Verpackungsindustrie: Alternative Papier-Rohstoffe für die Kreislaufwirtschaft und Resourcenschutz
Faserbasierte Materialien aus regionalen, nachwachsenden Rohstoffen als Alternative zu Plastik- und Folienverpackungen gewinnen in der Verpackungsbranche weiter an Bedeutung. Der Konsumgüterhersteller P&G und seine Partner zeigen am Beispiel der Silphie-Pflanze, wie man erfolgreich neue Lösungen am Markt etablieren kann. Außerdem ist das Unternehmen an einer Allianz beteiligt, die skalierbare Wertschöpfungsketten für Paludi-Kulturen aufbauen will.
03.12.2024
Über 100 Kilogramm Pappe, Papier und Karton verbrauchten deutsche Privathaushalte pro Kopf im Jahr 2023, wie das Umweltbundesamt ermittelt hat. Das Gute: das meiste davon wurde durch die Entsorger hierzulande wieder eingesammelt, lag doch die Altpapierrücklaufquote bei immerhin 85 Prozent. „Faserbasierte Materialien und Verpackungen liegen also im Trend. Treiber der Entwicklung ist vor allem ihr Ruf als Nachhaltigkeits-Champion bei den Konsumenten und Konsumentinnen, neben dem Druck der Regulierer auf Kunststoff“, erklärt Jürgen Dornheim, Corporate Packaging Sustainability & Innovation bei P&G. „Nicht zuletzt, da es auch europaweit etablierte Sammel- und Recyclingstrukturen gibt – das hat bedeutende Vorteile gegenüber anderen Materialien.“
Allerdings sind die weltweiten Holzressourcen ein knappes Gut; verschiedene Industriezweige übersteigen mit ihrem Bedarf an Holz das Angebot, wie man beim WWF weiß. Aus diesem Grund sollte Holz in erster Linie für langlebige und hochwertige Produkte verwendet werden, anstatt in Verpackungen zu fließen, fordert die Umweltschutzorganisation.
Fasern der Silphie eignen sich zur Papierproduktion
Aber wie können faserbasierte Verpackungen hergestellt werden, ohne die Holzvorkommen weiter zu strapazieren? Dieser Frage gehen etwa Papierhersteller seit längerer Zeit nach und suchen nach Alternativen zum Rohstoff Holz. Als vielversprechend erweisen sich dabei Ansätze, den Holzzellstoffanteil im Papier zu reduzieren und dabei durch den Einsatz von Agrarreststoffen neue Faserstoffalternativen zu erschließen. Beispielsweise gibt es Projekte, bei denen Gras, Algen-Extrakte oder Pflanzenreste wie etwa Stroh genutzt werden. Als ein ökologisch vorteilhafter Papier-Rohstoff erweist sich zusehends die Durchwachsene Silphie. Angebaut wird die gelbblühende mehrjährige Korbblütler-Pflanze in Deutschland.
Ein Unternehmen, das Silphie-Fasern gewinnt, ist OutNature. Das Start-up wurde zu diesem Zweck vom Entsorgungsunternehmen PreZero gegründet: „Die Silphie-Pflanze ist ein nachwachsender Rohstoff mit dem Potenzial die Papier- und Verpackungsindustrie zu revolutionieren. OutNature bereitet die Silphie-Fasern auf, die anschließend zusammen mit Frisch- oder Recyclingfasern in Papierfabriken zu Papier weiterverarbeitet werden. Entsorgt werden kann das Silphie-Papier über das Altpapier und bleibt damit Teil des Papierwertstoffkreislaufs,“ erklärt PreZero.
Partnerschaften für mehr Nachhaltigkeit
Die Silphie-Pflanze hat beeindruckende positive Eigenschaften: Mit ihrer langen Blütezeit von Juli bis September bietet sie einen Lebensraum für Insekten, sie kommt ohne Pestizide aus und schützt den Boden vor Wind- und Wassererosionen.
Alles Gründe, warum der Konsumgüterhersteller von der Idee begeistert war, anteilig Papier aus Silphie-Fasern zu testen. Das Unternehmen arbeitet schon lange mit PreZero zusammen und hat mit OutNature eine „Strategische Transformative Partnerschaft“ begründet, um durch die Weiterentwicklung von Silphie-Papier nachhaltige Primär- und Sekundärverpackungen zu entwickeln und erfolgreich am Markt zu etablieren.
„Unser Ansatz für Innovation und mehr Nachhaltigkeit ist immer ein partnerschaftlicher. Das gilt bei Verpackungen ebenso wie bei der Dekarbonisierung der Lieferkette“, erklärt Dornheim. Er war maßgeblich an der Einführung von Silphie bei P&G-Verpackungen beteiligt. „Als Konsumgüterhersteller haben wir einen großen Verbrauch an Verpackungsmaterialien. Daher ist es klar für uns, dass wir neue Wege in der Verpackungsentwicklung beschreiten müssen.“
Aus diesem Grund hat P&G in seiner Nachhaltigkeitsstrategie Ambition 2030 klare Ziele festgelegt. Das Unternehmen will 50 Prozent Neuplastik pro Einheit einsparen, und alle Verpackungen so zu gestalten, dass sie recycelbar oder wiederverwendbar sind. „Damit wir das schaffen, nutzen wir auch alternative Verpackungsmaterialien, neue Ideen und Technologien und verzichten dort, wo es sinnvoll ist, auf Kunststoffverpackungen“, so Dornheim weiter.
