Innovation & Forschung

In welcher Bioökonomie willst du leben?

Was ist Bioökonomie? Wie können Bürgerinnen und Bürger den Weg in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft mitgestalten? Mit einer neu entwickelten App bietet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI einen unterhaltsamen Einstieg in das Thema. In diesem Gastbeitrag stellen Bärbel Hüsing und Elna Schirrmeister das Projekt vor.

16.08.2021

In welcher Bioökonomie willst du leben?
Die Bi-O-MAT-App des Fraunhofer ISI orientiert sich an den drei Szenarien, die auch die Basis für die Ausstellung „Zukunft gestalten – Wie wollen wir leben?“ im Senckenberg-Naturmuseum in Frankfurt am Main bildeten.

von Bärbel Hüsing und Elna Schirrmeister

Bioökonomie – noch nie gehört!? So geht es den meisten Bürger:innen. Diese Form des nachhaltigen Wirtschaftens wird unser Leben aber deutlich verändern. Jetzt hat das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI eine App für einen unterhaltsamen, informativen Einstieg in das komplexe Thema entwickelt. Sie regt die Nutzer:innen zum Nachdenken an, in welcher Bioökonomie sie leben möchten. Damit sie den Weg zur Bioökonomie mitgestalten können.

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Bioökonomie ist eine Form einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft: Fossile Rohstoffe werden weitgehend durch nachwachsende Rohstoffe und biogene Reststoffe ersetzt, und ein nennenswerter Teil der Industrieproduktion wird auf biotechnische Verfahren umgestellt. Bioökonomie kann zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit beitragen – Klimawandel, Ressourcenverknappung, Sicherung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung sowie des Wohlstands und der Lebensqualität. Der hierfür erforderliche tiefgreifende Umbau der Wirtschaft wird auch den Alltag der Bürger:innen deutlich verändern: Wie sie wohnen, was sie konsumieren, wie sie mobil sind und welche Abfälle sie produzieren wird sehr viel ressourcensparsamer, energieeffizienter und klimaschonender als heute sein. Umso erstaunlicher ist, dass sich bislang weitgehend nur Expert:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik mit der Bioökonomie befassen, während die Bevölkerung kaum informiert und nicht in die Zukunftsgestaltung eingebunden ist.

Wie bildet sich die Bevölkerung eine informierte Meinung?

Die Transformation zu einer Bioökonomie kann aber nur gelingen, wenn sie auch von der Bevölkerung mitgetragen und mitgestaltet wird. Deshalb wurde – mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) – im Rahmen der beiden Forschungsprojekte BioKompass und Bio-Wahl – praktisch erprobt und wissenschaftlich ausgewertet, wie die Bevölkerung motiviert werden kann, sich mit dem unbekannten Thema zu befassen und sich eine informierte Meinung über Bioökonomie zu bilden. 

Hightech Politik lenkt Öko-Lifestyle
Deutschland setzt auf eine Hightech-Bioökonomie.
Die Deutschen konsumieren wie bisher, dank Hightech-Produkten aus der florierenden Bioökonomie-Industrie aber nachhaltiger. In der Hightech-Intensivlandwirtschaft wird belohnt, wer Klima, Umwelt und Biodiversität schützt. Der hohe Rohstoffbedarf wird überwiegend durch Importe aus Asien und Südamerika gedeckt, teilweise zu Lasten der Umwelt- und Lebensbedingungen dort.
 Klimaschutz und Wirtschaftswachstum sind gleichrangige Politikziele, die von den Bürger:innnen unterstützt werden.
Die Bioökonomie-Industrie veredelt vor allem Zwischenprodukte, die effizient in Asien und Südamerika produziert werden. Die Menschen konsumieren nachhaltiger, weil Gesetze nicht-nachhaltige Produkte verbieten oder verteuern. Klima- und Umweltschutz in der Intensivlandwirtschaft wird durch Gesetze gewährleistet. Naturschutzgebiete werden ausgeweitet.
 Die Wachstumsorientierung wird zunehmend hinterfragt. Der Staat greift steuernd ein, um Nachhaltigkeit zu erreichen.
Die florierende Bioökonomie-Industrie deckt ihren Rohstoffbedarf überwiegend aus fairer, nachhaltiger EU-Produktion, muss dafür aber die Produktionsflächen stark ausweiten. Viele Menschen schränken ihren Konsum aus Überzeugung ein. Effiziente Smart Farming-Ökolandwirtschaft trägt wesentlich zum Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsschutz bei.
Beispiel: Wir trinken Kaffee, der in deutschen Hightech-Gewächshäusern angebaut wird.Beispiel: Wir trinken (weniger) Kaffee, der nachhaltig in anderen Ländern angebaut wurde.Beispiel: Wir trinken kaum noch Kaffee, sondern haben leckere nachhaltigere Alternativen gefunden.

