipshaltigen Produkten zu montieren, bietet sich der Griff zu – sogar stabileren und leichteren – Platten aus Schilf und Rohrkolben an. Dieser vielseitige nachwachsende Rohstoff stünde künftig sogar noch reichlicher zur Verfügung, wenn noch mehr Moore wiedervernässt würden.
Die nachhaltige Innovationswelle macht auch vor den Baumaschinen nicht halt. Gut möglich, dass auf Baustellen demnächst 3D-Drucker stehen und Häuser einfach gedruckt werden. Gerade erst wurde in Beckum das erste deutsche Wohnhaus aus dem Beton-3D-Drucker eingeweiht. Schneller, materialsparender und somit umweltschonender sei diese Methode, lobte Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach laut WDR das Vorhaben, das ihr Ministerium mit 200.000 Euro bezuschusst hat. Die Vorteile des 3D-Drucks auf dem Bau liegen auf der Hand, meint der Weißenhorner Anbieter PERI: Der Beton wird nämlich ohne Verschalung verbaut. Stattdessen wird mit dem riesigen 3D-Drucker ein speziell entwickelter Trockenmörtel materialsparend Schicht für Schicht aufgetragen. Ministerin Scharrenbach betonte, dass auch dieser Werkstoff wiederverwendet werden könne. Beim Abbruch des Gebäudes werde er abgesaugt und könne dann neu verdruckt werden. So weit ist es aber noch nicht.
Indes druckt PERI bereits das nächste Haus. Diesmal wird es ein großes Fünf-Parteien-Objekt. Mit jedem gedruckten Gebäude steigt das Tempo: Dauerte der 3D-Druck in Beckum noch fast ein Vierteljahr, soll das neue Projekt in sechs Wochen fertig sein.