Großes Kino aus der Zelle
Die DNA in den Zellen enthält die Bauanleitungen für alle Proteine. Vor der Synthese eines Proteins muss jedoch das entsprechende Gen auf der DNA ausgelesen werden. Der Biochemiker Prof. Patrick Cramer vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München hat die Struktur des zuständigen Leseapparates, der so genannten RNA-Polymerase II, bis in atomare Details hinein entschlüsselt. Dafür wurde er mit dem Forschungspreis 2007 der Philip Morris Stiftung ausgezeichnet. Mit den von Cramer weiterentwickelten Methoden der Röntgenstrukturanalyse ist es möglich, den Verlauf der Gen-Transkription Schritt für Schritt wie in einem Film zu dokumentieren und so einen der Grundprozesse des Lebens besser zu verstehen.
15.02.2008
Um den Ablauf der DNA-Transkription verstehen zu können, ist es notwendig, zum einen den Aufbau der RNA-Polymerase selbst genau zu kennen und zum anderen ihr Zusammenspiel mit der DNA, der RNA und weiteren Molekülen zu analysieren. Patrick Cramer ist beides gelungen, indem er die Molekülkomplexe in unterschiedlicher Zusammensetzung kristallisierte und dann ihre dreidimensionale Gestalt mit Hilfe der Röntgenstrukturanalyse bestimmte.
Durch die Kristallisierung werden Enzyme in ihrem aktuellen Zustand gewissermaßen eingefroren. Durchleuchtet man die Kristalle anschließend mit intensiven Röntgenstrahlen, wird das Röntgenlicht an dem vom Enzym verformten Kristallgitter unterschiedlich stark gebeugt. Aus dem Beugungsmuster lässt sich am Computer ein dreidimensionales Modell des untersuchten Proteins errechnen.
Cramer entwickelte ein Verfahren, mit dem sich RNA-Polymerase nicht nur allein, sondern auch im Komplex mit kurzen DNA-Strängen kristallisieren lässt - und das während verschiedener Phasen des Ablesevorgangs. So lässt sich gewissermaßen Schritt für Schritt beobachten, wie die DNA in die Boten-RNA übersetzt wird. Diese Methode erlaubt ganz neue Einblicke in die Details der DNA-Transkription.
Cramer fand beispielsweise heraus, dass die RNA-Polymerase beim Ablesen der DNA nicht nur RNA synthetisieren, sondern bei Bedarf auch in den Rückwärtsgang schalten und den RNA-Strang wieder spalten kann. So kann sie mögliche Kopierfehler direkt vor Ort korrigieren.
Die Bilder der Röntgenstrukturanalyse machen deutlich, dass die RNA-Polymerase im Grunde wie eine kleine Maschine arbeitet - mit all ihren Fehlern. So kann sie bei der Transkription eines Gens regelrecht verhaken. Wenn dies passiert, lagert sich ein anderes kleines Molekül an die Polymerase an und reicht mit einem Fortsatz bis ins aktive Zentrum hinein. Dort bewirkt es, dass das überschüssige Stück RNA aus dem aktiven Zentrum entfernt wird. So kann die Transkription fortgesetzt werden, ohne dass die bereits synthetisierte RNA verloren geht.
Die Arbeiten dienen nicht nur der Grundlagenforschung, sondern haben auch einen interessanten Praxisbezug. Das verbesserte Verständnis darüber, wie die RNA-Polymerase aufgebaut ist, wie sie arbeitet und wie sie dabei von weiteren Proteinen gesteuert wird, liefert unter anderem neue Ansätze für die Entwicklung verbesserter Antibiotika. Neue Wirkstoffe könnten beispielsweise so designt werden, dass sie gezielt die DNA-Transkription schädlicher Bakterien stören und somit deren Entwicklung hemmen.