Zahlreiche Tests ebnen den Weg in den Handel
Auf dem Weg zu neuen, nachhaltigen Verpackungslösungen testet P&G daher die Einsatzmöglichkeiten von Silphie-Papier in verschiedenen Projekten. Die ersten erfolgreichen Silphie-Praxistests durchlief P&G im Winter 2021/22 mit Verkaufsdisplays für Gillette-Rasierer und Always-Binden, die anteilig Silphie-Papier enthielten. Danach folgten die Marken Lenor und Fairy.
Mit einem neuen Großgebinde-Umkarton setzte Ariel im April 2024 zum ersten Mal auf das neuartige Silphie-Papier als Bestandteil einer Umverpackung, welche über den Discounter Lidl vertrieben wurde.
Neben 13 Prozent Silphie-Fasern besteht dieser zu 64 Prozent aus recyceltem Papier. „Gemeinsam mit unseren Verpackungsentwicklern und den Kollegen von OutNature haben wir das Silphie-Papier nach unseren Spezifikationen so weiterentwickelt, dass wir uns jetzt trauen, in eine Primärverpackung eines Produktes zu gehen. Das hört sich alles sehr einfach an, aber für die Umsetzung benötigt man dennoch Zeit“, erklärt Gabi Hässig von P&G.
Denn, bevor Verpackungen aus neuem Papier in den Handel kommen, müssen sie viele Stabilitäts- und Transporttests durchlaufen. Sie müssen geeignet dafür sein, die Produkte zu schützen und den Transport zum Supermarkt und nach Hause zu den Kundinnen und Kunden unbeschadet zu überstehen und vor allem müssen sie von der Innovation überzeugt werden, sind sie doch an die bereits bestehenden Verpackungen gewöhnt. „Die Menschen verknüpfen mit einer Marke und deren Verpackungsdesign gewisse Attribute zu dieser Marke und ein Markenversprechen. Wenn eine Marke seine Verpackung verändert, dann ist das ein riesiger Schritt. Man braucht viel Mut dazu. Menschen greifen in ihrem Einkaufsverhalten nach dem altbekannten, denn das schafft Vertrauen.“
P&G beteiligt sich an Erprobung von Paludi-Biomasse für Industrie-Einsatz
Neben dem Einsatz von Silphie-Papier erforscht P&G die Möglichkeit, weitere alternative Fasern aus nachwachsenden Rohstoffen für seine Zwecke zu verwenden. Beispielsweise die Fasern der sogenannten Paludikulturen. Der Begriff – aus den lateinischen Wörtern „palus“ für Sumpf und „cultura“ für Anbau abgeleitet – steht für die nachhaltige land- und forstwirtschaftliche Nutzung nasser Moorstandorte. Er ist bereits über 25 Jahre alt und wurde an der Universität Greifswald mit dem Ziel entwickelt, Erhalt und Nutzung von Mooren in Einklang zu bringen.
Die in intakten, also nassen Mooren wachsenden Pflanzen wie etwa Rohrkolben, Schilf und Seggen eignen sich hervorragend als Rohstoff für ein breites Spektrum an Produkten und bergen großes Potenzial für eine nachhaltige Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft wie zum Beispiel in der Papier-, Verpackungs-, Bau-, Dämmstoff- und Holzwerkstoffindustrie. Unter dem Dach der toMOORow-Initiative erproben deshalb derzeit 14 Unternehmen, die sogenannte "Allianz der Pioniere", den Einsatz dieses nachwachsenden, regionalen Rohstoffs aus Paludikultur.
Ziel dieser Produktinnovationen ist die Inwertsetzung von Paludi-Biomasse. Denn eine schnell wachsende Nachfrage nach Paludi-Biomasse ist eine wichtige Grundlage dafür, dass Landwirtinnen und Landwirte ihre trockengelegten Moorflächen wiedervernässen und diese trotzdem weiter bewirtschaften und Einnahmen generieren können. Das ist wichtig, da durch die Wiedervernässung CO2-Emissionen vermieden werden und bei torfbildenden Bewirtschaftungsweisen zusätzlich CO2 aus der Atmosphäre entzogen und als Kohlenstoff im Torfboden gespeichert werden kann. Um aktiv die Bemühungen für den Klimaschutz und die Forschung der Verwendbarkeit von Paludi-Biomasse zu unterstützen, engagiert sich PGDeutschland als eines der 14 Gründungsmitglieder der "Allianz der Pioniere" in der toMOORow-Initiative.