Kernelement der beiden Projekte sind die drei Szenarien „Hightech“, „Politik lenkt“ und „Öko-Lifestyle“, wie eine Bioökonomie im Jahr 2040 in Deutschland aussehen könnte (Tabelle, Langfassung). Sie wurden speziell im Hinblick auf die Informations- und Diskussionsbedürfnisse von Bürger:innen über Bioökonomie erarbeitet. Diese Szenarien stellen zum einen die konzeptionelle Basis für die Sonderausstellung „Zukunft gestalten - Wie wollen wir leben?" im Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt/Main dar, zum anderen wurden sie in verschiedenen Workshops, im Schulunterricht und in Diskussionen mit Bürger:innen eingesetzt.

Niedrigschwelliger, spielerischer Einstieg

Als niedrigschwelligen, spielerischen Einstieg ins Thema Bioökonomie hat das Fraunhofer ISI im Rahmen des Wissenschaftsjahrs Bioökonomie diese Szenarien jetzt in eine App umgesetzt. Die App ist konzeptionell an den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung angelehnt. Befragungsergebnisse unter Nutzer:innen des Wahl-O-Mat zeigen, dass der Wahl-O-Mat Spaß macht (> 85 Prozent), zu Diskussionen anregt (>60 Prozent) und dazu motiviert, sich weiter zu informieren (50 Prozent). Diese positiven Effekte sollen durch den Bi-O-Mat auch für die Bioökonomie erschlossen werden. Während der Wahl-O-Mat über Fragen und Antworten der Nutzer:innen aufzeigt, welche der Parteien der eigenen politischen Position am nächsten steht, weist der Bi-O-Mat aus, welches der drei Bioökonomie-Szenarien die eigenen Zukunftsvorstellungen und -wünsche am ehesten widerspiegelt. Im Bi-O-Mat übernehmen somit die Bioökonomie-Szenarien die Rolle der Wahlprogramme der politischen Parteien im Wahl-O-Mat. 

Die drei Szenarien werden im Bi-O-Mat durch insgesamt 34 Thesen abgebildet. Die App-Nutzer:innen bewerten, wie sehr sie mit der jeweiligen Aussage übereinstimmen. Eine abschließende Übersicht zeigt den App-Nutzer:innen, welche These jeweils mit welchem Szenario verbunden ist und welches Szenario die individuellen Zukunftsvorstellungen am ehesten abbildet. Zudem wird aufgezeigt, bei welchen Thesen sich Widersprüche und Zielkonflikte aus der individuellen Bewertung ergeben. Fachbegriffe werden erläutert. Abgerundet wird die App durch eine anschauliche Geschichte, wie der Alltag im jeweiligen Szenario aussehen könnte und durch die Möglichkeit, das eigene Ergebnis mit anderen Personen zu teilen. Schüler:innen und Auszubildende wurden in die konkrete Gestaltung der App einbezogen.

Der Weg in eine Bioökonomie steht noch nicht fest, und es bestehen große Gestaltungsspielräume, wie eine zukünftige Bioökonomie in Deutschland aussehen könnte. Der Bio-O-Mat benennt sehr klar Alternativen, die sich aber teilweise gegenseitig ausschließen. Die Bioökonomie kann nicht alle Wünsche erfüllen, es gibt Konflikte und „Kröten, die man wird schlucken müssen“. Aber genau auf diese Punkte möchte die App die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen lenken und zur kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen von einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise anregen.

Informationen zu den Autorinnen

Dr. Bärbel Hüsing

Dr. Bärbel Hüsing ist Diplom-Biologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Competence Center Neue Technologien des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI. Sie erforscht Transformationsprozesse zu einer Bioökonomie und gestaltet partizipative Formate und Co-Creation-Prozesse. Sie hat die Gesamtkonzeption der Bi-O-Mat-App erarbeitet und alle Texte in der App geschrieben.



Elna Schirmeister

Elna Schirrmeister ist Wirtschaftsingenieurin und stellvertretende Leiterin des Competence Centers Foresight des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI. Ihre Forschungsinteressen liegen in Szenarien, Roadmaps, der teilautomatisierten strategischen Früherkennung, quali- und quantitativen Befragungen sowie Wahrnehmungsverzerrungen im Kontext von Zukunftsdialogen. Sie hat die Erarbeitung der Szenarien geleitet, die der Bi-O-Mat-App zugrunde liegen, und es war ihre Idee, die Bi-O-Mat-App zu entwickeln.


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