Geheimnisse des Denkens
Unser Gehirn ist anpassungsfähiger als bisher vermutet. Spezielle Nervenzellen, die das Gedächtnis steuern, liegen nicht fest an einem Ort. Sie wandern und bilden sich bis ins Erwachsenenalter neu. Für diese Erkenntnis erhielt die Heidelberger Neurobiologin Prof. Dr. Hannah Monyer den Philip Morris Forschungspreis, eine der renommiertesten Auszeichnung der deutschen Wissenschaft.
17.11.2006
Bisher ging die Hirnforschung davon aus, dass die Nervenzellen, die das Denken und andere kognitive Leistungen wie Wahrnehmung und Aufmerksamkeit dirigieren, bereits kurz nach der Geburt festgelegt sind und danach nicht mehr neu gebildet werden können. Vor allem durch die Forschungsarbeiten der Neurobiologin Monyer zur Anpassungs- und Regenerationsfähigkeit des Gehirns weiß man heute, dass die „Dirigenten des Gehirns“, die den Informationsfluss im Gehirn koordinieren, auch im Erwachsenenalter noch in großer Zahl gebildet werden können.
Das Gehirn besteht nicht aus einheitlichen „grauen Zellen“. Es gibt vielmehr zwei Gruppen von Nervenzellen, die für die kognitiven Leistungen im menschlichen Gehirn verantwortlich sind: die Neuronen und die Interneuronen. Die Neurone sind direkt an der Informationsverarbeitung beteiligt. Interneurone hingegen steuern den Informationsfluss. Sie machen es möglich, dass auch weit voneinander entfernte Hirnzellen im richtigen Moment aktiv sind und verhindern so ein Chaos im komplexen Nervennetz des Gehirns.
Seit Jahren widmet sich die Forscherin Monyer den Interneuronen bzw. der Frage, auf welche Weise die Interneurone den Informationsfluss zwischen den Hirnzellen koordinieren. Gemeinsam mit ihrer Arbeitsgruppe am Interdisziplinären Zentrum für Neurowissenschaften (IZN) in Heidelberg beschäftigt sie sich mit den molekularen Grundlagen synchroner Netzwerkaktivität im Gehirn, das heißt, dem Abfeuern von Impulsen zahlreicher Nervenzellen in einem bestimmten Takt. Das gleichzeitige Übertragen von Signalen ist die Voraussetzung dafür, dass im Gehirn sinnvolle Bilder der Außenwelt entstehen. Besonders bedeutend war Monyers Entdeckung, dass Interneurone des erwachsenen Gehirns nicht nur chemisch über Botenstoffe mit anderen Hirnzellen kommunizieren sondern auch über elektrische Kontaktstellen. Sie ermöglichen eine besonders schnelle Verarbeitung von Informationen.
Nach Erkenntnissen der Forscherin spielen Interneurone darüber hinaus auch bei vielen psychischen Krankheiten eine Rolle. Bei Menschen, die beispielsweise unter Autismus oder Schizophrenie leiden, scheinen die Interneurone im Gehirn immer wieder aus dem Takt zu kommen, mit der Folge, dass die Kontrolle anderer Nervenzellen nicht mehr möglich ist. Monyer vermutet auch, dass etwa Depressionen auf einer fehlerhaften Entwicklung bestimmter Interneurone vor oder nach der Geburt beruhen könnten. Das Team um die Neurobiologin ist weltweit eins von wenigen Forschergruppen, die versuchen, den Weg vom Molekül bis hin zum kognitiven Verhalten von Menschen interdisziplinär zu verstehen. Monyer forscht hauptsächlich am Gehirn von Mäusen.
Prof. Dr. med. Hannah Monyer ist seit 1999 Ärztliche Direktorin der Abteilung für Klinische Neurobiologie der Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg. Die in Rumänien geborene Forscherin kam als Jugendliche nach Deutschland, absolvierte in Heidelberg ihr Abitur und studierte Medizin an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. Nach ihrer Dissertation über ein medizingeschichtliches Thema und Stationen in Kliniken in Mannheim und Lübeck, verbrachte sie drei Jahre im Labor des Stanford University Medical Center in Kalifornien, unterstützt durch ein Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Im Jahr 1989 kehrte sie nach Heidelberg zurück, wo sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Molekulare Biologie (ZMBH) forschte. Nach ihrer Habilitation im Fach Biochemie und der Zuerkennung einer Schilling-Stiftungsprofessur baute sie ihre eigene Arbeitsgruppe auf, die sie heute im Rahmen des Interdisziplinären Zentrums für Neurowissenschaften (IZN) an der Universität Heidelberg leitet. Monyer ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande und des Gottfried Wilhelm Leibniz-Preises der DFG. </>